Die meisten Menschen ergreifen gerne Partei. Man fiebert für einen Sportclub, eine Musikband. Seltener für eine politische Bewegung. Dennoch wählt man bei Krieg meistens „seine“ Seite. So bei der Invasion der Ukraine, wo die wenigsten Westeuropäer solidarisch mit dem russischen Angreifer sind. Bei dem Drama um Gaza gehörte die Sympathie der Mehrheit voll und ganz den Opfern des Terroranschlages der Hamas gegen friedliche Kibbuzim oder Besucher einer Rave-Party.

Die Hamas bleibt ausgegrenzt. Die Anteilnahme an den israelischen Hamas-Opfern und vor allem den Geiseln ist geblieben. Doch die Solidarität mit dem Staat Israel schwindet rapide. Selbst in Ländern, die traditionell Partner und Stützen des jüdischen Staates waren.
Israel musste auf die Terrorakte vom 9. Oktober reagieren. Doch die Regierung Netanjahu tut dies mit einer Brutalität, wie man sie sonst nur bei Terroristen kennt. Es ist offensichtlich, dass die rechtsextremen bis faschistoiden Parteien, auf die sich Netanjahu stützt, den Hamas-Terror als willkommenen Vorwand nutzen, um ihren Traum von einem „Groß-Israel“ in einer biblischen Breite umzusetzen, den die „Heiligen Schriften“ nicht dokumentieren können. Gaza gehörte nie zu „Judäa“. Soll aber nunmehr kolonisiert und versilbert werden.
Der extremistische Finanzminister Israels, Smotrich, vergisst in seinem Bibel-Wahn das Geschäft nicht. Gaza sei „a real estate Bonanza“, ein Eldorado für Baulöwen, so der Minister auf einer Konferenz. „Wir zahlten viel Geld für diesen Krieg. Deshalb verhandele ich nunmehr mit den Amerikanern, wie wir uns das Land in Gaza aufteilen sollten.“
Wen scheren dabei die Rechte der Palästinenser? Was kümmert internationales Recht? UN-Resolutionen werden als Beleg für weltweiten „Antisemitismus“ abgekanzelt. Beschlüsse des Weltsicherheits-Rates scheitern am Veto der USA. Angeführt durch ehemalige Immobilien-Haie wie Präsident Trump oder dessen Nahost-Beauftragten Steve Witkoff. Beide reich geworden durch Geschäfte mit Grund und Boden.
„Urbane Erneuerung“ durch Bomben?
Um Platz für eine amerikanisch-israelische Riviera am Mittelmeer zu schaffen, sollen 2,2 Millionen Gaza-Bewohner vertrieben werden. Israels Armeeführung sträubte sich gegen die zurzeit stattfindende massive Attacke auf Gaza City. Wo systematisch die noch stehenden Baustrukturen zerbombt oder gesprengt werden. Doch die Regierung Netanjahu setzte sich durch. Wie sagt Finanzminister Smotrich: „The demolition phase is always the first phase of urban renewal.“ Um ein neues „Monaco“ zu schaffen, muss zuerst alles demoliert werden. Das hat Israel dank seiner Waffenhoheit mit einer Methodik umgesetzt, die fatalerweise den Vergleich erweckt mit vergangenen „ethnischen Säuberungen“ oder dem Holocaust an den Juden im zweiten Weltkrieg.
