Samstag27. Dezember 2025

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Durchbruch bei wichtigen VorhabenDie Nacht, in der sich die deutsche Regierungskoalition zusammenrauft

Durchbruch bei wichtigen Vorhaben / Die Nacht, in der sich die deutsche Regierungskoalition zusammenrauft
V.l.: CSU-Chef Markus Söder, der deutsche Kanzler Friedrich Merz, Arbeitsministerin Bärbel Bas und der Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil geben Erklärungen zu den Vereinbarungen innerhalb der Koalition Foto: AFP/Odd Andersen

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Erst Rouladen, dann acht Stunden Verhandlungen: Die Regierungskoalition in Berlin schafft bei wichtigen Vorhaben einen Durchbruch – etwa bei der Bürgergeldreform. Danach sah es aber zunächst nicht aus. So verlief die Nacht für Schwarz-Rot.

Ob es die Gemüter etwas beruhigt hat? Es soll Rouladen in der Kanzlerwohnung gegeben haben. Danach geht es intensiv zur Sache. Acht Stunden ringen die Koalitionäre von Union und SPD in der Nacht zu Donnerstag um Grundsätzliches und um Details. CDU-Kanzler Friedrich Merz nennt das später eine „wirklich ausgesprochen gute Atmosphäre“.

Nun gut. CSU-Chef Markus Söder wird da ein bisschen deutlicher: Der bayerische Ministerpräsident spricht am Morgen nach dem Koalitionsausschuss von einer „Marathonsitzung“. Söder weiter: „Es war auch eine ernste Stimmung, weil wir auch ernste Zeiten haben.“ Man habe aber etliches weggearbeitet und dicke Bretter gebohrt. Dazu passen die Bilder eines im Kanzleramt heftig gestikulierenden Bayern, die man im TV sehen kann. Am Ende verlässt der CSU-Mann das Kanzleramt um kurz nach zwei Uhr, SPD-Chef Lars Klingbeil bleibt als letzter bei Merz zurück. Am Morgen danach sieht Klingbeil besonders geschafft aus.

Die Nacht, das betonen alle, war entscheidend für die Koalition. Es brauchte Einigungen, besonders auf Kanzler Merz war der Druck sehr hoch. Denn aus Sicht seiner Union soll mit Gesetzesbeschlüssen im Herbst noch die Handlungsfähigkeit der Regierung bewiesen werden. Schlechte Umfragewerte setzen beiden Regierungspartnern zudem kräftig zu.

Es war auch eine ernste Stimmung, weil wir auch ernste Zeiten haben

Markus Söder, CSU-Chef

Im Vorfeld war auch nicht klar, ob es dem Bündnis gelingen würde, an einem Strang zu ziehen. Schon in den Vorbesprechungen zum Koalitionsausschuss soll es hoch hergegangen sein zwischen den Partnern, so berichten es jedenfalls Unionskreise. Längst gefundene Kompromisse seien vor allem von SPD-Seite wieder infrage gestellt worden. Die Genossen seien „unwillig“, der Frust in der CDU/CSU-Fraktion daher groß, hieß es. Parteichefin Bärbel Bas sei offenkundig nun bei der SPD die starke Frau, Klingbeil hingegen angeschlagen. Ob dem tatsächlich so gewesen ist? Oder handelte es sich lediglich um einen Unions-Spin, um den Druck auf die SPD zu erhöhen? Zumal andere Verhandler ein etwas anderes Bild zeichneten: Man müsse vor allem Bas dankbar sein, die bei der Bürgergeldreform den Weg für Ergebnisse geebnet habe. Doch zu welchem Preis? Man wird sehen.

Vor der Sitzung betonte ein wichtiger Minister, man arbeite „unter Hochdruck“ an mehreren Dossiers zur Vorbereitung des Koalitionsausschusses. Das klappe so weit ganz gut. Der Abend werde „anspruchsvoll“, aber alles sei durchaus machbar, so der Minister zum Tageblatt. So kommt es dann auch. Am Morgen nach dem Treffen und dem Durchbruch bei wichtigen Projekten schickt Unionsfraktionschef Jens Spahn seinen Abgeordneten eine SMS: Nachdem der Ausschuss in der Nacht bis circa 2.30 Uhr getagt habe, habe man von einer nächtlichen Videokonferenz abgesehen. Man werde daher am Freitagmorgen in einer Fraktionssitzung über die Ergebnisse informieren. „Bei Fragen gerne direkt bei mir melden. LG Jens“. Fragen zu Details der Beschlüsse dürfte es durchaus noch geben.

