Freitag7. November 2025

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Vuelta als PolitikumDas politischste Radrennen aller Zeiten: Wie die Spanien-Rundfahrt zur Tribüne für Palästina wurde

Vuelta als Politikum / Das politischste Radrennen aller Zeiten: Wie die Spanien-Rundfahrt zur Tribüne für Palästina wurde
Demonstranten blockieren die Straße, um die 21. Etappe des spanischen Radrennens La Vuelta von Alalpardo nach Madrid zu stören Foto: dpa/AP/Manu Fernandez

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Die Vuelta a España ist normalerweise ein sportliches Spektakel – drei Wochen Hochleistung, Strategie und Leidenschaft. 2025 jedoch verwandelte sich das Radrennen in eine politische Arena: Pro-palästinensische Proteste prägten das Bild, überschatteten sportliche Erfolge und stellten Organisatoren wie Verbände vor heikle Fragen. Eine Analyse.

Normalerweise ist die Spanien-Rundfahrt, die Vuelta a España, eine sportliche Großbühne: drei Wochen, 21 Etappen, über 3.000 Kilometer quer durch das Land. Ein Fest für die Radsportfans – die drittgrößte Rundfahrt der Welt nach der Tour de France und dem Giro d’Italia. 2025 aber hat sich dieses Rennen in etwas verwandelt, was niemand so geplant hatte: in ein Politikum und in eine rollende Protesttribüne für Palästina.

Schon wenige Tage nach dem Start war klar, dass es nicht mehr nur um Sekunden und Trikots gehen würde. Am Straßenrand tauchten immer häufiger palästinensische Fahnen auf. Parolen wie „Freies Palästina!“, „Israel, raus aus dem Wettbewerb!“ und „Das ist kein Krieg, das ist Völkermord!“ übertönten Applaus und Anfeuerungsrufe.

Manche Protestaktionen waren symbolisch, andere gefährlich: Straßenblockaden, Reißzwecken auf dem Asphalt, ein gefällter Baum, der die Strecke versperrte. Mehrfach mussten Etappen verkürzt oder neutralisiert werden.

Verstärker einer gesellschaftlichen Empörung

Dass gerade in Spanien eine solche Protestwelle losbrach, war kein Zufall. Die spanische Mitte-links-Regierung unter dem sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez ist in der EU zur lautesten Stimme gegen Israels Kriegsführung im Gazastreifen geworden. Madrid hat Palästina als Staat anerkannt, im Alleingang Sanktionen gegen die Regierung Benjamin Netanjahus verhängt – und sie forderte den Ausschluss Israels aus internationalen Wettbewerben.

Die öffentliche Meinung im Land folgt mehrheitlich dieser Linie: Seit Jahrzehnten sympathisiert ein Großteil der spanischen Gesellschaft mit der palästinensischen Sache. Die Regierung Sánchez spricht offen von „Völkermord in Gaza“. Außenminister José Manuel Albares sagt: Auch im Sport könne man nicht ignorieren, dass Israel „mit Bomben und Hunger“ Tausende Menschen in Gaza töte.

Nun nutzten Aktivisten das Spanien-Radrennen, um diese Haltung aller Welt deutlich zu machen. Die Vuelta wurde zum Verstärker einer gesellschaftlichen Empörung. Die Zuschauer auf Spaniens Straßen klatschten nicht nur, sondern klagten auch an. Statt Sprintankünften und Bergwertungen dominierten Proteste die Nachrichten.

Im Fokus der Kontroverse stand das Team Israel-Premier Tech. Kritiker sehen in der Team-Gründung ein „Sportswashing“-Projekt, um Israels internationales Ansehen angesichts von massiven Völkerrechtsverstößen und illegalem Siedlungsbau in den Palästinensergebieten zu verbessern. Eigentümer ist der israelisch-kanadische Unternehmer Sylvan Adams, Multimillionär und enger Vertrauter von Premierminister Netanjahu.

Rennstall lehnte Rückzug ab

In Spanien schlug diese Wahrnehmung nun in offene Ablehnung um: Fahrer wurden ausgebuht, beschimpft und sogar mit Tomaten beworfen. Die Teamleitung entfernte daraufhin den Schriftzug „Israel“ von Bussen und Trikots. Doch die Proteste ebbten nicht ab.

Die Organisatoren der Vuelta steckten in der Zwickmühle. Einerseits wollten sie kein politisches Urteil über Israel fällen, andererseits pochten sie auf die Sicherheit des Rennens. Straßenblockaden und Sabotageaktionen seien nicht hinnehmbar. Hinter den Kulissen war jedoch zu hören, die einfachste Lösung wäre der Rückzug des israelischen Teams gewesen – eine Option, die der Rennstall ablehnte.

Auch Rufe nach einem Ausschluss Israels waren laut geworden. Doch der Weltradsportverband UCI verwies darauf, dass man an die „Neutralität der in der Olympischen Bewegung zusammengeschlossenen Sportorganisationen“ gebunden sei. Sportverbände dürften nicht eigenmächtig Nationen oder Teams boykottieren. Aufgabe des Sports sei es, Menschen zusammenzubringen und Barrieren zu überwinden. Zudem gebe es seitens des Internationalen Olympischen Komitees, anders als im Fall Russlands, keine Sanktionen gegen Israel.

„Palästina hat die Spanien-Rundfahrt gewonnen“

Während die meisten Fahrer schwiegen, zeigte der dänische Vuelta-Sieger Jonas Vingegaard Verständnis für die Protestwelle: „Die Leute tun das aus einem Grund: Es ist schrecklich, was passiert.“ Sätze, die zeigen, dass das Fahrerfeld nicht nur über Geraden und durch Kurven fuhr, sondern mitten durch eine politische Debatte.

Ein Mann wirft eine Rauchfackel, nachdem pro-palästinensische Demonstranten während der 21. und letzten Etappe in Madrid auf die Straße gestürmt sind
Ein Mann wirft eine Rauchfackel, nachdem pro-palästinensische Demonstranten während der 21. und letzten Etappe in Madrid auf die Straße gestürmt sind Foto: AFP/Thomas Coex

Am Sonntag, beim Vuelta-Finale in Madrid, kam es dann endgültig zum Eklat: Nachdem Zehntausende von pro-palästinesischen Demonstranten die Absperrzäune entlang der Strecke niedergerissen und die Fahrbahn besetzt hatten, wurde die letzte Etappe abgebrochen. Vuelta-Spitzenreiter Vingegaard wurde zum Gewinner erklärt – aber die geplante feierliche Siegerehrung fiel aus Sicherheitsgründen aus.

Diese Chaos-Vuelta wird als das politischste Radrennen des spanischen Sports in die Geschichte eingehen. Man wird sehen, ob unter diesen Umständen tatsächlich die Tour de France 2026 wie geplant in der nordspanischen Stadt Barcelona starten kann.

Die Demonstranten haben unterdessen erreicht, dass nicht der Sport, sondern die Sache Palästinas die Schlagzeilen bestimmte. Oder wie es spanische Kommentatoren ausdrückten: „Palästina hat die Spanien-Rundfahrt gewonnen.“