Israel lässt kaum Augenzeugen nach Gaza. Die dort arbeitenden palästinensischen Medien-Schaffende sind laut israelischer Propaganda bloß „Hamas-Terroristen“. Werden gezielt liquidiert. Ein französischer Historiker, Jean-Pierre Filiu, arbeitete von Dezember 2024 bis Januar 2025 für „Médecins sans frontières“ in Gaza. Sein erschütterndes Zeugnis ist nachzulesen in dem Buch „Un historien à Gaza“: „Le territoire que j’ai connu et arpenté n’existe plus. Ce qui en reste défie les mots.“
Filiu, Professor auf „Science Po“, ist kein Radikaler. Umso eindrucksvoller ist sein Zeugnis. In den ersten sechs Monaten wurden 35 der 36 Spitäler Gazas ausgeschaltet. Davon 31 Spitäler, die bombardiert wurden. Nur ein von den Vereinigten Arabischen Emiraten in Rafah an der Grenze mit Ägypten betriebenes Krankenhaus blieb ausgespart. Das letzte in Gaza City noch funktionierende Spital wurde am 25. August beschossen. Bilanz: 20 Tote, darunter fünf Journalisten und vier Ärzte. Am 31. August wurde die letzte, wohl Hamas-Brote herstellende Bäckerei der Stadt bombardiert. Elf Tote. Selbst religiöse Kultstätten werden zerstört. Moscheen ohnehin. Auch die letzte katholische Kirche wurde zerbombt. Ein „bedauerlicher Irrtum“, wie Netanjahu sich bei Papst Leo telefonisch entschuldigte.
Die von Smotrich gewünschte „Phase der Demolition“ als Voraussetzung der „urbanen Erneuerung“ Gazas wird fortgesetzt. Mit täglich mehreren Dutzend Toten. Viele werden beim Anstehen von Nahrungsverteilung erschossen.
Der banale Horror in Gaza wird begleitet von sich steigernden Übergriffen israelischer Siedler gegen rechtmäßige Bewohner im West-Jordan. Das laut Netanjahu und Co. „nie zu einem palästinensischen Staat“ werden darf. Weshalb Israel dauernd neue Siedlungen um Jerusalem und im West-Jordan autorisiert. Um einen zusammenhängenden palästinensischen Staat zu vereiteln. Entgegen dem geltenden Völkerrecht und von Israel ratifizierten Verträgen.
Selbstgewählte Isolierung
Israel ist dabei, sich vor der Weltmeinung und einer steigenden Zahl von Staaten zu isolieren. Bei der jüngsten Abstimmung der UNO-Vollversammlung stimmten 142 Staaten für eine Zwei-Staaten-Lösung. Selbst die sonst so devote Bundesrepublik. Es gab zwölf Stimmenthaltungen. Bloß zehn Staaten ergriffen Partei für Israel. Mit Israel und den USA stimmten Orbans Ungarn und Mileis Argentinien sowie die von den USA ausgehaltenen Konfetti-Staaten Mikronesien, Palau, Tonga, Nauru, weiter Paraguay und Papua-Neuguinea.
Eine Welle von westlichen Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Australien, Kanada, Portugal und selbst Luxemburg kennen nunmehr offiziell Palästina als rechtmäßigen Staat neben Israel an. Das wird vorerst wenig ändern. Zumal Netanjahu beratungsresistent ist, solange sein Schutzpatron im Weißen Haus ihn weiterhin mit Geld und Waffen beliefert. Doch gibt es Anzeichen, dass Trump zunehmend irritiert ist. Den präsidialen „Deal-Maker“ stört der Angriff auf Doha, einem seiner „Kunden“ in den Vereinten Arabischen Emiraten. Die ihm immerhin seine neue „Airforce One“ sponsorten.
Angesichts des brutalen Vorgehens Israels in Gaza ist auch die öffentliche Meinung in den USA im Wandel. Laut Meinungsumfragen billigen immer weniger Amerikaner, darunter eine steigende Zahl von Republikanern, Netanjahus Politik. Die weiterhin von vielen Israeli bekämpft wird. Trotz der Versuche der Netanjahus, Israels Justiz zu knebeln und durch Zensur die Pressefreiheit zu beschränken, bleibt Israel eine lebendige Demokratie. Wovon tägliche Demonstrationen zeugen. Sowie immer mehr Aufrufe von jüdischen Intellektuellen, Künstlern, Ärzten und selbst Armee-Angehörigen gegen die brutale Kriegsführung ihrer Regierung. Die neuerdings versucht, die Rest-Hamas mit palästinensischen Milizen zu bekämpfen. Oft kriminelle Clans, von Israel bewaffnet, welche mit Hilfsmitteln beladene Laster überfallen. Und gegen Zivilisten ballern. Ein hoher Offizier vertraute der Zeitung Haaratz an, dieses Vorgehen „explodiert uns irgendwann ins Gesicht“. Die von der CIA gesponserte militärische Unterstützung Bin Ladens gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans führte letztlich zur Zerstörung der Twin Towers in New York.
