Sonntag21. Dezember 2025

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Deutscher Buchpreis 2025Fiona Sironic geht mit ihrem Debütroman über die Wut auf das Internetzeitalter ins Rennen

Deutscher Buchpreis 2025 / Fiona Sironic geht mit ihrem Debütroman über die Wut auf das Internetzeitalter ins Rennen
Die Autorin Fiona Sironic Foto: HumboszK2, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

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In ihrem Debüt „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ erzählt Fiona Sironic von der ersten queeren Liebe und den Ekel auf die fahrlässige Datenpreisgabe im porösen Internet. Der furiose Roman ist ein ernsthafter Anwärter auf den Deutschen Buchpreis 2025.

„Meistens will Maja was anzünden gehen. Manchmal bringt sie neue Sachen aus dem Chemietrakt mit, die wir hinter der Hecke / hinter der Turnhalle zusammen ausprobieren, manchmal ist Merle dabei, dann fasst Maja mich nicht an, aber ich darf vielleicht selbst was Kleines anzünden, was fast genauso gut ist.“ Maja und ihre kleine Schwester Merle sind Figuren in Sironics queerem Coming-of-Age-Roman. Ihre Mütter, Alice und Emily, „sind fame“, denn sie sind Influencerinnen, die schon seit ihrer Jugend „Content“ für ihre „Communities“ auf Social Media produzieren. Als die zwei Frauen ein Paar und schließlich Eltern werden, schmieden sie auch beruflich eine Gemeinschaft – als „Momfluencerinnen“ – und dokumentieren das Heranwachsen ihrer Tochter Maja für alle öffentlich zugänglich im Internet.

Maja wächst so mit einer unbändigen Wut auf die Welt auf, angetrieben vom Wunsch, alles kaputtzumachen. „Der Rest der Geschichte ist Content. Die Kanäle verschmolzen zunächst nicht, aber die Inhalte und ihre Konsument*innen/die Followerschaft wurden eins, genau wie Alice‘ und Emilys Management […].“ Die introvertierte Ich-Erzählerin Era und die ungestüme Maja, in die sich Era verlieben wird, leben in einer Welt, in der die Menschen über Social-Media-Kanäle, Apps und Chat-Anbieter geradezu durchsichtig geworden sind. Sie eint die Angst vor dem Kontrollverlust und eine Aggression, die sich entlädt, indem sie in den Wald ziehen und Dinge in die Luft jagen. Vor allem auf die Vernichtung von Datenträgern haben sie es abgesehen.

Ein fulminantes Stück Gegenwartsliteratur und ein ernsthafter Anwärter auf den diesjährigen Deutschen Buchpreis

Sprachlich ausgefallen, vermischen sich in der Prosa Jugendslang mit politischer Aufmüpfigkeit und der Arroganz einer Heranwachsenden. Zugleich reflektiert Sironic durch ihre Ich-Erzählerin Era ihr eigenes Schreiben und den Versuch, von der Gegenwart etwas zu bewahren und eine Geschichte zu erzählen: „Für eine Weile ist es ruhig geblieben. Immer wenn Maja weg ist, sichte ich Dokumente, kopiere mir was zusammen. Es ist der Versuch, aus all dem eins zu machen. Etwas mit einem Faden.“

Entstanden sind Reflexionen in teils schnoddriger Sprache über neue und alte Vermarktungsstrategien im Internet: „Die Geschichte ihrer Mütter hatte immer mit Vermarktung zu tun. Was aber wie vermarktet wird, das verändert sich. Während es mal ganz normal war, sein Privatleben öffentlich zu teilen, nimmt das während ihrer Karriere immer mehr ab. Die Storys der altmodischen Influencer*innen verschwimmen nicht mehr mit denen deiner Cousine zweiten Grades (supersüßes Kleid), weil deine Cousine kein Interesse mehr daran hat, ihr supersüßes Kleid öffentlich wirksam zu teilen. Der Verkauf von hochwertigen und innovativen Produkten gewinnt an Bedeutung für den verkackten Sommerurlaub der Medienelite.“

Bedrohte Vögel

Era hält zugleich das Artensterben fest. Es ist der Versuch, auf sicherem Papier, „unhackbar sozusagen“, Wissen über die Welt zu bewahren. Doch es zerfällt. Die Kapitel des Buchs tragen die Namen von vom Aussterben bedrohter Vögel wie „Wanderdrossel“ oder „Specht“. „Während er früher zumindest nach Südeuropa ist im Winter, hat er im Rahmen der globalen Erderwärmung gänzlich damit aufgehört und ist trotz der Verkleinerung seines Lebensraums einfach sitzengeblieben“, heißt es. „Eine Besetzung der lokalen Wiesenränder. Wie eine Paralyse. Die Räumung der Wiesenränder war aber keine polizeiliche, sondern eine landwirtschaftliche. Niemand schleuderte Würmer und/ oder Steine / winzige Wurfgeschosse mit dem Schnabel, es war eine beiläufige, eine ignorante Auflösung.“ Geht es anfangs um Majas persönliche Daten, die sie verzweifelt zu vernichten versucht, so wird im Zuge des Romans klar, dass es letztlich um mehr geht, nämlich „um die Organisation von Wissen als Herrschaftsinstrument“.

