9. November 2025 - 18.13 Uhr
DeutschlandSteinmeier rüttelt auf: Bundespräsident ermahnt in seiner Rede zum 9. November Parteien rechts und links der Mitte
Der erste Mann im Staat hat vergleichsweise wenig politische Gestaltungsfreiheit. Aber er hat das Vorrecht der Rede, die Macht des Wortes. Das kann mitunter eine Menge sein, besonders in Krisenzeiten. Und in dieser sieht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Land. Der Bundespräsident macht sich Sorgen: um die Widerstandsfähigkeit der Politik gegen Extremismus, besonders aber um die Kompromissfähigkeit der Parteien – und zwar auf beiden Seiten der politischen Mitte.
Der 9. November 1918, 1938, 1989 – Ausrufung der Republik, die nationalsozialistischen Novemberpogrome und der Mauerfall: Es sind die hellsten und die dunkelsten Momente der deutschen Geschichte, die sich an diesem schicksalhaften Tag bündeln.
Dem Gedenken will Steinmeier in diesem Jahr eine besondere Form geben. Seine Rede vor Gästen im Schloss Bellevue geht deutlich über eine Standard-Ansprache hinaus. Aus seiner Sicht verschieben sich gerade grundlegende Dinge im Land: Steinmeier sieht den Versuch, die Demokratie mit den Mitteln der Demokratie zu zerstören. Und er sieht die teilweise selbst verschuldete Sprachlosigkeit der Mitte-Parteien. Dazu will er nicht schweigen: „Wenn wir auf unser Land blicken, reiben wir uns die Augen: Sind wir nicht ein starkes Land, eine gefestigte Demokratie, ein stabiler Rechtsstaat, ein wohlhabendes Land mit einer leistungsfähigen Wirtschaft? Natürlich sind wir das. Aber da ist zugleich eine große Unruhe in einer Gesellschaft, die tief verunsichert wirkt“, sagt Steinmeier.
Ungewohnt konkrete Worte
Aus Sicht des Bundespräsidenten ist die Abgrenzung der demokratischen Mitte von den Extremisten ins Rutschen geraten. Die AfD nennt Steinmeier dabei jedoch nicht explizit. Er führt aber mit Blick auf die Verbotsdebatte aus: „Ein Parteienverbot ist die Ultima Ratio der wehrhaften Demokratie. Doch ich warne davor, zu glauben, es sei die alles entscheidende Frage. Entscheidend ist doch: Wie gehen die Kräfte der politischen Mitte jetzt mit Demokratieverächtern und Extremisten um?“ Die historische Erfahrung lehre: „Der waghalsige Versuch, Antidemokraten zu zähmen, indem man ihnen Macht gewährt, ist nicht nur in Weimar gescheitert.“
Mit Extremisten dürfe es keine politische Zusammenarbeit geben. Nicht in der Regierung, nicht in den Parlamenten, fährt er fort. „Wenn dadurch ein Teil des demokratisch gewählten Parlaments von der Gestaltung ausgeschlossen wird, so ist dieser Ausschluss doch selbst gewählt. Und jeder hat, wenn er die Regeln akzeptiert, die Möglichkeit, auf das demokratische Spielfeld zurückzukehren.“ – Da ist sie, die Diskussion um die so genannte Brandmauer. Allerdings geht es ihm nicht um das Ausgrenzen oder darum, nur der Union etwas ins Stammbuch zu schreiben. Auch die linke Mitte macht es sich aus Sicht des Bundespräsidenten zu bequem. Steinmeier, der frühere SPD-Politiker, wird für einen Bundespräsidenten hier ungewöhnlich deutlich und mahnt auch die Sozialdemokraten sowie die linke Opposition.
„Die Hauptlast dieser Abgrenzung tragen die politischen Kräfte Mitte-rechts. Aber sie tragen die Verantwortung nicht allein. Explizit an die politischen Kräfte Mitte-links gewandt, füge ich deshalb hinzu: Auch Sie tragen Verantwortung.“ Es sei wenig hilfreich, jede unliebsame Äußerung pauschal als „rechtsextrem“ zu diskreditieren. „Mitte-rechts ein gemeinsames Lager mit den Rechtsextremen zu unterstellen, ist nicht nur unklug, sondern damit rütteln sie auf andere Weise auch selbst an der Brandmauer.“ Und Steinmeier wird konkret: „Es ist gefährlich, wenn Themen wie Migration und Sicherheit nicht besprochen werden können, weil sofort ein Rassismusvorwurf im Raum steht. Das hieße doch, dem rechten Rand am Ende die Hegemonie über Themen zu überlassen, die die Gesellschaft nicht nur beschäftigen, sondern zu einem guten Teil auch verunsichern.“
Die Rede Steinmeiers ist schon auch mit Bezug auf den aktuellen Zustand der Regierung zu sehen. Bei der früheren Ampel-Regierung mit ihren anhaltenden Streitereien wurde der Bundespräsident auch mal sehr konkret, kritisierte die Zerrissenheit der Regierung scharf. Auch die schwarz-rote Regierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) tut sich schwer. Streit, innere Konflikte, ein geschwächtes Führungspersonal: Die Liste der Probleme ist lang.
Doch auch in Bellevue sieht man die Probleme der jetzigen Regierung, die schwierige Kommunikation, der manchmal Organisationsfehler zugrunde zu liegen scheinen. Doch noch geht Steinmeier davon aus, dass sich die Regierung zusammenreißt – auch das ist aus seiner Rede an diesem historischen Tag klar herauszulesen. Denn der Koalition stehen mit den Landtagswahlen im nächsten Jahr möglicherweise noch unruhigere Zeiten bevor. Der Bundespräsident schließt mit den Worten: „Stehen wir zusammen – für die Selbstbehauptung von Demokratie und Menschlichkeit! Geben wir nicht und niemals preis, was uns ausmacht. Vertrauen wir uns selbst! Und tun wir, was getan werden muss.“
Man kann die Warnungen als Appell verstehen. Oder auch als Mahnung, Vernunft und Augenmaß bei den Parteien walten zu lassen. Und in der Gesellschaft übrigens auch.
De Maart
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