5. November 2025 - 6.52 Uhr
ForumWenn das Leben nicht beginnt – Claire Delcourt über Schwangerschaftsverluste und Sternenkinder
„Stillgeburt“, „Fehlgeburt“, „Sternenkind“ – um diese Worte legt sich in unserer Gesellschaft ein weiter Raum der Stille. Schwangerschaften und Neugeborene stehen für Freude, Hoffnung und neues Leben, und nicht für Trauer und Verlust. Der Gedanke an den Tod eines Kindes fällt schwer und der Umgang mit der Trauer betroffener Eltern verunsichert viele. Dabei sprechen die Zahlen eine klare Sprache: Fast jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens mindestens eine Fehlgeburt.

Eine stille Realität
Etwa 15 bis 20 Prozent aller festgestellten Schwangerschaften enden in einer Fehlgeburt. Die meisten Schwangerschaftsverluste treten dabei in den ersten zwölf Wochen auf und so liegen zwischen der Hoffnung und dem Verlust oft nur wenige Wochen – und manchmal sogar nur Tage. Berücksichtigt man auch sehr frühe Verluste bis zur fünften Schwangerschaftswoche, steigt die Zahl der Aborte auf 50 bis 75 Prozent. Viele dieser frühen Verluste bleiben unbemerkt, doch durch moderne, hochsensible Schwangerschaftstests steigt die Zahl der Frauen, die auch diese frühen Verluste bewusst erleben und betrauern. Der Schmerz über einen Schwangerschaftsverlust berechnet sich eben nicht in Wochen. Er ist individuell und geprägt von Wünschen, Hoffnungen und der Beziehung zum ungeborenen Kind.
Trauer, Einsamkeit und Erwartungsdruck
Der Verlust eines Kindes, sei es in der Schwangerschaft oder kurz vor oder nach der Geburt, markiert einen tiefen Einschnitt, dessen Nachhall Betroffene oft ein Leben lang begleitet. Er ist geprägt von intensiver Trauer, Schuldgefühlen, Unsicherheit und einem drückenden Gefühl der Einsamkeit. Viele Mütter berichten, dass ihr Umfeld mit Sprachlosigkeit, unbeholfenen Floskeln oder raschem Verdrängen reagiert. So entsteht ein stiller Erwartungsdruck: Nach außen soll man funktionieren und den Alltag bewältigen, doch innerlich bleibt eine Leere zurück, die von dem schmerzhaften Gefühl, sich für die eigene Trauer rechtfertigen zu müssen, begleitet wird.
Gesetzlicher Nachholbedarf: Warum Luxemburg endlich hinschauen muss
Bislang haben Frauen in Luxemburg nach einer Fehlgeburt nur dann Anspruch auf Mutterschutz, wenn die Schwangerschaft mindestens die 22. Woche erreicht hat. Die psychische und körperliche Belastung eines frühen Verlusts spielt rechtlich kaum eine Rolle. Für viele Frauen bedeutet das: Ihr Schmerz wird nicht anerkannt, ihr Verlust bleibt unsichtbar. Ein spezieller Urlaub für Eltern, die ihr Kind vor der 22. Schwangerschaftswoche verlieren, existiert bisher nicht.
International wird das Thema jedoch immer wieder diskutiert und Neuseeland ging schon 2021 voran: drei Tage bezahlter Trauerurlaub für Eltern nach einer Fehlgeburt – in Anerkennung dessen, dass eine Fehlgeburt keine Krankheit, sondern ein Verlust ist. Ein Sonderurlaub bietet nicht nur praktische Entlastung, sondern zeigt auch: Euer Verlust zählt. Ihr seid nicht allein und eure Trauer ist real.
Sind ähnliche Änderungen für Luxemburg geplant? Tatsächlich hat die Regierung in der Antwort auf meine parlamentarische Anfrage kürzlich angegeben, dass zukünftig die Einführung eines Sonderurlaubs für späte Fehlgeburten, Totgeburten und Frühgeburten mit Todesfall vorgesehen sei.
