Als „good governance“ hat die Idee des guten Regierens vor allem als Leitbild für die Entwicklungspolitik Verbreitung gefunden. Die verantwortungsvolle Staatsführung gehört nicht nur zu den Versprechen liberaler Demokratien, sondern reicht zurück bis in die Antike, etwa in das Römische Reich zur Zeit von Kaiser Marc Aurel.
Aber was sind die Kriterien für das gute Regieren? Der deutsche Historiker Paul Nolte wies einmal in einem Vortrag darauf hin, dass das Konzept schwer greifbar sei und sowohl der begrifflichen Erklärung als auch einer historischen und kritischen Einordnung bedürfe. Er stellte dabei zwei Tendenzen fest: Während mit dem Begriff in den westlichen Demokratien der Anspruch auf eine Vertiefung und Verbesserung der demokratischen Institutionen und Praktiken verbunden werde, stelle er im globalen Kontext eher einen demokratischen Minimalkonsens als eine Art Checkliste der Weltbank und anderer Institutionen dar.
Wir leben in einer Zeit, in der in den USA Präsident Donald Trump sich als unantastbarer Herrscher inszeniert und in seinem Streben nach totaler Macht die Basis der Demokratie fundamental beschädigt. Derweil führt im äußeren Osten Europas der autokratische Kremlmachthaber Wladimir Putin wie ein Imperator Krieg gegen das von seinen Truppen überfallene Nachbarland Ukraine. Und in mitteleuropäischen Ländern wie Ungarn und der Slowakei weicht die liberale zusehends einer illiberalen Demokratie.
Gegenentwurf zu Trump und Putin
Dagegen wirkt Kaiser Marc Aurel, der von 121 bis 180 nach Christus lebte, in der Ausstellung nicht etwa wie ein triumphierender Feldherr und Despot, sondern staatsmännisch-zivil und fast schon aufgeklärt. Der „Philosoph auf dem Kaiserthron“, als der er oft bezeichnet wird, steht im Mittelpunkt der beiden großen Schauen, die nach den Publikumserfolgen der Sonderausstellungen über Kaiser Konstantin (2007), Nero (2016) sowie den Untergang des Römischen Reiches (2022) wieder viele Geschichtsinteressierte nach Trier locken.