Der Druck gerade westlicher Staaten auf die Regierung Israels muss verstärkt werden. Die Europäer können nicht das 19. Sanktionspaket gegen Russlands Aggression in der Ukraine schnüren, aber mit Israel „business as usual“ verfolgen. Die EU-Staaten müssen sich zu den wirtschaftlichen Sanktionen bekennen, welche Kommissions-Präsidentin von der Leyen vor dem Europäischen Parlament vorschlug. Wie immer wird Orban dagegen sein. Wird sich die Bundesrepublik hinter einer falsch verstandenen „Staatsräson“ verstecken.
Es ist positiv, dass Premier Frieden die Sanktionen gegen Israel begleiten will. Deshalb sollte er dafür sorgen, dass Israel seinen Vernichtungskrieg nicht über den Finanzplatz Luxemburg finanzieren kann. Wie es uns der Finanzplatz Irland vormachte. Wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen gegen Israel sind eine absolute Notwendigkeit. Doch um zu demonstrieren, dass solches Handeln nichts mit realem oder gefühltem Antisemitismus zu tun hat, darf es nicht zu einem kulturellen Krieg gegen Israel kommen.
Das Ausladen des israelischen Staatsorchesters ist keine politische Waffe, sondern kulturelle Arroganz. Gerade propalästinensische Militanten sollten nicht zum Boykott des israelischen Dirigenten Lahav Shani an der Spitze der Münchener Philharmoniker aufrufen. Echte Solidarität mit Palästina sollte auf Politik und Wirtschaft abzielen, nicht auf Forschung, auf Kultur und selbst auf Sport. Die jüngsten Störungen der Vuelta-Etappen waren eher kontraproduktiv.
Israel muss zur Einsicht gebracht werden, dass es eine friedliche Zukunft nur gemeinsam mit den ebenfalls zwischen dem Jordan und dem Meer lebenden Palästinenser haben kann. Das ist die Aufgabe der Politik. Sollte nicht zu einem Krieg der Kulturen führen.
Es gibt weiterhin viele anständige Israeli. Etwa die Kinderärztin Michal Feldon. Die zum rezenten jüdischen Neujahr dazu aufrief, Kinder in Gaza zu schützen. Mit einem Foto von sechs Neugeborenen, zusammen gepfercht liegend im letzten verfügbaren Brutkasten in Gaza. Aussichten zum Überleben gleich null. Sie schrieb dazu: „Es gibt keine Worte, keine Begründung hierfür. Hamas hat nichts damit zu tun. Israel allein trägt die Verantwortung.“
Mein Tageblatt-Artikel vom 5.12.2023 zum nunmehr seit fast zwei Jahren wütenden Krieg in Gaza war übertitelt: „Kummer und Mitleid, Gerechtigkeit und Humanität“. Leider weiterhin zutreffend!
De Maart
Lieber Robert, da kann ich dir nur zustimmen. Ich hoffe, dass dieser Krieg so schnell wie möglich zu einem Ende gebracht werden kann. Die Europäische Union kann und muss deutlich mehr tun, als sie bisher getan hat.
Ihre Ausführungen kann ich weitgehend teilen, Herr Goebbels. Insbesondere liegt auch mir am Herzen, dass um Gegensatz zu wirtschaftlichen Sanktionen, kulturelle und auch sportliche Veranstaltungen von Boykottmassnahmen ausgenommen werden müssen und zwar nicht nur betreffend Israel sondern generell. Einen Krieg der Kulturen gilt es zu vermeiden, er wäre absolut kontraproduktiv. Kultur und Sport dienen der zwischenmenschlichen Verständigung, helfen das gegenseitige Verständnis zu fördern und somit Hass abzubauen.
Der Finanzplatz Luxemburg hat aber die Israel-Anleihe bearbeitet, also Finanzierung von Israel gewährleistet...also ist CEO Frieden nicht glaubwürdig.....