Damit gerechnet, dass sie als CSV-Mitglied Rathauschefin wird, hat sie nach 23 Jahren LSAP-geführter Koalitionen nicht. Carole Weigel sitzt erst seit 2017 im Gemeinderat der Ardennenstadt und ging als Drittgewählte der CSV-Liste aus den letzten Kommunalwahlen 2023 hervor. Erst- oder Zweitgewählte wollten das Amt nicht annehmen. Sie hat sich das gut überlegt.

„Wenn man A sagt, muss man auch B sagen“, sagt sie heute noch und stellte sich damals der Verantwortung. Sie ist ein Vereinsmensch, sagt sie über sich selbst, und das sehr engagiert. Gerade erst hat sie die „médaille en vermeil avec couronne“ für 30 Jahre Freiwilligentätigkeit beim CGDIS erhalten. B sagen muss sie können, denn die Stadt verändert sich rasant. Das größte Projekt hat sie vom Vorgänger „geerbt“.
Mammutaufgabe: „Wunne mat der Wooltz“
Mit „Wunne mat der Wooltz“ entsteht zwischen Ober- und Unterstadt bis 2035 ein völlig neues Wohnviertel. 1.085 Wohneinheiten werden unter der Federführung des „Fonds du logement“ gebaut und bis zu 2.500 Menschen beherbergen können. Geschäftsflächen kommen hinzu. Laut Citymanager Bob Wetzel hat eine von der Gemeinde in Auftrag gegebene Einzelhandelsstudie ergeben, dass die Stadt noch ein Potenzial von max. 3.000 Quadratmetern an weiteren Flächen hat.

Einige davon kommen in dem neuen Viertel unter. Ein Besuch auf der Baustelle zeigt: Es geht voran. Große Kräne, Rohbauten und Baulärm deuten darauf hin, dass ab 2026 die ersten 76 Wohnungen an die zukünftigen Mieter übergeben werden können. „Das neue Wohnviertel soll die Stadt aufwerten“, sagt Bürgermeisterin Weigel. Das tut es schon jetzt in Teilen.
2.500 neue Einwohner auf den ehemaligen „Friches industrielles“
Das Mitmachmuseum „Plomm“ für Kinder zwischen null und zwölf Jahren steht bereits und empfängt Besucher genauso wie die Ganztagsgrundschule „Geenzepark“, die für rund 300 Schüler ausgelegt ist. „Maison relais“, Produktionsküche und Musikschule funktionieren ebenfalls. Abseits des Schulgeländes gleicht „Wunne mat der Wooltz“ aktuell trotzdem noch einer riesigen Baustelle.

Weigel legt großen Wert darauf, dass es mit dem neuen Viertel nicht zu Gentrifizierung oder Ghettoisierung kommt. Der Wohnraum ist ausdrücklich „abordable“ und es gibt größere Wohnungen für Familien. Damit wird endlich belebt, was direkt neben der Wiltz lange eine Brachfläche war. Es war ein verwaister Dorn im Auge des Betrachters, der an den Niedergang der Industrie in der traditionellen Arbeiterstadt erinnerte.
Brachfläche seit Niedergang der Lederindustrie
Leder und dessen Verarbeitung prägten rund 300 Jahre das Bild der Stadt. Um 1860 gab es 27 Gerbereien entlang des Flusses, der der Stadt ihren Namen gibt. Das geht aus der Chronik des Lokalhistorikers Emile Lutgen, „Die Geschichte der Industrie in Wiltz“, die von der Gemeinde im Jahr 2022 herausgegeben wurde, hervor. Die „Tannerie de cuir Idéal à Wiltz“, im Volksmund kurz „Idéal“ genannt, stieg vor dem Zweiten Weltkrieg sogar zur Luxusmarke auf.
Das dort mit speziellen Gerbverfahren hergestellte Boxcalf- und Velourleder, aus denen Damen- und Herrenschuhe sowie hochwertige Handtaschen produziert wurden, fand reißenden Absatz. 1,5 Millionen Quadratmeter Leder pro Jahr verließen die Fabrik zeitweise, in der rund 1.250 Menschen Arbeit fanden. Endgültig ging die Fabrik in die Geschichte ein, als am 31. August 1942 die Idéal-Arbeiter zu einem Generalstreik gegen die Zwangsrekrutierung antraten.

