Dienstag21. Oktober 2025

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Aufbruchsjahr 1995Ein Datum, das Luxemburgs Kulturszene prägte: Kulturexperte Jo Kox im Interview

Aufbruchsjahr 1995 / Ein Datum, das Luxemburgs Kulturszene prägte: Kulturexperte Jo Kox im Interview
Hier bei einem Interview mit „Le Quotidien“ über Focuna: der Kulturkenner Jo Kox Foto: Editpress/Alain Rischard

Die Kulturszene ist im Jubiläumsfieber: 2025 feiern gleich mehrere Kollektive, Institute und Verbände ihren Dreißigsten. Auch Luxemburgs Debüt als Kulturhauptstadt Europas jährt sich zum 30. Mal. Damals war der Kulturexperte Jo Kox als touristischer Koordinator dabei. Nun blickt er im Gespräch mit dem Tageblatt auf das Aufbruchsjahr 1995 zurück.

Tageblatt: Jo Kox, unter welchen Bedingungen fand das Kulturjahr 1995 statt?

Jo Kox: Verglichen mit heute glich die Kulturlandschaft damals einer „Pampa“. Natürlich existierten staatliche Institutionen, Orchester und Organisationen, doch viele agierten isoliert. 1995 brachte das große Erwachen, auch politisch. Plötzlich erkannte man, dass Kultur zum Wohlstand des Landes beiträgt. Die Politik stellte nach und nach Gelder bereit. Es entstanden Synergien zwischen Staat, Gemeinden und Kulturschaffenden. Solche Labels – etwa ‚Kulturhauptstadt‘ – wirken wie Katalysatoren, deshalb kämpfen Länder und Städte darum.

Waren die Kulturjahre 2007 und 2022 ebenso bahnbrechend für den Sektor?

2007 entstanden ebenfalls nachhaltige Initiativen. Bei Esch2022 ist eine Bewertung noch schwierig – es ist zu früh. Die Gemeinde Esch hat jedenfalls in Infrastruktur investiert: Die Konschthal, das Bridderhaus und das Ariston wurden eröffnet. Zwar handelt es sich dabei ausschließlich um Bauten, doch sie stehen und sie werden genutzt. Und erlauben Sie mir eine Gegenfrage: Muss jedes Kulturjahr zwangsläufig ein großes Erbe hinterlassen?

Zur Person

Jo Kox war 1995 „Coordinateur touristique“ im Rahmen der Kulturhauptstadt Luxemburg. 1996 wurde er administrativer Direktor des neu gegründeten Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain in Luxemburg-Stadt. 2016 gab er sein Amt auf, bevor ihn der damalige Kulturminister Xavier Bettel (DP) im Folgejahr zum Koordinator des ersten Luxemburger Kulturentwicklungsplans (KEP 2018-2028) ernannte. 2018 wurde er erster Regierungsberater im Kulturministerium unter Kulturministerin Sam Tanson. Ein Amt, das er bis zu seiner Pensionierung 2024 innehatte. Heute präsidiert er die Verwaltungsräte der beiden „établissements publics“ Focuna und Kultur | lx.

Was meinen Sie?

Ich denke nicht. Solche Events schaffen vor allem Sichtbarkeit. Es ist genauso wertvoll, wenn etwas im Kopf des Publikums hängen bleibt. Menschen kommen zusammen, vernetzen sich, begreifen sich als Teil einer Gemeinschaft. Ich denke da auch an die LUGA [temporäre Ausstellung auf öffentlichen Grünflächen, d.R.]. Viele kritisierten sie, doch ich habe selten so viele Menschen in Luxemburgs Parks gesehen. Ob das Interesse anhält, wird sich zeigen. Aber der erste Schritt ist gemacht. Darauf kommt es an.

Ist ein kultureller Aufschwung wie ab 1995 heute noch denkbar?

Ehrlich gesagt: Ich bezweifle es. Die finanzielle Situation war eine andere – es gab die Mittel. Zudem war die damalige Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges auch für die öffentlichen Bauten zuständig. Sie konnte den Bau der Philharmonie, des Mudam priorisieren. Manchmal entscheidet die Zeit, was möglich ist.

1995 brachte das große Erwachen, auch politisch. Plötzlich erkannte man, dass Kultur zum Wohlstand des Landes beiträgt.

Jo Kox, Kulturexperte und Präsident der Verwaltungsräte von Focuna und Kultur | lx

War früher alles besser?

