Freitag28. November 2025

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Hass im Netz, Gewalt vor der TürWie Antifaschisten in Luxemburg bedroht werden – und das meist ohne Konsequenzen bleibt

Hass im Netz, Gewalt vor der Tür / Wie Antifaschisten in Luxemburg bedroht werden – und das meist ohne Konsequenzen bleibt
Eine Gruppe rechtsextremer Facebook-User verbreitet zurzeit Angst Illustration: Kim Kieffer

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Eine Gruppe rechtsextremer Facebook-User verbreitet zurzeit Angst – auch außerhalb des sozialen Netzwerks. Die Opfer fühlen sich von Polizei und Justiz im Stich gelassen. Mittendrin: die Satire-Seite „Äppel“ auf Facebook.

Sylvie Delleré-Boehm (71) lebt alleine. Ihr Mann ist 2002 gestorben, die Kinder sind schon lange aus dem Haus und haben ihr eigenes Leben aufgebaut. Eigentlich möchte die Rentnerin nur ihre Ruhe haben. Doch seit 16 Jahren – und insbesondere in den vergangenen Monaten – hat es ein mehrfach verurteilter Straftäter auf sie abgesehen. Der Mann, S., fällt immer wieder wegen rechtsextremer Aussagen im Internet auf und veröffentlicht Videos, in denen er Personen zum Teil schwer beleidigt. Bislang ohne rechtliche Konsequenzen.

Die ehemalige Lehrerin engagiert sich seit eh und je gegen Faschismus und Fremdenfeindlichkeit, war unter anderem im Komitee der LSAP von Grevenmacher, tritt offen für die Rechte der LGBTQIA+-Community ein. „Ich war in einer Antirassismusgruppe und fand seine Hasskommentare furchtbar“, sagt sie über S. „Er wurde sofort saufrech, was mir wenig ausmachte, denn ich bin ein Minettsdapp und nicht auf den Mund gefallen.“ Im März 2009 stand S. dann auf einmal vor ihrem Wohnhaus. „E stoung op eemol vru mengem Haus an der Strooss ze bläre wéi een Hornochs, ech sollt erauskommen. Ech ruffen der Maacher Police un an déi sot, an engem ëffentleche Raum kéint jidderee blären, wéi e wëll.“

Eine Frau, die es wagt, diesen Drecksäcken etwas entgegenzusetzen – das geht bei denen gar nicht

Den Eindruck, als sei sie auf Streit aus, vermittelt Sylvie Delleré-Boehm nicht. Mit ruhiger, aber fester Stimme berichtet sie von den vergangenen Monaten, legt Beweismittel vor, geht auf Vorfälle ein. Sich einschüchtern lassen will die 71-Jährige nicht. Auch sie hatte bereits mit dem Gericht zu tun, nachdem sie eine Person, die fremdenfeindliche Aussagen gemacht hatte, als „Drecksak“, „Sau“ und „Knaschtert“ bezeichnet hatte. Der Appellationshof hatte sie zum symbolischen Euro verurteilt. Die Frage, ob sie womöglich aufgrund ihrer Situation als allein lebende Frau noch stärker ins Visier gerate, bejaht Delleré-Boehm. „Eine Frau, die es wagt, diesen Drecksäcken etwas entgegenzusetzen – das geht bei denen gar nicht.“ „Schrecklich“ findet sie es auch, wie S. immer wieder über eine weitere Userin, eine junge Frau, herzieht, als er in einem Video davon spricht, „jeder Antifa“ sei „über sie gerutscht“.

Seit der Covid-Pandemie sei S. „komplett durchgedreht“. Erst vor wenigen Monaten ist er erneut in der Nähe ihres Hauses aufgetaucht. Videos, in denen S. ankündigt, er würde Delleré-Boehm „einen kleinen Besuch abstatten“ und „sie wird sich so erschrecken, dass sie einen Herzinfarkt erleidet“, liegen dem Tageblatt vor. Unter anderem bezeichnete er sie als „Schwarze Witwe“ und drohte: „Boehm, ech maachen dech fäerdeg. Gleef mer dat. Soulaang ech liewen.“ Dann drohte er, mit etlichen anderen Männern vor ihrer Haustür aufzutauchen. Auch wenn es bei dieser Ankündigung blieb und sie vieles als „Bluffen“ bezeichnet, könne sie sich Gewalttätigkeit bei S. durchaus vorstellen. Ferner hatte er einen öffentlichen Beitrag gepostet, in dem er sich dabei filmte, wie er in einem Auto sitzend in der Nähe ihres Wohnhauses hupte.

Unbehelligt, unantastbar, unzurechnungsfähig?

S. ist eine der lautesten Stimmen in einer hauptsächlich im Internet aktiven Gruppe, die aktuell gegen Individuen wie Sylvie Delleré-Boehm vorgeht, aber nicht die einzige. Die Straftaten, für die der selbsternannte „Opa gegen links“ verurteilt wurde, reichen von wiederholtem Aufruf zum Hass, Drohungen (unter anderem gegenüber den ASTI-Mitarbeitern Serge Kollwelter und Laura Zuccoli, Asylbewerbern, Nachbarn und vielen anderen), herabsetzendem und beleidigendem Benehmen gegenüber Magistraten und Widerstand gegen die Staatsgewalt bis hin zur Verharmlosung des Holocaust. Außerdem waren bei einer Hausdurchsuchung mehrere Waffen sichergestellt worden, unter anderem ein Säbel und 63 Schuss scharfer Munition.