Gebäude der Idéal bleibt erhalten
Als die Fabrik 1966 nach mehreren Besitzerwechseln endgültig ihre Türen schloss, ging diese Ära zu Ende. Das symbolträchtige Verwaltungsgebäude der Fabrik ist das einzige, das von den ehemaligen Industrieanlagen erhalten wurde. Staatliche Dienstleistungen wie Steuerverwaltung und eine Zweigstelle der ADEM sowie Büros vom „Fonds du logement“ sollen dort einziehen.
2011 sicherte der damalige Finanzminister Luc Frieden (CSV) der Stadt finanzielle Hilfe und Unterstützung bei der Belebung der Flächen zu. „Wunne mat der Wooltz“ ist ein ehrgeiziges Projekt und nicht das einzige, das mehr Wohnraum schafft. Das Gegenstück zur dichten Bebauung auf dem ehemaligen Industriegelände ist das Projekt „Op Heidert“. 102 Baugrundstücke stehen dort auf Gelände, das der Gemeinde gehört, zum Verkauf.
Einfamilien-, Reihen- und zwei Mehrfamilienhäuser sollen die neuen Besitzer dort bauen können. Angesichts der aktuell knapp 8.300 Einwohner (Stand: 10. Juli 2025) schätzt die Stadt ihr Wachstum – ausgehend von den bereits begonnenen und noch geplanten Wohnprojekten – auf 13.000 Einwohner bis 2035. Sie will sich – so der Anspruch – als regionale Hauptstadt des Nordens und der Ardennen positionieren.
Arbeitsplätze und bessere Zugverbindung

Das geht aus der „Vision de développement CAP 2035“ hervor, die sich die Stadt gegeben hat. Begleitet wird das von einem klaren Bekenntnis zur Kreislaufwirtschaft – übrigens ohne ein einziges Mitglied von „déi gréng“ im Gemeinderat. Außerdem will die Gemeinde Arbeitsplätze schaffen und kämpft für eine bessere Zugverbindung in Richtung Nordstad und Luxemburg.
Es sind viele Projekte, die in Wiltz laufen und noch anlaufen werden. Bei den drei bestehenden Grundschulen wird es nicht bleiben. Fast 900 Kinder sind dort jetzt schon untergebracht. Bei Amtsantritt den Überblick darüber zu gewinnen, war eine große Herausforderung für Carole Weigel. „Man muss diese Challenge annehmen“, sagt sie und ist damit bei ihrem Motto: „Wer A sagt, muss B sagen können.“ Stand jetzt: Sie tut es.
Die ehemaligen „Friches industrielles“ in Zahlen
Ein Problem bei der Umwidmung des Geländes war der Zustand des Bodens nach Jahrhunderten als Industriestandort. Nach Angaben des „Fonds du logement“ hat die Regierung mit dem Finanzierungsgesetz vom 30. Juli 2021 einen Betrag von 101 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, der an den Baupreisindex gebunden ist und bis heute auf 140 Mio. gestiegen ist. Der Betrag deckt neben der Sanierung auch die Vorbereitungsarbeiten ab, wie der „Fonds“ auf Tageblatt-Anfrage schreibt. 505.000 Tonnen verseuchten Bodens wurden insgesamt aufbereitet. Rund 35.500 Euro kostet zusätzlich die Renaturierung der Wooltz, die aus Mitteln des Wasserwirtschaftsamtes stammen. Etwa ein Drittel der insgesamt 26 Hektar großen Fläche soll Grünflächen werden.
De Maart

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