Wenn das Debakel um das Einschreiben der Freiheit auf Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung ein Gutes hat, dann, dass die Pluralität der Meinungen wieder sichtbar wird. An sich ein Gewinn, denn, so sagt es schon Jürgen Habermas (Philosoph, Soziologe und Demokratietheoretiker), erst in der deliberativen Politik, also in der Politik, in der das beste Argument als Maßstab gilt, kann ein vernünftiger Diskurs und freie Kommunikation untereinander stattfinden. Meinungen und Argumente, Positionen und Theorien werden gehört, geprüft und es wird gemeinsam geschlussfolgert, sodass Kommunikation und Vernunft gewinnen können.
So das Ideal, so die romantische Idee des Jürgen Habermas. Um sich diesem Ideal auch nur irgendwie annähern zu können, braucht es natürlich solide Grundbedingungen, und eine davon ist, dass die Gesprächspartner auf Augenhöhe miteinander diskutieren können. Ich kann nur mit jemandem so diskutieren, wenn ich diesen Menschen für „klar“ halte, vernünftig, könnte man sagen – ihn respektiere, ihm zuhören, ihn für voll nehme.
Das ist im demokratischen Diskurs eine absolute Notwendigkeit.
Das alte Narrativ der irrationalen Frau
Als ich den Beitrag von Dr. Schockmel las, fiel mir einiges auf, zu dem ich mich positionieren könnte (über Schwangerschaftsabbruch oder Abtreibung kann/muss man sehr komplex diskutieren, das ist seit Jahren klar), aber vorwiegend schockierte mich, wie einfach Dr. Schockmel den Frauen ganz klar das Vernünftig-Sein abspricht. Mit einem Satz nach dem anderen. (Zudem schreibt er von „dem“ Feminismus. Was ist denn „der Feminismus“? Gibt es den einen Feminismus überhaupt? – Aber darum geht es nicht.)
Es geht um Sätze wie: „Die allerwenigsten Frauen sind sich der subversiven, gesellschaftlich destruktiven Kraft des hiesigen Feminismus bewusst.“
Dr. Schockmel beschwört mit dieser Aussage nicht nur eine ominöse destruktive Kraft „des“ zerstörerischen (?) Feminismus hervor (eine Prämisse, die ohnehin erst einmal objektiv zu diskutieren wäre). Er bedient hiermit auch das alteingebrannte und abwertende Narrativ, dass Frauen nicht als Wissende angesehen werden können. Sie haben halt nicht so viel Ahnung von den Sachen, sie wissen ja nicht, um was es wirklich geht. Sie brauchen sogar jemanden, der ihnen sagt, dass sie sich dessen nicht bewusst sind. Das Bild der hysterischen, irrational reagierenden, unmündigen Frau ist eines, das scheinbar noch immer sehr wirkmächtig ist.
Wenn nun einem Menschen Glaubhaftigkeit, Vernunft, Bewusstsein oder Zeugnisfähigkeit abgesprochen wird, ist das ein Fall von hermeneutischer Ungerechtigkeit, die für zahlreiche Diskriminierungen in unserer Gesellschaft verantwortlich ist. Hermeneutisch meint die Interpretation, die Auslegung von etwas. Die hermeneutische Ungerechtigkeit meint in diesem Fall unter anderem die Unterstellung, dass Frauen nicht fähig sind, Situationen korrekt zu interpretieren. Ich erkläre mich.
Indem hier Frauen, die sich für Feminismus einsetzen, als Unbewusste und hassende (also gefühlsgetriebene), intolerante Wesen dargestellt werden (stand so im Beitrag), stellt man den Kontrast zum Bild des rationalen, gebildeten, männlichen Wissenden natürlich ganz drastisch her. Den Frauen wird so Wissen abgesprochen, Verständnis der eigentlichen und eigenen Situation, also Wesen, die nicht begreifen können. Wie sollte man ihren Argumenten also überhaupt Glauben schenken können?
Die Glaubwürdigkeit der Position der Frauen als Wissende wird so bewusst (?) geschmälert, die Frau wird zu Unrecht abgewertet.
Ohne Dialog keine Lösung

Dies verschließt von vornherein die Möglichkeit zum vernunftbasierten Dialog, zum konstruktiven Austausch bezüglich eines gesellschaftlichen Problems, das ohne Kommunikation nicht zu lösen ist. Entweder könnte man Dr. Schockmel hier einen groben logischen Fehler unterstellen (denn wie will man ein Problem des Miteinanders lösen, ohne das Miteinander einzubegreifen?), dies klingt aber alles andere als vernünftig, und das wollen wir ja nicht annehmen. Oder aber man müsste sagen, dass Dr. Schockmel sich beim Bedienen dieser alten Narrative nicht bewusst war, welche Konsequenzen solche Aussagen haben, besonders in Bezug auf Achtung der Würde des Gegenübers. In Bezug darauf, dass alle Menschen als gleich anzusehen sind, als freie Wesen, mit freien Meinungen, Gedanken, mit Vernunft. Dies kann man ja aber aus oben besagten Gründen nicht pauschal von vornherein annehmen. Sollte dies jedoch bei einem gewählten Politiker der Fall sein, dann stellen sich noch weitere, drängende Fragen, die auf jeden Fall in der Gesellschaft zu diskutieren wären. Denn dann wäre es nicht „der“ Feminismus, der systemisch diskriminiert (wie im Beitrag suggeriert), sondern eine noch immer nicht gleichberechtigte Gesellschaft, scheinbar mitsamt einiger ihrer delegierten Vertreter, die im „Anderen“ das Minderwertige sieht, das nicht dazu gehören darf.
