Mittwoch29. Oktober 2025

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Social-Media-TrendMit „Italian Brainrot“ begegnen junge Generationen der Krise mit Irrsinn

Social-Media-Trend / Mit „Italian Brainrot“ begegnen junge Generationen der Krise mit Irrsinn
„Italian Brainrot“ hat längst den reinen Meme-Status hinter sich gelassen und wurde kommerzialisiert Foto: AFP

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Von absurden Memes hin zum Merch: „Italian Brainrot“ erobert das Netz – zwischen sinnlosem Spaß, Satire und grenzüberschreitendem Humor.

„Bombardiro Crocodilo, ein verdammter fliegender Alligator, der fliegt und Kinder in Gaza und Palästina bombardiert. Er glaubt nicht an Allah und liebt Bomben. Er ernährt sich vom Geist deiner Mutter. Und wenn du das alles übersetzt hast, dann bist du ein Arschloch. Verderbe nicht den Witz, Prostituierte.“

Sie fragen sich sicherlich: „Was zum Teufel habe ich da gerade gelesen?“ – genau das ist das Wesen des sogenannten „Italian Brainrot“ (dt.: Italienische Hirnfäule).

Was hinter dem Phänomen steckt

„Italian Brainrot“ bezeichnet ein virales Internetphänomen, das Anfang 2025 auf Plattformen wie TikTok, Instagram und YouTube enorme Aufmerksamkeit erlangte. Der Trend dreht sich um meist KI-generierte Bilder und Videos von Tier-Objekt-Hybriden, die mit sinnfreien, absurden und oft übersteigerten Mini-Geschichten kombiniert werden.

Begriffserklärung: Meme

Memes sind eine Form visueller Kommunikation, die sich vor allem im Internet verbreitet. Sie benötigen meist nur wenig Text und wirken dadurch kultur- und sprachübergreifend. In der Regel verfolgen sie einen humoristischen Ansatz, können aber auch satirisch eingesetzt sein und gesellschaftskritische Töne anschlagen. Die Bandbreite reicht von harmlosen Wortspielen bis hin zu schwarzem Humor oder zynischen Spitzen, die bewusst mit Tabus brechen und gegen gängige Vorstellungen von politischer Korrektheit verstoßen. Dank einfacher technischer Mittel lassen sich Memes heute ohne großen Aufwand selbst erstellen, was ihre enorme Verbreitung und die Beteiligung vieler Menschen zusätzlich fördert.

Oxford ernannte „brain rot“ 2024 zum Wort des Jahres. Der Begriff beschreibt „die vermeintliche Verschlechterung des geistigen oder intellektuellen Zustands einer Person, insbesondere als Folge des übermäßigen Konsums von Material (heutzutage insbesondere Online-Inhalten), das als trivial oder anspruchslos angesehen wird“.

„Italian Brainrot“ knüpft daran an: einerseits als Sinnbild übermäßiger Social-Media-Nutzung, andererseits als ironisches Spiel mit Nonsens und Übertreibung – eine satirische Zuspitzung des digitalen Dauerrauschs. Manche Figuren liefern zudem Kommentare zu aktuellen politischen Ereignissen und gesellschaftlichem Frust.

Warum „Italian“? Das „italienische“ Element liegt weniger in realen Bezügen zu Italien, sondern vor allem in den Namen der Figuren. Mit Suffixen wie -ini oder -ello werden bewusst italienisch klingende Wortschöpfungen gebildet – meist aus reiner Lautfreude. Hinzu kommen Erzählungen, die mit überzeichneten Text-to-Speech-Stimmen auf Italienisch unterlegt werden.

Vom Bomber-Krokodil bis zum Kaffee-Ninja

Die Figurenwelt des „Italian Brainrot“ ist vielfältig. Zu den bekanntesten gehören:

– Tralalero Tralala, ein dreibeiniger Hai, häufig in Nike-Schuhen dargestellt.*

– Ballerina Cappuccina, eine Tänzerin mit Cappuccino-Kopf.

– Cappuccino Assassino, ein anthropomorpher Ninja-Kaffeebecher.

– Bombardiro Crocodilo, das anfangs bereits erwähnte Bomber-Krokodil. Wobei dem Autor dieser Zeilen immer noch nicht ganz klar ist, ob es sich nun um ein Krokodil (Name) oder um einen Alligator (Mini-Geschichte) handeln soll – möglicherweise auch beides gleichzeitig? Hauptsache absurd!

Doch die Figuren sind nicht ausschließlich „italienisch“. Besonders populär ist Tung Tung Tung Sahur – eine indonesische Holztrommel mit Baseballschläger. Der Name spielt auf die Onomatopoesie des „Tung Tung Tung“ an, das traditionelle Bedug-Trommeln zur Einleitung des Suhur – der Mahlzeit vor Sonnenaufgang, die Muslime vor dem Fasten während des Ramadan zu sich nehmen.

Die Charaktere und ihre Geschichten sind dabei nicht statisch: Fans entwickeln die Erzählungen fortlaufend weiter, schaffen neue Figuren und lassen alte in Interaktionen auftreten. Inzwischen existieren mehr als 100 verschiedene Charaktere – einige kultiger und populärer als andere.

*Das Tageblatt verzichtet bewusst darauf, die teils derben Mini-Geschichten im Detail wiederzugeben. Wer sich selbst ein Bild von deren Absurdität machen möchte, findet eine Übersicht im „Italian Brainrot“-Wiki.

Kommerzialisierung und Kritik

Vor allem die Generationen Z (ca. 1995-2010) und Alpha (ca. 2010-2025) greifen den Trend auf. Es gibt inzwischen ein eigenes „Italian Brainrot“-Wiki, in dem die Figuren katalogisiert werden. Medien wie die österreichische Tageszeitung Kurier interpretieren das Phänomen als Spiegel einer jungen Generation, die angesichts globaler Krisen – Kriege, Klimawandel, gesellschaftliche Polarisierung – auf die Absurdität der Realität mit noch größerem Absurditäts-Output reagiert.

Doch der Hype hat längst die Ebene des reinen Memes verlassen: Sammelkarten, Plüschtiere, Spielfiguren und T-Shirts bringen den Nonsens-Trend ins Kommerzielle.

Neben dem Hype wird auch Kritik laut. Der ursprüngliche Beitrag mit Tralalero Tralala wurde mittlerweile wegen problematischer Inhalte gelöscht. Denn die Wurzeln mancher „Brainrot“-Memes liegen in islamophoben, rassistischen oder entmenschlichenden Narrativen.

Die Gefahr besteht darin, dass schädliche Inhalte unter dem Deckmantel des Absurden verharmlost oder normalisiert werden. Was als ironischer Kommentar über die Abstumpfung von Internetnutzern gedacht ist, kann so selbst zum Träger problematischer Botschaften werden und zur Relativierung kontroverser Inhalte beitragen. Oder sehen wir hier schon wieder zu viel dahinter? Chimpanzini Bananini (erklärt sich von selbst), Brr Brr Patapim (lässt sich nicht erklären) und Lirilì Larilà (Kaktus-Elefant mit Birkenstock-Sandale) sowie all ihren jungen Fans wird’s vor allem eins sein: wurscht, Hauptsache tralalero tralala.