Sicher nicht. Manchmal vermisse ich jedoch die kleinen vergänglichen Projekte von Kollektiven, die damals üblicher waren. Heute wirkt alles wie aus dem 3D-Drucker. Überspitzt formuliert, aber: Ich bedauere, dass heute alles in eine Schablone passen muss. Ohne Präsenz auf Social Media und ein kompetentes Pressebüro läuft gar nichts. Es braucht Räume und Plattformen für neue, originelle Initiativen. Nicht jede Initiative muss 30 Jahre bestehen.

2018 wurde Luxemburgs erster Kulturentwicklungsplan vorgestellt: eine weitere Entwicklung der vergangenen 30 Jahre
2018 wurde Luxemburgs erster Kulturentwicklungsplan vorgestellt: eine weitere Entwicklung der vergangenen 30 Jahre Foto: Editpress-Archiv

Kollektive wie Maskénada oder Independent Little Lies sind seit 30 Jahren aktiv – das ist dennoch eine Leistung.

Absolut. Ein Projekt über drei Jahrzehnte zu tragen, ist nicht leicht. Es gibt Höhen und Tiefen. Diese Kollektive bestehen, weil sie sich immer wieder neu erfinden. Inzwischen erhalten die meisten auch Fördermittel. Dabei ist es – wie gesagt – manchmal sinnvoller, aufzuhören, statt etwas künstlich am Leben zu halten.

Klingt, als würden Sie sich gegen die Professionalisierung aussprechen – obwohl Sie den ersten nationalen Kulturentwicklungsplan 2018-2028 koordiniert haben, der jene vorantreibt.

Nein, keineswegs. In Luxemburg wird der Begriff „Professionalisierung“ nur oft falsch verstanden. Für mich heißt das nicht, dass alle Kulturschaffenden von ihrer Kunst leben müssen oder jedes Projekt Jahrzehnte überdauern soll. Es geht darum, professionelle Rahmenbedingungen zu schaffen. Deshalb konnte ich die Kritik am „Fräiräim Festival“ der Philharmonie nicht nachvollziehen.

Was folgt

Das Tageblatt berichtet in den kommenden Wochen über ausgewählte Institutionen und Kollektive, die 2025 ihr 30-jähriges Bestehen feiern oder ein rundes Jubiläum begehen. Den Anfang dieser losen Serie markiert ein Interview zum 30. Geburtstag des „Atelier“ am Mittwoch.

Die Festivalleitung zahlt keine Gage.

Nein, weil sich das Festival an Freizeitmusiker richtet. Ich finde das legitim: Die Belohnung ist nicht das Geld, sondern die Möglichkeit, unter professionellen Bedingungen aufzutreten. Auch solche Plattformen sind wichtig. Menschen, die ihrer Kunst nebenberuflich nachgehen, sollen das auch unter optimalen Bedingungen tun können.

Was bereitet Ihnen Sorgen, wenn Sie im Hinblick auf die Kultur über die kommenden 30 Jahre nachdenken?

Die Vereinheitlichung der Kunst durch KI und 3D-Druck. Ich kann damit wenig anfangen. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Künstler demnächst auf den „Assises sectorielles“ zur KI positionieren werden. Bühnenkunst ist mir lieber. Das ist zumindest „live“, nahbar, lebendig. Ein Erlebnis, das kein Computer ersetzen kann. Ich bin nicht gegen moderne Technik, aber sie sollte dort eingesetzt werden, wo sie wirklich sinnvoll ist – etwa zur Verbesserung der Bild- und Tonqualität.

Gehört zu den Geburtstagskindern: „den Atelier“ wird dieses Jahr 30
Gehört zu den Geburtstagskindern: „den Atelier“ wird dieses Jahr 30 Foto: Vincent Lescaut/L’Essentiel

Und was wünschen Sie der Kultur in Luxemburg für die bevorstehenden 30 Jahre?

Dass sie uns weiterhin überrascht. Ich bin zuversichtlich: Die Luxemburger Kulturszene hat mich in den vergangenen 30 Jahren nicht enttäuscht – warum sollte sich das ändern? Doch träumen kann man immer: Schön wäre ein Nationalinstitut der Fotografie, idealerweise in Clerf. Das würde auch zur Dezentralisierung des Kulturangebots beitragen. Spannender fände ich die Kreation eines nationalen Tanzensembles, zumindest mit einer Testphase.