Buhlt um den Deutschen Buchpreis 2025: „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ von Fiona Sironic, erschienen im Ecco Verlag 
Buhlt um den Deutschen Buchpreis 2025: „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ von Fiona Sironic, erschienen im Ecco Verlag  Quelle: Ecco Verlag

„Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ ist ein dystopischer Roman. Der Klimawandel wird beim Lesen tatsächlich greifbar: „Heute sind wir die Sonderbaren, die in den Pausen das Gebäude verlassen, um schnell über die stark erhitzten Asphaltflächen zu huschen und uns irgendwie ein Gebüsch zu suchen, einen vereinzelten Baum, den Schatten einer Wand.“ Sironic beschreibt den Mensch im Anthropozän – ähnlich flirrend wie beklemmend hat dies schon Samuel Hamen in seinem mit dem Servais-Prix ausgezeichneten Neo-Noir-Roman „Wie die Fliegen“ (diaphanes 2023) entworfen.

Mitunter flicht die Ich-Erzählerin Era feministische Anekdoten ein, die einen zum Lachen bringen. Wenn sie etwa erzählt, dass sie, als sie noch kleiner war, stets mit dem Tyrannosaurus Rex spielen wollte. „Der war auch damals schon lange tot, [bestand] aus Plastik, das, wie Mama mir dann erklärte, wiederum aus Erdöl hergestellt wurde, im Prinzip also tatsächlich aus Dinosauriern bestand. […] – Was auf die wissenschaftliche Erkenntnis folgte, war zum einen „ein Raunen in Paläontolog*innenkreisen (die häufigste Folge neuer Erkenntnisse im Bereich Dinosaurier), zum anderen „eine kleine Krise des binär gegenderten Spielzeugs“.

Fortan hatte der Tyrannosaurus Rex, der jahrelang als dunkel geschuppter König der Kreidezeit und gefährlicher Jäger galt, über eine lange Lebensphase hinweg weiche Federn und soll gegurrt haben. Damit war der gefährliche Dinosaurier kein reines Jungs-Spielzeug mehr, was zum „Aufschrei unter Incels und anderen Maskulinisten“ führte, die die zeitgemäße Anpassung des Dinosaurierspielzeugs „als besonders krassen Terrorakt der Feminazis aus der Paläontologie empfanden […].“

Rache einer Generation

So erzählt Fiona Sironic mitunter ironisch vom Aussterben der Vögel wie der Menschen in einer der Klimakatastrophe nahen Welt und von nach Aufmerksamkeit gierenden Menschen, die sich mit der Preisgabe ihrer persönlichen Daten ihr eigenes Grab schaufeln. Der sukzessive Artenschwund der Vögel ist eine Metapher für das Aussterben der menschlichen Spezies, die sich durch ihre eigene Ignoranz und Eitelkeit an den Abgrund treibt: „Vom sozialen Aussterben spricht man, wenn eine Art vergessen wird. Das kann passieren, bevor sie tatsächlich ausstirbt, wenn beispielsweise das menschliche Wissen über die Existenz einer Heilpflanze mit dem Tod der um sie wissenden Bevölkerungsgruppe verloren geht.“

Deutscher Buchpreis 2025

Das Tageblatt bespricht in den kommenden Wochen Bücher, die auf der Shortlist des diesjährigen „Deutscher Buchpreis“ stehen. Die Verleihung findet am 13. Oktober zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse statt. Mehr Infos zum Preis: deutscher-buchpreis.de.

Die Rache Majas an den Eltern wie der gesamten jungen Generation, die die Welt aus Wut in Brand setzen, ist absehbare Folge. Durch einen Anschlag auf ein Giga-Data-Center werden nicht nur die archivierten Accounts der Momfluencerinnen verloren gehen, nicht nur Vogelstimmen – es geht um das große Ganze. Denn mit der Explosion der Datenzentren bedarf es wieder des eigenen Verstandes und eines Gehirns, das Wissen strukturiert sammelt. In weiser Voraussicht der drohenden Katastrophe imitieren Era und ihre Tante bereits lange vorher Vogelstimmen, „Backup im Gehirn nennt das Tante“.

Der Roman ist ein anarchistisches Debüt über den Klimawandel und die Brüchigkeit digitaler „Identitäten“, in das die Leserin hineingezogen wird wie in einen Strudel. Ein fulminantes Stück Gegenwartsliteratur und ein ernsthafter Anwärter auf den diesjährigen Deutschen Buchpreis.