Dienstag4. November 2025

Demaart De Maart

ForschungWarum wir mit 60 oft klüger sind als mit 30 – und was die Wissenschaft darüber verrät

Forschung / Warum wir mit 60 oft klüger sind als mit 30 – und was die Wissenschaft darüber verrät
Nicht nur sportlich, auch schlau: Die Altersforschung räumt gerade mit einigen Mythen auf Foto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzolante

Lässt im Alter die Denkleistung nach? Nicht unbedingt, sagen Forschende. Eine neue Studie zeigt: Während die Jugend mit Schnelligkeit punktet, erreichen viele von uns erst in den Fünfzigern und Sechzigern ihr mentales und emotionales Hoch. Ein Plädoyer gegen den Irrtum vom unausweichlichen geistigen Abstieg.

Wenn die Jugend langsam in den Rückspiegel rückt, kommt bei vielen die Frage auf: War’s das jetzt – oder fängt das Beste erst an? Die Wissenschaft hat dazu eine überraschend optimistische Antwort. Daten würden zeigen, „dass viele Menschen zwischen 55 und 60 Jahren ihre höchste psychologische Gesamtleistung erreichen“, schreibt Gilles Gignac, außerordentlicher Professor für Psychologie an der University of Western Australia. Er ist Hauptautor einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift Intelligence veröffentlicht wurde.

Die Ergebnisse seiner Untersuchung stellen die verbreitete Vorstellung auf den Kopf, dass unser geistiges Leistungsvermögen ab Mitte 20 unweigerlich bergab gehe. Zwar stimmt es, dass unsere sogenannte „kognitive Rohleistung“ – also die Fähigkeit, Informationen schnell zu verarbeiten, sich Neues zu merken und logisch zu denken – ab Mitte 20 allmählich abnimmt. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.

„Wenn man über die reine Denkgeschwindigkeit hinausblickt, ergibt sich ein ganz anderes Bild“, erklärt Gignac. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen analysierte er 16 psychologische Dimensionen, die sich messen lassen und eng mit Erfolg im realen Leben verknüpft sind – von Gedächtnis-Spanne, Wissen und emotionaler Intelligenz bis zu den sogenannten „Big Five“ der Persönlichkeitsforschung: eine extrovertierte Persönlichkeit, emotionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Verträglichkeit.

Emotionale Stabilität um die 70 am höchsten

Die Forschenden verglichen große Datensätze und standardisierten sie auf einer gemeinsamen Skala. So konnten sie herausfinden, wie sich die einzelnen Merkmale über die Lebens-Spanne hinweg verändern. Und dabei zeigte sich: Einige unserer wichtigsten psychologischen Fähigkeiten entwickeln sich nicht in der Jugend – sondern erst im höheren Alter zur vollen Blüte.

Auch wenn bestimmte Fähigkeiten mit dem Alter nachlassen, werden sie durch Wachstum in anderen, entscheidenden Bereichen ausgeglichen

Psychologie-Professor Gilles Gignac

So erreichte Gewissenhaftigkeit ihren Höhepunkt im Durchschnitt mit etwa 65 Jahren, emotionale Stabilität sogar erst mit Mitte 70. Auch weniger bekannte Dimensionen wie das moralische Urteilsvermögen und die Fähigkeit, kognitiven Verzerrungen zu widerstehen – also typische Denkfallen und voreilige Schlüsse – verbesserten sich teils bis weit in die 70er und 80er hinein. Nehme man all diese Faktoren zusammen, ergebe sich „ein bemerkenswertes Muster“, sagt Gignac. So zeigten die Analysen, dass „die psychologische Gesamtfunktion im Schnitt zwischen 55 und 60 Jahren ihren Höhepunkt erreicht“. Danach beginne sie langsam zu sinken – spürbar erst ab Mitte 70.

Dies könnte erklären, warum viele Spitzenkräfte in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sich gerade in diesem Alter auf dem Zenit ihrer Laufbahn befinden. Menschen in den Fünfzigern und frühen Sechzigern seien, so Gignac, besonders gut darin, komplexe Probleme zu lösen, Prioritäten zu setzen und ausgewogene Entscheidungen zu treffen.

Oder, wie er es formuliert: „Auch wenn bestimmte Fähigkeiten mit dem Alter nachlassen, werden sie durch Wachstum in anderen, entscheidenden Bereichen ausgeglichen.“ Das führe zu einem besseren Urteilsvermögen – und genau das zähle in Führungspositionen.

„Keine kurzfristige Investition“

Die Forschungsergebnisse werfen zugleich ein Schlaglicht auf die Ungleichbehandlung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denn obwohl Menschen über 50 laut Gignac über viele wertvolle Stärken verfügen, haben sie es oft schwer, nach einem Jobverlust wieder Fuß zu fassen. „Arbeitgeber sehen ältere Bewerber häufig als kurzfristige Investition“, sagt er.

Manche Altersgrenzen – etwa für Piloten oder Fluglotsen – seien zwar aus Sicherheitsgründen gerechtfertigt, doch insgesamt, so Gignac, müsse die Gesellschaft umdenken. „Das Alter allein bestimmt nicht die geistige Leistungsfähigkeit.“ Deshalb sollten wir Menschen danach beurteilen, was sie tatsächlich können – nicht nach willkürlichen Altersgrenzen.

JJ
4. November 2025 - 17.17

Buchtipp: Digitale Demenz. von Prof.M.Spitzer