Sonntag21. Dezember 2025

Demaart De Maart

ForumLukas Held über die Aufnahme eines „Rechts auf Abtreibung“ in die luxemburgische Verfassung

Forum / Lukas Held über die Aufnahme eines „Rechts auf Abtreibung“ in die luxemburgische Verfassung
Die Debatte um die Aufnahme eines „Rechts auf Abtreibung“ in die luxemburgische Verfassung hat längst grundsätzliche Dimensionen angenommen Foto: Editpress-Archiv/Hervé Montaigu

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Die Diskussion um die Aufnahme eines „Rechts auf Abtreibung“ in die luxemburgische Verfassung sorgt aktuell für Debatten. Im Raum steht bekanntlich der Vorschlag, das geltende Gesetz von 2012 – Schwangerschaftsabbrüche sind bis zur zwölften Woche ohne medizinische Indikation erlaubt – in die Verfassung einzutragen und so abzusichern. Ob sich dafür eine Mehrheit findet, ist momentan noch offen. Klar ist nur: Die Debatte hat längst grundsätzliche Dimensionen angenommen. 

Besonders klar äußerte sich der DP-Abgeordnete und Arzt Gérard Schockmel auf den Wellen von Radio 100,7. Das Recht auf Abtreibung, so sagt er, stehe im Konflikt mit dem Recht auf Leben. Denn hier werde „Liewen, dat um Entstoen ass“, in den ersten zwölf Wochen beendet – „ouni datt et eng Begrënnung brauch an ouni datt et eng medezinesch Indikatioun brauch“. Für Schockmel ist deshalb klar: Man kann Abtreibung per Gesetz erlauben, aber nicht als Grundrecht in die Verfassung aufnehmen, ohne zugleich das Lebensrecht zu relativieren. Damit formuliert Schockmel ein Argument, das immer wieder auftaucht: Abtreibung und das Recht auf Leben seien logisch unvereinbar. Wer das eine ausdrücklich in die Verfassung schreibe, relativiere zwangsläufig das andere. Ein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibung bedeute für ihn nicht nur eine Erweiterung von Freiheitsrechten, sondern zugleich eine Schwächung des bestehenden Rechts auf Leben.

Auch Kardinal Jean-Claude Hollerich hat jüngst in einem Interview mit RTL Zweifel an der Verfassungsänderung geäußert. Seine Sorge lautet, dass eine solche Norm „eine bestimmte Meinung aufzwinge“ und Menschen, die ihr widersprechen, in eine Art Extremismus treibe. Zudem fürchtet er, dass Ärztinnen und Ärzte künftig gezwungen sein könnten, Abtreibungen vorzunehmen. Was zunächst wie eine Warnung vor Zwang klingt, beruht jedoch auf einem offensichtlichen Missverständnis: Ein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibung begründet selbstverständlich keine Pflicht für einzelne Bürgerinnen oder Ärzte, eine Abtreibung durchzuführen oder gutzuheißen. Es sichert lediglich den Zugang und schützt die individuelle Entscheidung. Gewissensklauseln für das medizinische Personal bleiben möglich, so wie sie es auch heute schon sind.

Abgeleiteter vs. absoluter Einwand

Um etwas Licht in die Debatte zu bringen, lohnt der Blick auf Ronald Dworkin (1931-2013), einen der einflussreichsten Rechtsphilosophen der letzten Jahrzehnte, und sein Buch „Life’s Dominion“ (1993). Dworkin hat gezeigt, dass der scheinbar zwingende Einwand, den Schockmel anführt, auf einer Vermischung unterschiedlicher Ebenen beruht. Dworkin unterscheidet zwei Arten von Argumenten gegen die Abtreibung. Das erste nennt er den „abgeleiteten Einwand“ (derivative objection): Demnach hat der Fötus von Anfang an ein Recht auf Leben, und Abtreibung verletzt dieses Recht. Das zweite Argument nennt er den „absoluten Einwand“ (detached objection): Abtreibung ist falsch, weil sie den heiligen oder besonderen Wert des Lebens missachtet – selbst wenn der Fötus noch gar kein Rechtssubjekt ist.

Viele Abtreibungsgegner, so Dworkin, argumentieren in Wahrheit auf dieser zweiten Ebene. Sie empfinden Abtreibung als Sakrileg, als Missachtung der Schöpfung. Doch sobald man diesen religiösen Einwand in die Sprache der Rechte übersetzt, entsteht der Eindruck eines logischen Widerspruchs zwischen „Recht auf Leben“ und „Recht auf Abtreibung“. 

