Der Arbeiter steht auf einem Treppchen. Mit der linken Hand hält er das Banner fest, mit der rechten zieht er es glatt. Nur noch wenige Buchstaben lassen vermuten, was zuvor auf dem Schild stand. Als der Mann absteigt, ist sein Werk vollbracht: Die Tram-Haltestelle „Theater“ in Luxemburg-Stadt heißt noch bis zum 6. Oktober „Trounwiessel“. Das Nationalspektakel findet schließlich derzeit nicht auf Luxemburgs Bühnen, sondern rund um die großherzogliche Familie statt.
Zusagen
Ian De Toffoli – Theatermensch, Verleger und Autor – wurde mit der Inszenierung des Volksfestes am Samstag beauftragt. Die Idee kam vom Event-Team des „Trounwiessel“ unter der Leitung von Laurent Loschetter (A-Promotions/„den Atelier“). „Es ging darum, die Feierlichkeiten zu kuratieren und über den Tag hinweg eine Geschichte zu erzählen“, sagt De Toffoli dem Tageblatt. Das Team entschied sich für das Leitmotiv „Dem Grand-Duc seng feierlech Tournée“. Die Handlung: Das neue großherzogliche Paar tourt durchs Land, um die Leistungen und Errungenschaften von Luxemburgs Bevölkerung zu verfolgen. Es macht Halt in der Hauptstadt, in Düdelingen, Grevenmacher, Wiltz und Steinfort. „An dem Tag feiern wir nicht die Monarchie, sondern die Menschen in Luxemburg und die Kulturschaffenden“, beschreibt De Toffoli das Konzept. Das Programm reicht von Konzerten über ein Tram-Ballett bis hin zur gemeinsamen Mahlzeit, serviert auf Luxemburgs längstem Essenstisch.

Ich verstehe, dass man sich über meinen Einsatz wundert, aber ich wollte mich dieser neuen Erfahrung nicht verschließen
„Es geht darum, Spaß zu haben und den sozialen Zusammenhalt zu stärken“, so De Toffoli. Das sieht Marc Scheer, Programmleiter von Cooperations und mitverantwortlich für die Feierlichkeiten in Wiltz, ähnlich. Er versteht das Volksfest als Chance, seine Gemeinde in Szene zu setzen. „Wir arbeiten gut zusammen und genießen viele Freiheiten“, sagt Scheer. „Die Kulturzentren in Wiltz sind politisch neutral, doch wir bemühen uns um ein kritisches, engagiertes Programm.“
So stellte zuletzt der iranische Fotokünstler Alborz Teymoorzadeh im „Prabbeli“ in Wiltz aus, durfte aber nicht zur Vernissage einreisen: 2024 wurde sein Asylantrag in Luxemburg abgelehnt und er musste das Land verlassen. Die Schau galt als Statement gegen diese Entscheidung. Im Interview zur Eröffnung der Kunstresidenz „Dialog“ sprach Scheer davon, die Eventkultur nehme in Luxemburg überhand; es brauche ein stärkeres Bewusstsein für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kreativschaffenden. Warum beteiligt er sich jetzt selbst an einem Massenevent? „Wir hätten eine Gegenkampagne mit kritischem Programm lancieren können“, sagt er, „doch in diesem Fall war es uns wichtiger, ein Fest zu gestalten, das der Gemeinde und seiner Bevölkerung zugutekommt.“
De Toffoli begreift seinen eigenen Auftrag zudem als einmalige Gelegenheit, ein Projekt dieser Größenordnung durchzuführen. In dem Zusammenhang erwähnt er den französischen Theaterregisseur Thomas Jolly, der 2024 die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris kuratierte. „Das sind Traumjobs, die du nicht ablehnen kannst“, meint De Toffoli. „Mir geht es nicht ums Geld. Die Herausforderung reizte mich.“
Ablehnung
Worauf sich De Toffoli und Scheer freuen, „widert“ Richtung22 „an“. „Fällt uns in diesen bitteren Zeiten nichts Besseres ein, als den undemokratischen Teil unserer Verfassung mit einer megalomanen Party zu feiern?“, kommentiert das Kollektiv die Volksfeste auf Nachfrage des Tageblatt. Die Mitglieder befassten sich in der Vergangenheit unter anderem in den Filmen „Staatsgeheimnis“ (2014) und „Heng Over“ (2019/2020) kritisch mit der Monarchie. Reaktionen vom „Haff“ gab es darauf noch nie – und „das ist in Ordnung“, so das Kollektiv.
