20. Oktober 2025 - 15.44 Uhr
KulturpolitikIdentitätsstiftend: Wie Gemeinden und Künstler von „Konscht um Bau“ profitieren

Im Innenhof der „Crèche“ fliegen silberne Sterne gen Himmel. Unten der steinige Boden, oben ein paar Wolken, dahinter grauer Beton. Und davor: 66 Sterne, manche von ihnen ganz klassisch, in fünfzackiger Form, andere verzerrt, verspielt, verzogen. Dünne Metallstangen heben sie in unterschiedlichen Abständen von der Wand hinter ihnen ab. Sie stieben in alle Richtungen, dem Betrachter entgegen. „Scintille“ heißt dieses Werk des luxemburgischen Künstlers Serge Ecker. „Scintille“ sind Funken auf Italienisch und sie schmücken seit vergangenem Jahr die „Crèche Italie“ im italienischen Viertel von Düdelingen. Es sind die Funken der Arbed, die in diesem ehemaligen Gastarbeiterviertel mit seiner Industrievergangenheit sprühen. Es sind aber auch die Funken der Kinder der „Crèche“. Sie haben die Vorlagen gemalt, anhand derer Ecker seine Sterne ausgeschnitten hat.

Eine Verbindung zwischen Stahlindustrie und dem modernen Düdelingen, sagt Loris Spina. „Es ist dem Betrachter überlassen, was man sieht.“ Spina ist Kulturschöffe der Gemeinde Düdelingen – und war Teil der Jury, die das Werk von Serge Ecker als „Konscht um Bau“ für die Kinderkrippe ausgewählt hat. Unter Kunst am Bau versteht man die Verpflichtung eines öffentlichen Bauträgers, seien es Staat oder Gemeinden, ein Prozent des Gesamtbudgets eines neuen Bauwerkes oder der Sanierung eines bestehenden Gebäudes in Kunst zu investieren. In Luxemburg ist das seit 2014 ein eigenes Gesetz, zunächst für staatliche Bauten, seit der Gesetzesänderung im Jahr 2023 auch für Bau- und Sanierungsprojekte der Gemeinden. Es braucht jedoch politischen Willen, denn sanktioniert wird ein Verstoß gegen das Gesetz nicht.
In Düdelingen rühmt man sich, Vorreiter in Sachen „Konscht um Bau“ zu sein. An einem Freitagnachmittag empfängt Bürgermeister Dan Biancalana im Rathaus, zusammen mit Kulturschöffe Spina und Marlène Kreins, die die Zusammenarbeit mit den Künstlern koordiniert hat. Düdelingen sei Kulturstadt „par excellence“, sagt Bürgermeister Biancalana. In den vergangenen Budgets habe man um die elf Prozent in Kultur investiert. Unterstützung von Kunst und Kultur sei Teil der DNA der Gemeinde. Und in der Tat, Düdelingen hat sich schon 2020 die Ein-Prozent-Regel für Kunst am Bau auferlegt. In den vergangenen Jahren hat die Gemeinde so mehrere Projekte umgesetzt: die Renovierung des „Centre sportif René Hartmann“, die neue Schule „Lenkeschléi“, die „Crèche Italie“ und der „Complexe sportif Strutzbierg“ – letzterer hat sogar gleich drei Kunstwerke bekommen.
„Die Kunst reiht sich in das Gebäude ein, sie trägt aber auch zur Identität des Gebäudes bei. Das geht in beide Richtungen“, sagt Biancalana. Ziel sei es, den Künstlern mehr Visibilität zu geben und zeitgleich Kunst öffentlich zugänglich zu machen und den Leuten nahezubringen. „Es traut sich nicht jeder, ins Museum zu gehen“, sagt Kulturschöffe Spina. „Konscht um Bau“ ist auch eine kulturpolitische Maßnahme zur Förderung von lokalen und nationalen Künstlern. „Sie ist eine wichtige Einnahmequelle aus Sicht der Künstler“, sagt Marlène Kreins. Die Gemeinde bekommt öffentliche Kunst, Künstler bekommen Geld. „Eine Win-win-Situation“, sagt der Bürgermeister. Das Auftragswerk „Scintille“ von Serge Ecker kostete beispielsweise etwas mehr als 31.000 Euro – ein Prozent des Gesamtbudgets der „Crèche Italie“.
Kunstwerke von allen akzeptiert
Bereits zweimal hat die Gemeinde in den vergangenen Jahren einen Aufruf an Künstler gestartet. Die Resonanz auf diese Ausschreibungen war sehr gut. Das Ergebnis: ein Pool an Künstlern, auf den die Gemeinde zurückgreift, wenn sie ein neues Gebäude mit Kunst am Bau plant. Teil des Pools sind ausschließlich nationale Künstler, aber auch lokale Künstler sind stark vertreten. „Glücklicherweise ist der Süden sehr kreativ“, sagt Kreins. Ausgewählt werden die Künstler dann von einer Jury, deren Zusammensetzung variiert. Frei nach dem gemeinschaftsorientierten Motto „Nothing for us, without us“ besteht die Jury immer auch aus Menschen, „die im Gebäude ein und aus gehen, die es mit Leben füllen, die dort ihrer Rolle nachgehen, seien es Lehrer oder Erzieher, oder eben Eltern und ihre Kinder“, sagt Spina. „Uns ist wichtig, dass das Kunstwerk nachher von jedem akzeptiert wird.“
Wo Kunst an öffentlichen Plätzen oder Gebäuden stattfindet, gibt es auch Potenzial für Kontroversen. In Deutschland zum Beispiel löste ein Gedicht auf der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule vor einigen Jahren eine Debatte über frauenfeindliche Kunst aus. In Luxemburg provozierte die kroatische Künstlerin Sanja Iveković vor beinahe 25 Jahren mit einer schwangeren „Gëlle Fra“. In Düdelingen hat man bislang keine schlechten Erfahrungen gemacht. „Im Gegenteil“, sagt Spina, „die Leute empfinden das als Aufwertung dieser Orte.“ „Bislang gab es kein negatives Feedback“, sagt der Bürgermeister. Auch im Gemeinderat sei „Konscht um Bau“ ein Projekt, das parteiübergreifend von Mehrheit und Opposition getragen werde. Den Künstlern selbst wird nichts vorgeschrieben, „aber es muss eine gewisse Sensibilität da sein“, sagt Biancalana. „Man muss immer schauen: Wo kommt das hin, wer ist das Zielpublikum?“, sagt Spina. „In einer Crèche kann man nicht alles aufhängen, auch wenn das künstlerisch vielleicht interessant ist.“ „Die meisten Projekte, die rausgesucht wurden, hatten eine konkrete Botschaft und auch konkrete Formen“, sagt Marlène Kreins. „Es geht immer darum: Passt es ans Gebäude? Macht es Sinn am Gebäude?“