Das Symbolthema Bürgergeld ist abgeräumt

Die in der Hauptstadt beliebten Hintergrundgespräche, die vorher angedacht waren, werden jedenfalls am Donnerstagmorgen kurzfristig abgesagt. Stattdessen kommt um sechs Uhr die Einladung zur Pressekonferenz. Dann sickern die Details zum Bürgergeld durch. Das Aufatmen der Koalitionspartner ist erst einmal groß. Ohne eine Verständigung wäre man wohl in sehr schwere Fahrwasser geraten, nach noch nicht einmal einem halben Jahr Koalition.

Was bleibt von dieser langen Nacht im Kanzleramt? Es gibt eine Einigung, die alles andere überstrahlt. Das Symbolthema Bürgergeld ist abgeräumt. Und zwar in einer Art und Weise, die beide Partner mit sich und ihren Parteien vereinen können. Bas, neben SPD-Chefin auch Arbeitsministerin, erklärt das für ihre Partei schlüssig. Und auch Merz, dem in den vergangenen Tagen viel Unmut aus den eigenen Reihen entgegengeschlagen ist, kann einen Erfolg verkünden. Wie viel Einsparung das am Ende bringt? Offen. Aber das Thema, das die Ungerechtigkeiten im Sozialstaat offen legt, ist nun vom Tisch.

Und auch der Streit über offene Verkehrsprojekte ist gelöst, die Unklarheiten bei der Finanzierung von Neu- und Ausbauprojekten für Straßen und Schienen sind ausgeräumt. „Alles, was baureif ist, wird gebaut“, sagt Merz. Zur Realisierung würden alle Finanzierungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Außerdem sollen drei Milliarden Euro extra für Autobahnen und Bundesstraßen organisiert werden.

Bei wichtigen Bauvorhaben waren Irritationen aufgekommen, nachdem es aus dem Verkehrsministerium geheißen hatte, bestimmte Aus- und Neubauprojekte in der Zeit bis 2029 würden wegen eines Finanzierungslochs wackeln. Eine lange Liste kursierte. „Mal stand die Zahl 15 Milliarden im Raum“, sagt Klingbeil. „Wir haben dann im Prozess gesehen, dass sich diese Summe erheblich verringert hat.“ Im Verkehrsbereich gibt es schließlich noch Kaufanreize für E-Autos für kleine und mittlere Einkommen. Das ist besonders der SPD wichtig.

Wie umgehen mit dem Verbrenner-Aus

Keine gute Figur in dieser Gemengelage macht Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU). Auch intern wird über seine Kommunikation und die Liste, die vorgelegt worden ist, der Kopf geschüttelt. Finanzminister Klingbeil, der mit Schnieder den Streit ausfechten musste, sagt, es gebe keine Auseinandersetzung über die Frage, ob alles, was baureif ist, auch gebaut werden soll. „Der Streit hat mich in den letzten Wochen ein bisschen …“, Merz raunt ihm zu: „gefordert“. Klingbeil lächelt: „hätte gern drauf verzichtet“.

Eine Einigung gibt es auch bei der Rente: Die sogenannte Aktivrente, mit der Menschen im Rentenalter 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können, soll ab dem 1. Januar 2026 stehen und ohne Progressionsvorbehalt gelten, das heißt, Steuern werden nur für das Gehalt oberhalb dieser Summe erhoben.

Eine Frage bleibt allerdings offen, die ohnehin nicht in Deutschland entschieden wird. Wie umgehen mit dem von der EU beschlossenen Verbrenner-Aus im Jahr 2035? Die Union – allen voran Kanzler Merz – wollte das Verbrenner-Aus in dieser Form kippen. Die SPD nicht. Man habe da noch nicht zu einer abschließenden Bewertung gefunden, betont Merz, allerdings erst auf Nachfrage. Er verweist auf den „Autodialog“ am Nachmittag – dort wolle man mit der Automobilindustrie sprechen, „um aus dem Dialog heraus zu einer Bewertung zu kommen“. Klingbeil deutet an, dass er Kompromissmöglichkeiten sieht: Man sei in der Debatte schon „sehr weit gekommen“. Die ganz große Koalitionskrise jedenfalls, sie wird in der Nacht abgeräumt.