Wir hätten eine Gegenkampagne mit kritischem Programm lancieren können, doch in diesem Fall war es uns wichtiger, ein Fest zu gestalten, das der Gemeinde und seiner Bevölkerung zugutekommt
Dass Teile des Kultursektors skeptisch sind, weiß auch De Toffoli. Er selbst erhielt Zuspruch, aber auch Gegenwind. „Eine Kollegin dachte, die Einladung zum Tram-Ballett sei ein schlechter Scherz“, erinnert er sich. In der Kulturszene fiel er bisher tatsächlich noch nicht als Grand-Duc-Fan auf. In seinem aktuellen Theaterbuch „Léa ou la théorie des systèmes complexes“ (2024) übt er eher eine radikale Systemkritik. „Ich verstehe, dass man sich über meinen Einsatz wundert, aber ich wollte mich dieser neuen Erfahrung nicht verschließen.“

Weder er noch Scheer bezeichnen sich als Monarchisten. Beide können nachvollziehen, dass manche die Events ablehnen. „In dem Sinne ist es auch berechtigt, das Budget zu hinterfragen, das für die Feierlichkeiten bereitgestellt wird, oder zu beanstanden, dass die Stadt Luxemburg die Kosten erst nachträglich offenlegt“, findet Scheer. Das Tageblatt erhielt keine Auskunft über das Gesamtbudget für das Kulturprogramm zum „Trounwiessel“. Es liege noch nicht vollständig vor, so ein Sprecher der „Maison du Grand-Duc“. In einer Pressekonferenz der hauptstädtischen Gemeindeverwaltung verriet Loschetter lediglich: 98 Prozent des Event- und Musikbudgets komme Musizierenden aus Luxemburg zugute.
Doch Scheer sorgt sich momentan mehr um die aktuelle Regierungspolitik als um die Monarchie. „Muss Luxemburgs Kulturszene sich dahingehend stärker politisieren?“, wirft er ein. „Ich höre – bis auf wenige Ausnahmen – kaum Stimmen, die sich kritisch zur Gaza-Politik, zur Aufrüstung oder zu unserem gefährdeten Sozialstaat äußern.“ Dazu passt, dass De Toffoli im Rahmen des Thronwechsels nur wenige Absagen aus dem Kultursektor erhielt. Ein Umstand, der Richtung22 beunruhigt: „Wir sind besorgt, wie viele Menschen aus der Kulturszene sich an einer Show für einen Monarchen beteiligen und damit dessen Rolle rechtfertigen. Allgemein haben wir den Eindruck, dass der Sektor sich instrumentalisieren lässt. Er vermittelt Werte und Messages, denen er eigentlich entgegenstehen müsste.“ Für Richtung22 ist das eine Bankrotterklärung.
Das Kollektiv wurde nicht zum Volksfest eingeladen. Hätte es die Einladung ausgeschlagen? „Wir hätten natürlich sofort zugesagt, denn wir stecken momentan in finanziellen Schwierigkeiten“, antwortet es. „Ob das wohl daran liegt, dass der Großteil der Gelder nicht in die freie Kreation, sondern in staatliche oder kommunale Auftragsarbeiten fließt?“ Nach eigenen Aussagen kämpft Richtung22 seit dem Kulturjahr Esch2022 um finanzielle Stabilität. Noch dazu befindet sich das Kollektiv derzeit in einem Gerichtsprozess gegen den Escher Kulturverein „frEsch“. Warum es zur Anzeige kam: Nach Ablauf des Mietvertrags weigerte sich Richtung22, seine Ateliers im Kulturzentrum „Bâtiment4“ (B4) zu räumen. Aus Protest gegen die Escher Kulturpolitik und den Umgang mit den Kunstschaffenden im B4.
Alternativprogramm
„Wir hätten eine ‚Guillaumetine‘ auf dem Knuedler aufgerichtet oder wir hätten uns als Fidel Castro verkleidet, um die scheidende Großherzogin Maria Teresa als die letzte Batista an der Spitze eines Staates zu feiern“, offenbaren die Mitglieder ihre Ideen. „Alternativ hätten wir mit einem Videomapping auf der Fassade des ‚Palais‘ die koloniale Herkunft der Diamanten an der großherzoglichen Tiara thematisiert.“ Stattdessen fällt der Beitrag von Richtung22 bescheidener aus. Das Kollektiv organisiert auf Eigeninitiative einen satirischen Audio-Kommentar zum Streaming der Thronbesteigung und zum Volksfest. Dafür schaltet das Publikum am 3. Oktober (10.00 Uhr) und am 4. Oktober (12.15 Uhr) den offiziellen Video-Stream auf trounwiessel.lu ein, dreht den Ton auf stumm und lässt parallel den Audio-Stream auf richtung22.org laufen.