Delleré-Boehm spricht von mindestens einem Prozess, bei dem er „dem Gefängnis entkam, weil er vier Kinder ‚à charge‘“ hat und vom Gericht als unzurechnungsfähig eingestuft wurde. Wie das Tageblatt herausfinden konnte, saß er bislang nicht in Haft. „In seinem Fall wurde entschieden, auf eine alternative Maßnahme – in diesem Fall eine elektronische Fußfessel – zurückzugreifen“, so Henri Eippers, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft. Diese Maßnahme ist zurzeit nach wie vor in Kraft. An die Polizei hat sich Delleré-Boehm bereits gewandt – ohne Erfolg. „Das wird danach klassiert unter ,Ferner liefen‘“, sagt sie.

Neuerdings greift er meinen verstorbenen Mann und zwei meiner Kinder als Thema auf. Das lässt bei mir einen Hass aufkommen, den ich bis jetzt nicht gekannt habe.

Als besonders verletzend betrachtet sie die Sticheleien gegenüber ihrem verstorbenen Ehemann – ein Motiv, das auch in weiteren Fällen auftritt. Denn erst vor kurzem fiel S. auf, als er in Kommentarspalten unter Artikeln zum Tod des Musikers De Pascal vu Wooltz „An elo?“ schrieb. „Neuerdings greift er meinen verstorbenen Mann und zwei meiner Kinder als Thema auf. Das lässt bei mir einen Hass aufkommen, den ich bis jetzt nicht gekannt habe“, sagt sie. Neben dem Verweis auf Infarkte greift er neuerdings in seinen Beiträgen häufig das Wort „Boehmkriibs“ auf.

Doch woher kommt der ganze Hass dieser User auf sie? Zum einen spielen ihre politische Gesinnung und ihr soziales Engagement eine Rolle. Zum anderen gibt es noch einen weiteren Grund: „Sie sind überzeugt, dass ich eine Administratorin der Äppel-Seite bin – dabei stimmt das gar nicht.“

„Dee ganzen Dag Äppel am Kapp“

Zwischen der satirisch-kritischen Facebook-Seite Äppel und einer Reihe von Usern laufe seit langem „ein Hahnenkampf, der schon ziemlich weit geht“, so ein Administrator, der anonym bleiben möchte, gegenüber dem Tageblatt. Sylvie Delleré-Boehm gehört zu den Followern und kommentiert regelmäßig unter Posts von Äppel – mit der Betreuung der Seite hat sie jedoch nichts zu tun, bestätigt der Admin.

Äppel

Die Facebook-Seite „Äppel“ sei ursprünglich ins Leben gerufen worden, um Menschen den Spiegel vorzuhalten, die sich über ausländische Mitbürger beschweren, welche kein Luxemburgisch können, aber selber keins beherrschen, so ein Administrator, der anonym bleiben möchte, gegenüber dem Tageblatt. Im Laufe der Jahre hat sich der Fokus ausgeweitet. Das Ziel: „Dass die Leute künftig besser darauf achten, was sie posten.“ Beiträge werden in den meisten Fällen von Personen, die der Seite folgen, eingeschickt. Keines der Mitglieder des Teams ist namentlich bekannt.

Im Laufe des Gesprächs fallen bestimmte Namen immer wieder. Es entsteht der Anschein einer losen Gruppe von Rechtsextremen, die sich auf Facebook gegenseitig hochpushen und „dee ganzen Dag Äppel am Kapp hunn“, wie der Admin sagt. Sie greifen mittlerweile in das Privatleben mancher Follower ein, sei es am Wohnort oder am Arbeitsplatz. Sorgen bereiten ihm aber auch jene, die weniger stark in Erscheinung treten. Der Admin berichtet, dass zwei Äppel-Follower – darunter befindet sich nicht Sylvie Delleré-Boehm – Anzeige gegen S. und gegen einen weiteren Mann, D., erstattet haben. D. sei eher der „Strippenzieher“: „Er hält sich mehr im Hintergrund, scheint die anderen anzustacheln.“

Insgesamt kritisiert der Admin den Mangel an Konsequenzen vonseiten der Polizei und Justiz. Über S., D. und Konsorten sagt er: „Sie testen ihre Grenzen und versuchen zu sehen, wie weit sie gehen können. Dadurch, dass sie Narrenfreiheit haben, fühlen sie sich in einer gewissen Sicherheit. Dabei werden sie von der Autorität legitimiert.“

Was den Fall S. betrifft, verweist das Mitglied des Äppel-Teams auf den Umgang des Gesetzes mit dem psychisch kranken Straftäter (Artikel 71 im Strafgesetzbuch). „Das Problem ist, dass vor Gericht die Strafverteidigung ihn als unzurechnungsfähig einzustufen versucht.“ In seinen Augen „nimmt sich das Gericht nicht die Möglichkeiten, die es hätte“.

Nach aktuellem Stand haben also zwei Äppel-Follower Anzeige bei der Polizei erstattet. Die Admins rufen in einem Facebook-Beitrag weitere Betroffene dazu auf, sich mit Beweismitteln, Screenshots, Fotos und Videos an die Polizei zu wenden. Doch es scheint sich Angst breitgemacht zu haben. Die Zahl der Opfer wächst. Menschen wie Sylvie Delleré-Boehm haben lange viel Geduld bewiesen.

Sind Sie betroffen?

Sind auch Sie online oder offline Opfer von rechtsextremen Akteuren geworden? Melden Sie sich beim Tageblatt per E-Mail an [email protected].