Auch in der Zusammenarbeit mit Künstlern kann Kreins von keinen Hindernissen berichten. „Wenn es zu Verzögerungen im Zeitplan kam, lag das an Problemen mit den Händlern und Lieferanten der Künstler.“ So geschehen bei Trixi Weis’ „Wandrousen op Lenkeschléi“. Ursprünglich hatte die Künstlerin für ihr Werk an der Fassade der neuen Schule eiserne Bäume vorgesehen, auf denen sich kleine Windräder befinden. Das ließ sich technisch jedoch nicht umsetzen. Das Projekt musste von der Jury reevaluiert werden. Die Lösung: Weis brachte die Windrädchen direkt an der Fassade an.
„Konscht am Bau“ in Düdelingen ist ein Spiegel der Geschichte, im Dialog mit der Gegenwart. Eckers „Scintille“ ist nicht das einzig kollaborativ entstandene Werk. In der Schule „Lenkeschléi“ hängt eine Installation mit Origami-Figuren von Alice und David Bertizzolo, die auf der Vorarbeit der Schüler beruht. Und der Fotograf Patrick Galbats hat für sein Werk im „Complexe sportif Strutzbierg“ Fußabdrücke von Kindern aufgenommen, die hier ein und aus gehen, und ihren Weg von hinten belichtet. Diese partizipativen Elemente gäben der Kunst und dem Gebäude eine „zusätzliche Identität“, so Biancalana. Und die nächsten Projekte mit Kunst am Bau sind in Düdelingen bereits in Planung: ein neues Gemeindeatelier, eine neue Schule im Quartier „Bireng“ und ein neuer Sportkomplex beim Stade Kennedy.
Bis dahin baut die Gemeinde ihren Vorbildcharakter aus. Das Syvicol, der Dachverband der Gemeinden, hat Düdelingen für seine „Best Practices“ im Bereich Kunst am Bau ausgewählt. Verschiedene Gemeinden haben sich bislang mit Fragen beim „Service culturel“ der Stadt gemeldet. Bürgermeister Biancalana begrüßt das: „Man muss das Rad nicht neu erfinden.“ Er teilt seine Erfahrungen mit „Konscht um Bau“ gerne.
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