Sonntag21. Dezember 2025

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Ausstellung in EschWarum die Kunstwerke in „Ugegraff“ zerstört und vom Publikum wieder zusammengesetzt werden

Ausstellung in Esch / Warum die Kunstwerke in „Ugegraff“ zerstört und vom Publikum wieder zusammengesetzt werden
Der Kurator: Uyi Nosa-Odia, bekannt als UNO Foto: Carole Theisen

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Heilung in den Scherben: Die Ausstellung „Ugegraff“ bringt 50 Kunstschaffende zusammen, deren Werke zerstört und gemeinsam wieder aufgebaut werden. Der Kurator Uyi Nosa-Odia über die Vorgeschichte, das Konzept und Kunst gegen häusliche Gewalt. 

Im „Musée national de la Résistance et des droits humains“ beginnt heute Abend ein Experiment, das weit über die Grenzen einer klassischen Ausstellung hinausgeht. „Ugegraff“ – luxemburgisch für „angegriffen“ – bringt 50 Künstler*innen zusammen, um über Gewalt zu sprechen, die sonst oft unsichtbar bleibt. Doch hier wird sie nicht nur thematisiert, sondern körperlich erfahrbar gemacht: Alle Werke werden zerstört – und anschließend von den Besucher*innen wieder zusammengesetzt.

Zog 2017 nach Luxemburg: UNO
Zog 2017 nach Luxemburg: UNO Foto: Carole Theisen

Wie genau das geschehen wird, ist noch ungewiss. „Es soll spontan sein, ein performativer Akt. Wir wissen nur: Die Zerstörung wird am 25. September passieren“, so der Kurator Uyi Nosa-Odia, genannt UNO. Die Zerstörung erfülle keinen Selbstzweck, sondern halte uns den Spiegel vor. „Wir zerstören Kunstwerke, obwohl es ein Tabu ist, Kunst zu zerstören. Aber Menschen verletzen Menschen, und das oft im privatesten Raum, in der Familie. Wir wollen diese Tabus sichtbar machen.“ Die Teilnahme des Publikums am Wiederaufbau habe eine heilende Wirkung, erklärt UNO. „Wer selbst Gewalt erlebt hat, weiß, dass die Narben bleiben. Auch die Kunstwerke werden nicht makellos sein. Sie werden nie wieder so sein wie zuvor. Sie tragen die Spuren sichtbar in sich – und genau das ist die Botschaft.“

UNO wurde in Benin City, Nigeria, geboren und wuchs in einer Region auf, die für ihre Skulpturen und ihre Kunsttradition bekannt ist. Schon als Kind lernte er, zu modellieren, später studierte er Malerei und bildende Kunst. 2017 kam er nach Luxemburg, weil er gezwungen war, sein Land zu verlassen. „Ich habe Nigeria nach einem gewaltsamen Angriff verlassen. Ich wurde angeschossen, mehrmals, auch am Kopf. Ich brauchte einen Ort, an dem ich neu anfangen konnte, wo mich niemand kannte und ich niemanden kannte. Luxemburg war dieser Ort. Ein Land, das für seine Menschenrechte respektiert wird, war für mich die Chance auf einen Neustart.“ Heute ist UNO längst ein fester Bestandteil der Kunst- und Kulturszene: „Kunst war für mich nicht nur ein Beruf, sondern eine Überlebensstrategie. Sie hat mir geholfen, mit den Schmerzen und dem Trauma umzugehen.“

Unterstützt wird UNO von der „Lëtz Art asbl“, deren Präsidentin Liane Felten weiß, wie schwer es ist, über Gewalt zu sprechen. „Ich selbst komme aus einer Situation von häuslicher Gewalt“, sagt sie. „Wenn ein Kunstwerk zerstört wird, sind alle erschüttert – wenn ein Mensch zerstört wird, schauen wir oft weg. ,Ugegraff‘ zeigt, wie falsch das ist.“ Für Felten ist Kunst ein Überlebensmittel. „Viele Menschen nutzen Kunst, um Traumata zu verarbeiten. Sie ist kein Luxus, sie ist notwendig. Und sie kann uns zwingen, hinzusehen, wo wir sonst wegschauen.“

Männer gegen Gewalt

UNO trägt die Idee für „Ugegraff“ schon seit Jahren mit sich. Sie ist eng verwoben mit seiner eigenen Geschichte, aber auch mit Beobachtungen, die er in Luxemburg gemacht hat. „Als ich nach Europa kam, habe ich gemerkt: Gewalt ist kein afrikanisches Problem, kein russisches, kein deutsches. Es ist ein universelles Problem, das auch eine universelle Sprache benötigt, um darüber zu sprechen. Für mich ist diese Sprache die Kunst.“ Ursprünglich wollte UNO das Projekt allein umsetzen. Doch schnell merkte er, dass die Wirkung begrenzt wäre. So wurde aus der Idee einer Solo-Ausstellung ein kollektives Projekt. Fünfzig Kunstschaffende aus Luxemburg und darüber hinaus beteiligen sich: Maler*innen, Bildhauer*innen, Musiker*innen, Autor*innen, Videokünstler*innen.

Als ich nach Europa kam, habe ich gemerkt: Gewalt ist kein afrikanisches Problem, kein russisches, kein deutsches. Es ist ein universelles Problem, das auch eine universelle Sprache benötigt, um darüber zu sprechen. Für mich ist diese Sprache die Kunst.

