Sonntag19. Oktober 2025

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SerbienBelgrad purzelt beim Schlingerkurs zwischen Ost und West zunehmend zwischen alle Stühle

Serbien / Belgrad purzelt beim Schlingerkurs zwischen Ost und West zunehmend zwischen alle Stühle
Abgekühlte Beziehungen: Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (l.) war am Mittwoch zu Gast beim serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic (r.) Foto: Andrej Isakovic/AFP

In vermeintlicher Nachfolge des blockfreien Jugoslawiens versucht sich der EU-Anwärter Serbien im Seiltanz zwischen Ost und West. Doch nicht nur im In-, sondern auch im Ausland verliert der autoritär gestrickte Präsident Vucic an Kredit: Sein Schlingerkurs bugsiert das Land zunehmend ins Abseits.

Auch großflächiges Textil kann den tristen Stand der Dinge beim EU-Anwärter Serbien kaum mehr verbergen. Selbst das eigens für EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen über die 115 Meter hohe Fassade des Belgrader Genex-Turms gespannte Europabanner ersparte Gastgeber Aleksander Vucic nicht den demonstrativen Liebesentzug.

Statt mit dem üblichen „lieber Aleksandar“ begrüßte die Besucherin aus Brüssel Serbiens Staatschef bei ihrer Kurzvisite am Mittwoch mit einem kühlen „Herr Präsident“. Und statt ihn als vermeintlichen „Reform-Champion“ zu preisen, wartete die Liebhaberin windelweicher Höflichkeitsfloskeln mit einer für ihre Verhältnisse ungewohnt deutlichen Botschaft auf.

Von einer sich „weitenden Kluft zwischen Demokratien und Autokratien“ sprach vielsagend die Kommissionschefin, die von Vucic erneut Fortschritte bei der Schaffung rechtsstaatlicher Verhältnisse, die Übernahme der EU-Sanktionen gegen Moskau und die Abnabelung vom russischen Gastropf forderte: „Sie wissen sehr gut, wo die EU steht. Wir stehen für Freiheit statt für Repression, für Partnerschaft statt Unterordnung, für Diplomatie statt Aggression.“

„Ein Schritt näher zur EU!“, jubelt am Donnerstag zwar pflichtschuldig begeistert die Regierungspostille Kurir. Doch andere sehen das anders. Die Botschaft aus Brüssel sei „klar“, so Marko Vujacic von der oppositionellen ZLF: „Die Zeit des Herumirrens ist abgelaufen. Serbien muss sich von Russland trennen – und sich der Demokratie und Europa zuwenden.“

Serbien erleidet Verluste an allen außenpolitischen Fronten

Die Belgrader Zeitung „Nova“

Wie einst das blockfreie Jugoslawien versucht sich der EU-Anwärter im Seiltanz zwischen West und Ost. Schon der frühere Präsident Boris Tadic hatte 2009 von den „vier Säulen“ der serbischen Außenpolitik gesprochen, die auf guten Beziehungen zur EU und Russland, aber auch zu China und den USA fuße.

Unter der seit 2012 regierenden SNS von Vucic setzt Belgrad zwar offiziell auf die Fortsetzung der EU-Integration, scheint aber außer an EU-Investoren, den Brüsseler Vorbeitrittsmitteln und dem gemeinsamen Markt an europäischen Werten keineswegs interessiert. Im Gegenteil: Aus seiner Vorliebe für autoritäre Staatenlenker macht Vucic keinerlei Hehl.

„Kein Licht am Ende des Tunnels“

Doch nicht nur innenpolitisch gerät Serbiens Dauerregent durch die Protestwelle gegen die Korruption zunehmend unter Druck. Auch außenpolitisch scheint Vucic sein Land zunehmend in die Isolation und zwischen alle Stühle zu bugsieren. Von einem „Fiasko“ spricht die Belgrader Zeitung Nova: „Serbien erleidet Verluste an allen außenpolitischen Fronten.“

Tatsächlich hat Belgrad den Schmusekurs mit Moskau und Peking nicht nur mit stark abgekühlten Beziehungen zur EU zu bezahlen. Selbst die neue US-Administration des von Vucic vergötterten Donald Trump hat letzte Woche Sanktionen gegen den serbisch-russischen Ölriesen NIS verhängt, um Belgrad zur Übernahme der Gazprom-Beteiligung an dem Konzern zu zwingen.

Auch Moskau scheint dem schillernden Politchamäleon Vucic wegen der Waffenverkäufe serbischer Rüstungsschmieden an die Ukraine über Drittstaaten nur noch bedingt zu trauen – und lässt Belgrad mit der immer wieder verschobenen Unterzeichnung eines neuen Gasliefervertrags weiter zappeln. Mit seinen wüsten Ausfällen gegen Ankara wegen der türkischen Lieferung von Kampfdrohnen an Kosovo hat es sich Vucic gleichzeitig mit dem lange von ihm als „Freund“ gepriesenen Autokratenkollegen Recep Tayyip Erdogan verscherzt.

Vucic versuche, ein wenig in der Umarmung des russischen Bären zu sein, ein wenig in den Krallen des chinesischen Drachen und sich ein wenig „im Sattel von Onkel Sam“ zu halten, aber vernachlässige mit Brüssel ausgerechnet die Adresse, wo das Land eigentlich hingehöre, ätzt der Kolumnist Ranko Pivljanin: „Das Resultat ist die reine Katastrophe. Der Hauptmaschinist jagt den serbischen Zug auf ein Abstellgleis, an dessen Tunnelende es kein Licht gibt.“