Die angekündigte Einführung eines Sonderurlaubs für späte Fehlgeburten ist zweifellos ein wichtiger Schritt. Es ist wichtig, dass das Thema endlich politische Aufmerksamkeit erhält und betroffene Eltern Unterstützung erfahren. Doch die aktuelle Diskussion birgt auch eine Gefahr: Indem der Sonderurlaub nur für späte Fehlgeburten vorgesehen ist, entsteht der Eindruck, frühe Verluste seien nicht schwerwiegend genug – als wären sie „nicht so schlimm“. Natürlich werden späte Fehlgeburten von besonders intensiven körperlichen und mentalen Konsequenzen begleitet und Eltern, die dieses traumatische Erlebnis durchstehen müssen, brauchen deshalb auch besondere Unterstützung. Aber eine Fehlgeburt kann in jeder Schwangerschaftswoche ein tiefer Lebenseinschnitt sein. Auch ein Verlust in der achten Woche kann das Leben völlig aus der Bahn werfen.
Anerkennung statt Schweigen
Für viele Frauen beginnt die Bindung zu ihrem Kind nicht erst mit dem Ultraschallbild, sondern bereits mit dem positiven Schwangerschaftstest. Von diesem Moment an gibt es Hoffnung, Vorfreude – und ein Gefühl von Verantwortung. Stirbt das Kind, bleibt für die Betroffenen eine Leere, die niemand kleinreden kann. Symbolische Anerkennung kann Eltern in solch schweren Situationen Halt geben: In Luxemburg kann für tot geborene Kinder ein sogenannter „Acte d’enfant sans vie“ ausgestellt werden, der es den Eltern ermöglicht, ihr Kind im Personenstandsregister einzutragen. Diese kleine, aber bedeutsame Geste vermittelt: Euer Kind hatte einen Platz in dieser Welt.
Leider ist vielen Eltern jedoch nicht bewusst, dass es diese Möglichkeit auch für frühe Fehlgeburten gibt und das Gesetz auch keine zeitlichen Einschränkungen vorsieht. Jedes verlorene Kind kann auf Wunsch der Eltern eingetragen werden, und das auch noch Jahre nach dem Verlust. Für viele Betroffene wäre das Wissen um diese Möglichkeit ein Signal, dass ihr Schmerz nicht ignoriert wird, dass Gesellschaft und Politik ihre Trauer ernst nehmen. Denn viele Frauen erleben es als besonders schmerzhaft, dass ihr Verlust in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird.
Ein Kind, das „zu früh“ gegangen ist, existiert oft nur in den Herzen seiner Eltern. Für die Außenwelt scheint es nie da gewesen zu sein. Wenn das Leben mit der Geburt beginnt, scheint dies umgekehrt zu heißen, dass Kinder, die nicht lebend geboren wurden, auch nicht gelebt haben. Dies entspricht jedoch in keiner Weise der Wahrnehmung der Mütter: Sie wissen und fühlen sehr wohl, dass ihr Kind im Mutterleib gelebt hat, bevor es gestorben ist.
Die Unsichtbarkeit des Verlustes verstärkt das Gefühl der Einsamkeit der Eltern. Deshalb ist es von großer Bedeutung, mehr Aufmerksamkeit für die Möglichkeit zu schaffen, Kinder zu ehren, die früh gegangen sind, zum Beispiel durch einen offiziellen Eintrag. Durch einen Eintrag, der besagt, dass das Kind hier war. Dass es einen Namen hatte. Und dass es Menschen gab, die es liebten.
Nicht zuletzt wäre aber auch die Einführung eines generellen Sonderurlaubs für Fehlgeburten ein wichtiges Signal des Mitgefühls und der Anerkennung. Die Politik muss endlich alle Fehlgeburten als das anerkennen, was sie sind: ein tiefer Verlust. Ein gesetzlich verankerter genereller Trauerurlaub von zwei bis drei Tagen für Eltern, die eine Fehlgeburt erleben, wäre ein Zeichen von Respekt und Menschlichkeit. Weil Trauer Zeit braucht – ganz egal, wie kurz das verlorene Leben war.
De Maart
Wie ist es mit SIDS Fällen, werden die noch statistisch geführt?