Selbst wenn er gar nicht vor Ort ist, dominiert Nigel Farage das Geschehen im britischen Unterhaus. Wie so häufig schwänzte der Abgeordnete für den Wahlkreis Clacton auch am Mittwoch die Fragestunde an den Premierminister. Keir Starmer wischte rasch die Fragen der konservativen Oppositionsführerin Kemi Badenoch weg, ehe er sich seinem Hauptkontrahenten zuwandte: Der Abwesende weile ja gerade in Amerika, „wo er unser Land schlechtmacht. Das nenne ich zutiefst unpatriotisch.“
Tatsächlich hatte sich Farage in Washington von einem Komitee des US-Kongresses zur Meinungsfreiheit im Königreich befragen lassen. Den Fall eines in England lebenden irischen Komikers, gegen den Scotland Yard wegen aggressiver Tweets über Transsexuelle ermittelt, nahm der 61-Jährige zum Anlass, die Insel mit einer asiatischen Diktatur zu vergleichen: „Wann sind wir zu Nordkorea geworden?“
Begeisterungsstürme à la Kim Jong-un erwarten den Heimgekehrten jedenfalls an diesem Freitag in Birmingham, wo seine jüngste Partei Reform UK zu ihrem zweitägigen Parteitag zusammentritt.
Viel zu feiern gibt es allemal: Bei den jüngsten Wahlen in England sowie einer Nachwahl in Schottland erzielten die Nationalpopulisten aus dem Stand hervorragende Ergebnisse, können knapp 900 Kommunalvertreter vorweisen und führen in dreizehn englischen Kommunen, darunter große Grafschaften wie Kent und Essex, das Regiment. Zudem liegt die Partei seit vielen Monaten deutlich (31 Prozent) vor Premier Starmers zutiefst unpopulärer Labour-Party (23). Für die seit Jahrhunderten erfolggewohnten Konservativen (18) wird die Konkurrenz von rechts zu einer existenziellen Bedrohung.
Die Partei-Struktur verdeutlicht Reforms Genese aus einer Privatfirma mit dem Mehrheitseigner Farage zur Führerpartei. Dem Parteirat gehören außer dem Chef sechs Männer und eine Frau, allesamt treue Loyalisten, an. Drei von ihnen durften die mittlerweile rund 240.000 Mitglieder wählen, vier bestimmt Farage selbst – seine Mehrheit bei etwaigen Streitfragen bleibt zementiert. Wie in anderen britischen Parteien ist auch bei Reform eine Bestätigung des Vorsitzenden durch ein Mitglieder- oder Parteitagsvotum nicht vorgesehen. Der charismatische Boss würde es gewiss gewinnen.
Wer aber macht neben Farage Politik, wer ist als Sprecher auf einzelnen Politikfeldern autorisiert? Diese Frage gewinnt an Bedeutung, je länger Reform UK die Umfragen dominiert. Ein Schattenkabinett, wie die Briten es von der jeweils wichtigsten Oppositionspartei erwarten, kann das traurige Häuflein von vier Unterhausabgeordneten natürlich nicht bilden. Auch fehlt den Nationalpopulisten bisher die inhaltliche Unterfütterung, die auf der Insel die den Parteien nahestehende Thinktanks leisten.
Die Farage-Groupies und ihr Experiment
In der Öffentlichkeit präsent sind neben Farage Vize-Parteichef Richard Tice sowie Zia Yusuf, der im Juni den Posten des Chairmans hinschmiss, zwei Tage später aber als Leiter von Reforms DOGE-Abteilung nach amerikanischem Vorbild vorgestellt wurde. Dem 39-jährigen Millionär, Muslim und nach Selbsteinschätzung „britischen Patrioten“ wird die Verwandlung der früheren Privatfirma zur Partei mit Ortsvereinen und einigermaßen funktionierender Infrastruktur zugerechnet.
In seinen beiden Parteitagsauftritten am späten Freitagnachmittag und am Samstag dürfte Farage den Blick seiner Getreuen auf die im Frühjahr bevorstehenden Regionalwahlen richten. Vor allem in Wales kann sich Reform den Umfragen zufolge gute Chancen ausrechnen, die seit 26 Jahren amtierende, ausgelaugte Labour-Regierung abzulösen. Aber auch in Schottland – Brexit-kritisch und gegenüber Immigranten relativ aufgeschlossen – winken eine Handvoll Parlamentssitze und damit einhergehend eine Professionalisierung der Mandatsträger.
Diese steht in einigen der englischen Grafschaften, die Reform seit der Wahl im Mai dominiert, allerdings noch aus. Immer wieder treten Kommunalpolitiker zurück: Mal sind sie nach eigenem Eingeständnis „überfordert“, mal wurden sie bei rassistischen Meinungsäußerungen in den unsozialen Medien ertappt. Oder sie ärgern sich über die Berichterstattung der örtlichen Zeitung und verhängen kurzerhand einen Boykott gegen deren Produkte. Die Chefredakteurin der davon betroffenen Nottingham Post sprach von einem „Angriff auf einen Eckpfeiler unserer Demokratie: die freie Presse“.
Mag also noch nicht ganz Großbritannien zu Nordkorea geworden sein – Farages Groupies machen in Nottingham ein erstes Experiment damit.
De Maart
Mir ist nicht bekannt dass die meisten Briten wieder in die EU wollen . Nach juengsten Umfragen liegt Farage bei 31 % vor Labor 21 % und Con . 18 % . Natuerlich ist die Verhaftung von Graham Linehan eine Steilvorlage die Reform UK gerne aufnimmt , weil es um Meinungsfreiheit geht . Sogar Labor macht sich nun Gedanken , ob die Online Gesetzte nicht etwas ueberzogen sind .
Die Handy- und Googlegeneration ist wahlberechtigt. Von Geschichte und Lebenserfahrung keine Spur. Mein Handy und ich wissen alles. Der Rechtsruck ist bestes Beispiel.Wie die "Casseurs" in Frankreich mit den Nasen Bardella,LePen oder "Méchant Loup" alles schlecht reden und eine Regierungsarbeit unmöglich machen. Nur dass Politik kein Spiel ist. Wenn die Engländer noch in der EU wären hätten sie viele Probleme weniger.Die meisten wollen ja wieder rein.Nur Farage nicht.