„Jeder Mensch sollte das Event mitverfolgen, unabhängig von unserem Kommentar“, so das Kollektiv. „Alle müssen miterleben, wie schnell eine Staatsform zur Show wird. Das Organisationsteam, darunter die Staatsführenden und Medienhäuser wie RTL, halten uns doch für dumm: Als würden spektakuläre Bilder und patriotische Unterhaltung ausreichen, um die Monarchie zu legitimieren!“ Das Kollektiv moniert, es habe keine Feier zur Verabschiedung der neuen luxemburgischen Verfassung gegeben. Luxemburgs demokratische Grundpfeiler, wie die Tripartite oder das Versammlungs- und Demonstrationsrecht, seien derzeit in Gefahr.
Der Thronwechsel diene vor allem dem Nation Branding, also der positiven Vermarktung Luxemburgs im Ausland. „Insbesondere die wohlhabendsten Investoren sollen sehen: In Luxemburg lassen es sich die Menschen noch gut gehen. Dort gibt es ein royales Paar, eine Lasershow und vor allem – und das entspricht dem Mantra unserer Regierung – Stabilität: Die Spitzenposition des Landes wird durch die Blutlinie vererbt und das sorgt für maximale Planungssicherheit“, schreibt Richtung22. „Genau das ist die undemokratische Message, die Luxemburg am Wochenende in die Welt hinausposaunt.“
Kunst oder Instrument?
Im Austausch mit Ian De Toffoli ist ebenfalls von Nation Branding die Rede. Er streitet den Vorwurf nicht ab, verneint aber die bereits erwähnte Instrumentalisierung der Kulturschaffenden. Vielmehr begrüßt er es, dass vom Management bis hin zu den Acts auf das Know-how aus Luxemburg gesetzt wurde: „Wir zeigen damit, dass Luxemburgs Künstlerinnen und Künstler großartig sind. Niemand wurde zu einem Auftritt gezwungen. Alle Beteiligten erhalten eine angemessene Gage und Sichtbarkeit. Ich begreife uns eher als Kulturbotschafter.“ Diese Haltung kommt in einer Vorbereitungsbroschüre für die Acts auf dem „Glacis“ noch mal zum Ausdruck, denn dort heißt es in Großbuchstaben „YOU GUYS ARE SHOWCASING THE COUNTRY.“
Wir sind besorgt, wie viele Menschen aus der Kulturszene sich an einer Show für einen Monarchen beteiligen und damit dessen Rolle rechtfertigen
Freiwillig? Richtung22 hinterfragt das. Das Kollektiv verweist auf die prekäre Lebenssituation der Kulturschaffenden in Luxemburg. „Die Bezahlung von Kunstdarbietungen in Luxemburg zwingt die Menschen dazu, Projekte durchzuführen, hinter denen sie nicht stehen“, schreibt das Kollektiv. Nach Tageblatt-Informationen erhalten verschiedene Bands für ihre Kurz-Performances eine Gage im höheren vierstelligen Bereich – bei abendfüllenden Shows, fernab des großherzoglichen Trubels, liege das Honorar hingegen oft unter 500 Euro. „Ich bin mir dessen bewusst“, sagt Ian De Toffoli. „Das Engagement für die Kulturszene muss über diese Großveranstaltung hinausgehen. Die Hoffnung besteht, dass das Publikum Kultur aus Luxemburg für sich entdeckt und das Event nachhaltige Verbesserungen für den Kultursektor nach sich zieht.“
De Maart

Firwaat sollt eisen Kultursektor Distanz zu engem Event haalen? Ech sinn wirklech frou wann den Thronwiesel färdeg ass an all dess idiotesch an dauerhaft negatif Artikelen färdeg sin. Den Kultursektor lieft nunmol vun Events ob deenen se hier Konscht kennen prsenteieren. An ween e bessen Ahnung vun Geschicht huet, wees dass et ganz oft eben den "Adel" bzw. grouss Staatsevenementer sinn, dei vill Opträg dem Konschtsekteur brengen! Et muss een sech wirklech froen waat fir eng "Kultur" T hei welll promoveieren!?! Mee jo, loost ons den ESC weider feieren als "gudd" Kultur an en Nobody d'Land representeieret ob enger Bühn zesummen mat Russland an Israel!