UNO, Künstler und Kurator der Ausstellung „Ugegraff“

Er betont, dass auch Männer sich klar gegen Gewalt – unter anderem gegen Frauen – positionieren müssen. „Wir alle müssen Teil der Lösung sein“, sagt er. „Ich habe eine Mutter, Schwestern, eine Partnerin. Was ihnen widerfährt, betrifft auch mich. Und wenn ich sie schützen will, dann muss ich eine Atmosphäre schaffen, in der Gewalt keinen Platz hat.“ Für UNO ist klar: Männer dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen: „Es spielt keine Rolle, ob ich stärker bin oder mehr Muskeln habe. Das gibt mir kein Recht, zu verletzen. Im Gegenteil: Es verpflichtet mich, Teil der Veränderung zu sein.“

Künstler und Galerist Yannick Tossing
Künstler und Galerist Yannick Tossing Foto: Carole Theisen

Der luxemburgische Künstler Yannick Tossing, der UNO schon seit Jahren kennt, teilt diese Ansicht: „Ich habe persönlich keine direkte Erfahrung mit Gewalt. Doch man darf nicht sagen: Das betrifft mich nicht, also halte ich mich raus. Männer sind oft die treibende Kraft hinter Gewalt – also müssen sie auch sichtbar dagegenstehen.“

Als Galeriedirektor im Escher „Kamellebuttek“ und zugleich praktizierender Künstler hat er sich früh mit Fragen von Verletzlichkeit und Grenzen auseinandergesetzt. Ausgangspunkt war die Huntington-Krankheit seines Vaters, die er in Skulpturen und Installationen thematisierte. „Ich habe beobachtet, wie seine Bewegungen immer unkontrollierter wurden. Das wollte ich künstlerisch sichtbar machen.“ Dafür entwickelte er eine eigene Technik mit einem 3D-Stift, bei der er Linien und Fäden in den Raum zog – fragile Spuren, die den Verlust von Präzision und Kontrolle verkörpern. „Wenn das Werk auf den Boden fällt, bricht der Gewaltteil ab. Das ist für mich ein starkes Bild: dass Gewalt sichtbar wird, aber auch von uns abfallen kann.“

Akt der Liebe, mehr als Schönheit

Würde ihr Werk am liebsten vor der Zerstörung schützen: Laura Gentile
Würde ihr Werk am liebsten vor der Zerstörung schützen: Laura Gentile Foto: Carole Theisen

Für die Künstlerin Laura Gentile ist Kunst in erster Linie ein schöpferischer, friedlicher Akt. „Sie ist ein Akt der Liebe“, sagt sie. „Man bringt etwas in die Welt, das Menschlichkeit ausdrückt. Man legt sein Inneres nach außen, mit den Händen, mit der eigenen Energie, mit allem, was man ist.“ Die Vorstellung, dass ihr Werk zerstört wird, fällt ihr schwer. „Ich habe den Impuls, es mit meinem Körper zu schützen – denn es ist ein Teil von mir“, sagt sie. Gleichzeitig fasziniert sie das Konzept. Ihre eigene Arbeit für die Ausstellung beschreibt sie als zutiefst persönliches Experiment. Normalerweise arbeitet sie impulsiv, ohne Plan. Sie zeichnet figurativ, meist Frauen. Auch diesmal ist es eine weibliche Gestalt, die sie geschaffen hat: „Ich wollte, dass sie aufrecht steht; dass man sieht: Sie hat etwas durchlebt, vielleicht steckt sie noch mittendrin. Doch sie steht da, sie ist präsent. Sie trägt die Kraft in sich, die sie braucht.“

Die Fotografin Tetiana Popyk
Die Fotografin Tetiana Popyk Foto: Sandra Sant’Ana

Für Fotografin Tetiana Popyk ist „Ugegraff“ ein Wendepunkt in ihrer künstlerischen Laufbahn. „Normalerweise arbeite ich kommerziell, für Galerien; dort dreht es sich meist um Schönheit. Hier geht es nicht nur um Schönheit, sondern um Wahrheit.“ Als sie von der Expo hörte, war sie sofort begeistert. Zum ersten Mal wollte sie ihre Kunst in den Dienst eines sozialen Projekts stellen. Und dann begegnete sie einer Frau, die selbst Gewalt erlebt hatte. „Wir haben uns ausgetauscht, und sie wollte Teil meiner Arbeit werden. Gemeinsam haben wir eine Performance entwickelt, die ich fotografiert habe. Sie bewegte sich, wir bemalten ihren Körper, und durch meine Linse wurde daraus ein Bild, das ihre Geschichte erzählt.“

Diese Zusammenarbeit nennt sie ein Geschenk: „Ich danke Gott, dass ich selbst diese Erfahrung nicht machen musste. Aber um mich herum kenne ich Menschen, die Gewalt erlebt haben. Und oft weiß man gar nicht, wie man reagieren soll. Dieses Projekt gibt mir die Möglichkeit, etwas beizutragen, das größer ist als ich selbst.“ Für Popyk ist die geplante Zerstörung kein Verlust, sondern eine zweite Schöpfung. „Wenn mein Bild zerstört wird, wird daraus ein neues Werk. Die Narben werden Teil der Geschichte – und genau das ist die Botschaft: Heilung ist möglich, auch wenn die Spuren bleiben.“

Infos

„Ugegraff“, vom 25. September bis zum 20. Dezember im „Musée national de la Résistance et des droits humains“ (place de la Résistance, Esch); die Vernissage findet um 19.30 Uhr statt; mehr Infos: mnr.lu.