In der einen sind unter dem Titel „Marc Aurel – Kaiser, Feldherr, Philosoph“ auf 1.600 Quadratmetern etwa 400 Exponate zu sehen, darunter viele Leihgaben von Museen aus 17 Ländern. Sie ist dem privaten und öffentlichen Leben von Marc Aurel ebenso gewidmet wie seiner Epoche und Bedeutung. Die zweite Ausstellung im Stadtmuseum heißt „Marc Aurel – Was ist gute Herrschaft?“ In Form von Gemälden, Skulpturen und Karikaturen ist eine Ikonographie der Macht über mehrere Jahrhunderte zu verfolgen. Simon Meisters Gemälde „Napoleon zu Pferde“ von 1832 oder eine Reiterstatuette aus dem 9. Jahrhundert, die wahrscheinlich Karl den Großen zeigt. Sie halten die Zügel in der Hand. Die Darstellungen basieren auf dem aus dem 2. Jahrhundert stammenden Reiterdenkmal von Marc Aurel. Die Ausstellung schlägt eine Brücke von der Antike bis zur Gegenwart – bis zum Sturm auf das Washingtoner Kapitol vom 6. Januar 2021.
Pflichten und Tugenden machen eine gute Lebensführung aus
Dabei geht es nicht zuletzt auch um Tugenden: „Pflichten und Tugenden machen eine gute Lebensführung aus“, dieser Satz von Marc Aurel steht an einer Wand. Dem kann man interaktiv zustimmen – oder auch nicht. Der Adoptivsohn Kaiser Hadrians trat nach 23 Jahren im Wartestand mit 39 Jahren an die Spitze Roms. Ohne militärische Ausbildung führte der Feldherr wider Willen seine Legionen erfolgreich und regierte das Römische Reich, als dessen Ausdehnung am größten war und sich das Imperium auf dem Zenit seiner Macht befand. Um jene Zeit darzustellen, hat das Rheinische Landesmuseum Trier Spitzenexponate aus Europas führenden Museen herankarren lassen.
Übrigens war einst die sechs Kilometer lange Trierer Römermauer um 170, also zu Zeiten Marc Aurels, errichtet worden. Marc Aurel reagierte damals auf eine steigende Unsicherheit an den Grenzen des Reiches. Doch er galt im Gegensatz zu vielen späteren Herrschern nicht als machtgierig, sondern eher als bildungshungrig und anspruchslos. Er habe der Muße und dem Vergnügen den Kampf angesagt, so sein Lehrer Marcus Cornelius Fronto über ihn. Aus dem Briefwechsel Marc Aurels – damals noch als junger Thronfolger – mit ihm sind 143 Schreiben überliefert.
In der Tradition der Stoiker
Die in den Feldlagern des Römischen Reiches entstandenen „Selbstbetrachtungen“ dienen als eine Art Leitfaden für kluges und gerechtes Regieren. Zu seinen Maximen zählen Gewissenhaftigkeit und Pflichtbewusstsein sowie Menschenfreundlichkeit und innere Gelassenheit. Seine Lehrer hatten ihn mit der Philosophie der Stoa vertraut gemacht, vor allem vertreten durch Seneca und Epiktet, die sich Fragen der handlungsbezogenen Ethik und sozialen Verantwortlichkeit widmeten und denen es vor allem darum ging, ständig an sich selbst zu arbeiten – dem Gewissen folgend und am Gemeinwohl orientiert. „Blicke in dein Inneres, die Quelle des Guten, wenn du nur immer nachgräbst“, schreibt Marc Aurel.

Doch handelte der Stoiker Marc Aurel als Politiker auch wirklich nach den Vorgaben seiner „Selbstbetrachtungen“? Vielmehr galten sie als Maxime der persönlichen Menschwerdung und Lebensführung. Eine Entsprechung im politischen Handeln hatten sie nicht. Schließlich führte er brutale Kriege und billigte die Folter von Sklaven und die Verfolgung von Christen.
Marc Aurel selbst starb auf dem Weg in den Krieg. Die Todesursache ist nicht belegt. Der Kaiser, zeitlebens kränklich, soll auf dem Feldzug zum zweiten Markomannenkrieg einer nicht bekannten Krankheit erlegen sein. Einige Wissenschaftler gehen von der Pest aus, andere von einem Krebsleiden. Sterbend rief er seinen Sohn Commodus und wies ihn an, den Feldzug bis zum Sieg fortzusetzen. In dem Film „Gladiator“ erstickt Commodus seinen Vater, diese Version ist allerdings nicht historisch belegt.
Dagegen gewinnen die Ausstellungsbesucher Einblick in Marc Aurels Gedankenwelt und in die Philosophie jener Zeit, mithilfe von zahlreichen Dokumenten, Filmen und Installationen. Immer wieder geht es um Gerechtigkeit und um die Bedeutung von Gemeinschaft und Tugend: „Erdulde und verzichte für ein tugendhaftes Leben.“ An einer anderen Stelle „sei besonnen und tapfer für dich selbst, aber auch gerecht und klug für die Gemeinschaft“.
Heute wird von der Krise gesprochen. Zur Zeit von Marc Aurel war diese bereits negativ behaftet. Nach Aristoteles (384 bis 322 vor Christus) war die anzustrebende Staatsform eine Monarchie, gefolgt von Aristokratie, der Herrschaft und Politie – die Demokratie galt dem griechischen Philosophen und Universalgelehrten als negativer Entwurf einer Herrschaft der Armen und Vielen. Heute ist sie so bedroht wie schon lange nicht mehr.
Die Ausstellungen sind noch bis zum 23. November zu sehen.

De Maart

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