Genau hier liegt der Fehler. Denn rechtliche Kategorien – d.h. einklagbare Rechte – und moralisch-religiöse Vorstellungen vom Wert des Lebens sind nicht dasselbe. Der vermeintlich logische Konflikt ergibt sich erst, wenn man beide Ebenen miteinander vermischt. Daraus zieht Dworkin die Pointe: Ein liberaler Staat darf keine einzelne Deutung für alle verbindlich machen. Er soll nicht festlegen, was das Leben „an sich“ wert ist, sondern den Raum offenhalten, in dem Bürgerinnen und Bürger selbst nach ihrem Gewissen entscheiden können. 

Verfassungsnorm schafft stabileren Rahmen

Ein einfaches Gesetz schützt diese Freiheit nur bedingt, denn es bleibt politisch revidierbar. Eine Verfassungsnorm dagegen schafft einen stabileren Rahmen. Sie zwingt dabei niemanden, eine Abtreibung vorzunehmen, und sie verbietet auch niemandem, Abtreibung aus moralischen Gründen abzulehnen. Sie garantiert nur eines: dass jede Frau selbst darüber entscheiden darf, welche Bedeutung sie dem werdenden Leben beimisst. Neutralität heißt hier nicht, dass der Staat nichts tut, sondern dass er die Gewissensfreiheit institutionell absichert. 

„Freedom is the cardinal, absolute requirement of self-respect: […]. Decisions about life and death are the most important, the most crucial for forming and expressing personality, that anyone makes; we think it crucial to get these decisions right, but also crucial to make them in character, and for ourselves“, schreibt Dworkin am Ende seines Werks. Ein Staat, der diese Freiheit nicht schützt, verletzt das Prinzip gleicher Würde und gleichen Respekts – den Kern jeder liberalen Demokratie. Gleiche Würde bedeutet, dass jede Person als fähig anerkannt wird, die existenziellsten Fragen ihres Lebens nach ihrem eigenen Gewissen zu entscheiden. Gleicher Respekt bedeutet, dass der Staat keine einzelne religiöse oder metaphysische Deutung privilegiert, sondern alle Bürgerinnen und Bürger mit ihren Überzeugungen ernst nimmt.

Doch selbst wenn man Schockmels Argumentation folgt und dem Fötus ein Recht auf Leben zuspricht, ergibt sich daraus noch nicht, dass Abtreibung verfassungsrechtlich ausgeschlossen wäre. Die amerikanische Philosophin Judith Jarvis Thomson hat das in ihrem berühmten Artikel „A Defense of Abortion“ von 1971 mit einem berühmten Gedankenexperiment veranschaulicht: Eine Frau wacht eines Morgens in einem Krankenhaus auf. Sie ist über Schläuche und Kabel mit einem berühmten Violinisten verbunden, der bewusstlos neben ihr liegt. Sein Leben hängt allein an ihrem Körper. Neun Monate lang müsste sie ihn mit ihrem Blutkreislauf versorgen. Wenn sie die Verbindung trennt, stirbt er.

Niemand bestreitet, dass der Violinist ein Recht auf Leben hat. Aber folgt daraus auch, dass er ein Recht darauf hat, ihren Körper für seine Existenz zu beanspruchen? Thomsons Antwort lautet: Nein. Ein Recht auf Leben bedeutet nicht das Recht, den Körper eines anderen Menschen in Anspruch zu nehmen. Übertragen auf die Abtreibungsfrage heißt das: Selbst wenn man dem Fötus ein Recht auf Leben zugesteht, folgt daraus nicht, dass die Frau verpflichtet wäre, ihn auszutragen.

Es ist deshalb kein Widerspruch, sondern Ausdruck liberaler Konsequenz, wenn die Verfassung das Recht auf Abtreibung sichert. Wer dagegen behauptet, dadurch werde eine Meinung „aufgezwungen“, verdreht den Kern der Sache. Denn der eigentliche Zwang läge darin, Frauen eine moralische Deutung des Lebenswerts vorzuschreiben, die sie nicht teilen. Eine Verfassungsnorm erzwingt keine Meinung – sie verhindert Zwang. 

Lukas Held ist Philosophielehrer am „Lycée de garçons“ in Luxemburg-Stadt
Lukas Held ist Philosophielehrer am „Lycée de garçons“ in Luxemburg-Stadt Foto: privat
meris kelly
29. September 2025 - 17.55

Die Frau ist nicht verpflichtet... das ist eben genau das Problem unserer Gesellschaft. Niemand ist zu irgendwas verpflichtet, es gibt nur noch Rechte und Ansprüche. (ausser für die ungeborenen Kinder) Mein Komfort über alles. Traurige Zeit.