De Maart
"Abtreibung weiter stark promovieren ist doch etwas fragwürdig, "
Abtreibung fördern, kriegt man eine Prämie oder eine Auszeichnung, wenn man abtreibt?
"da ihnen aus biologischen Gründen hierfür weniger Zeit bleibt als einem Mann"
Kenne jetzt direkt 2 Männer welche den "Hausfrauenberuf" freiwillig gewählt haben um die Kinder zu betreuen, u.a. aus finanziellen Gründen.
Durfte mit meinen nun 75 Jahren und mittlerweile Opa, die Entwicklung von Frauenrechten live miterleben mit der bitteren Erkenntnis, dass in unserer Gesellschaft die Gleichberechtigung und Würde des Gegenüber ihren Platz noch nicht gefunden hat.
Vielen Dank für Ihre brillante Analyse Frau Dr. Schleich
Guter Beitrag, allerdings hat Dr. Schockmel auch Recht, wenn er von einem destruktiven Feminisumus redet. Ein Beispiel hierfür ist, die Tatsache dass mit dem Drang der Gleichberechtigung, den Frauen die Frieheit der Wahl, Karriere oder Familie bewusst/ oder unbewusst genommen wurde. Heute muss eine jede Frau arbeiten gehen, wenn sie hier im Land leben will. Fast keine Familie kann mehr von nur einem Gehalt leben. Desweiteren müssen sie innerhalb kürzester Zeit, Familie und Karriere unter einen Hut bekommen, da ihnen aus biologischen Gründen hierfür weniger Zeit bleibt als einem Mann. Mit dem heutigen Trend können auch viele Frauen sich nicht mehr um ihre Kinder nach der Geburt kümmern, da die Einschneidungen ins Gehalt während der Mutterschaft so aggravierend sind, dass es sie weit unter die Armutsgrenze drückt. All dieser Druck wirkt sich natürlich sehr negatif auf die psyschiche Gesundheit aus. Dass viele feministische Organisationen vor diesem Hintergrund nun die Abtreibung weiter stark promovieren ist doch etwas fragwürdig, ob diese Organisationen wirklich das wohl der Frauen im Sinn haben? Mit jedem Recht kommen nun halt auch Pflichten, so sich eben um betroffene Frauen und den Konsequenzen einer Abtreibung zu kümmern, hier hört man sehr wenig aus dem besagten Lager. Die Abtreibung soll nun wirklich nich als Allheilmittel zur Karriereabsicherung dienen.
Auch nach mehrmaligen Lesen des Beitrag kann ich keinen Mehrwert für die allgemeine Gesellschaft entdecken. Ganz im Gegenteil, ausser einer Polemisierung der Themata und eine versuchten Selbstinszenierung der Person Schleich verschliesst sich mir der Sinn dieses Pseudoreferats.
eng pertinent an argumentiert philosophesch Analyse.
Den zwanglosen Zwang vum besseren Argument giff der poltischer Diskussion ingesamt gutt doen. Hoffen nach méi vun der Madame Schleich ze heieren.
Wo die Philosophin Recht hat, da hat sie eben Recht. Dr Schockmel kann sich da eine Scheibe abschneiden......
Zum Thema "Im 'Anderen' das Minderwertige sehen, das nicht dazugehören darf" druckfrisch aus dem SPIEGEL - Ticker von Herrn Frederik SEELER: Das Todesschloß Bereits vor dem Holocaust ermordeten die Nationalsozialisten in einer Geheimaktion behinderte und psychisch erkrankte Menschen. Doch lange hat sich kaum jemand für die Opfer der "Euthanasie" interessiert (…) Laut einem bekannten luxemb. Historiker wurde ein ehemalige Direktor des TAGEBLATT in Hartheim vergast. MfG, Robert Hottua
Eng excellent Analyse. Merci.
Klenge logeschen Denkfehler vun der Madame Dr. Phil.! De Kontrast zu "Frauen, die sich für Feminismus einsetzen" ass net d' "Bild des rationalen, gebildeten, männlichen Wissenden", mee "Frauen, die sich nicht für Feminismus einsetzen". Awer et hellt ee jo ëmmer dat wat engem am Beschten a säin ideologesche Framing passt. Bei der Causa Schockmel geet et jo net méi op eng Kouhaut wat dee Mann alles vu FraerechtlerInnen an de Mond geluecht kritt.
Sehr interessante, absolut passende Analyse von Frau Dr Schleich. Die anachronistische Gesinnung von Dr Schockmel muss jeden Demokraten erschrocken zurücklassen, insbesondere deshalb, da er Abgeordneter einer liberalen Partei ist, und das passt nun absolut nicht zusammen.