Im März erregte zwischen Vancouver und St John’s eine Umfrage große Aufmerksamkeit, in der sich fast die Hälfte der Kanadier für eine Mitgliedschaft ihres Landes in der Europäischen Union aussprachen – nur rund ein Viertel waren dagegen. Kanada und Europa scheinen eng zusammenzurücken. Zwischen hier und dort liegen Island, Grönland, und Norwegen mit Spitzbergen. Mit Vorstellungskraft und politischem Willen könnte in diesem geografischen Raum etwas ganz Neues entstehen: eine Atlantische Union. Versuchen wir einmal, uns das vorzustellen.

Kanada tritt der Europäischen Union nicht bei, sondern all jene europäischen Staaten, die dies wollen, bilden mit Kanada zusammen die Atlantische Union. Auch das Vereinigte Königreich könnte – und sollte – dort mitmachen, ebenso wie Norwegen, Island und Grönland. Wichtig wäre, dass alle europäischen Staaten, die an Russland, das Nordmeer und den Atlantik grenzen, dabei sind, ebenso wie die Ukraine. Die Atlantische Union würde sich von Vancouver bis Kharkiv erstrecken, ihre Verteidigung gemeinsam organisieren – und auch finanzieren! – sowie den gesamten arktischen Raum als Schutzmacht kontrollieren können. Von der kanadischen Grenze zu Alaska bis zu jener Norwegens zu Russland wäre die Atlantische Union Anrainer von 180 Längengraden, zwischen dem 30. Ost und dem 150. West – eine arktische Großmacht.
Kaliningrad entnuklearisieren
Sollten einige europäische Staaten nicht mitmachen wollen oder können, ändert das nichts an der Sinnfälligkeit der Atlantischen Union. Ungarn und die Slowakei müssen bei so etwas nicht am Start sein, wenn sie nicht wollen. Wenn Portugal und Spanien, Frankreich und Großbritannien, Deutschland, Polen und die Ukraine dabei sind, sowie alle nordeuropäischen und baltischen Staaten und Irland, dann ergibt sich daraus zusammen mit Kanada die Grundlage für eine neuartige Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft gegen alle möglichen Gegner in Atlantik und Arktischem Ozean. Grönland würde effektiv vor allen möglichen imperialistischen Anwandlungen geschützt, die europäischen Grenzen zu Russland definitiv gesichert. Eine Atlantische Union könnte sogar erzwingen, dass Kaliningrad entmilitarisiert – und vor allem entnuklearisiert – wird. Jeder denkbaren Ostseeblockade durch Russland würde so ebenfalls zuvorgekommen.
Die Atlantische Union müsste sich ein paar funktionierende Institutionen geben, legitim regiert werden und notwendige gesetzliche Normen annehmen und in Kraft setzen können. Dies müsste mit Mehrheitsbeschlüssen passieren. Diese können gerne qualifiziert sein, aber es darf keine Einstimmigkeitsregel geben, die notgedrungen zur Handlungsunfähigkeit führt.
Verteidigung, Handel und Energie
Die Atlantische Union wäre gleichzeitig eine Verteidigungs-, Handels- und Energieunion. So würde sie ihre eigenen Bedürfnisse in diesen Bereichen abdecken und in vertragliche Bindungen mit Dritten – wie den USA und China – eintreten können. Eine Mitgliedschaft Marokkos wäre für diese Union durchaus vorstellbar, vor allem aufgrund des Potenzials an erneuerbarer Energie, das zwischen Spanien, Portugal und Marokko existiert, und der Atlantischen Union zugutekäme.
Die Atlantische Union würde das Herz einer weltweiten Freihandelszone der Demokratien – zusammen mit Lateinamerika, Australien, Neuseeland, Japan, Südkorea und anderen. Zusätzlich würde eine Handelsorganisation dieser Dimension weiteres Interesse zur Zusammenarbeit wecken – auf der arabischen Halbinsel, in der Türkei, im zentralasiatischen Raum, bei verschiedenen afrikanischen Staaten. Wenn Russland unsere Sicherheit infrage stellt, die Vereinigten Staaten jeden organisierten internationalen Handel unmöglich machen und China sich immer mehr als die normativ erste globale Wirtschaftsmacht aufführt, dann muss die Antwort lauten: Die Demokratien dieser Welt organisieren sich gemeinschaftlich und schaffen ihre eigene Entwicklungslogik. Ganz nebenbei würde diese Organisation alle wichtigen staatlichen Akteure in der Antarktis beinhalten, die gemeinsam für den dauerhaften Schutz dieses einzigartigen Eiskontinents Sorge tragen könnten. Und die USA? Sind jederzeit willkommen, wenn ihre Führung zur Vernunft kommt.
CETA und Mercosur
Mit einigen dieser Staaten besitzt die EU bereits Handelsabkommen, weitere können schnell dazukommen. CETA, das Canada-Europe Trade Agreement, ist der wohl günstigste Freihandelsvertrag, den die EU bis jetzt abgeschlossen hat, vielleicht zusammen mit den entsprechenden Abkommen mit Japan und Südkorea. Ein Abkommen mit Südamerika – durch den gemeinsamen Markt Mercosur – ist von der EU ausverhandelt. Die Bestimmungen der aktuellen EU-Abkommen mit diesen Staaten und Organisationen würde auf die Atlantische Union übertragen.
Mercosur bietet Zugang zu fast einer halben Milliarde Konsumenten auch europäischer Produkte. Natürlich sind in solchen Verträgen immer besondere Sensibilitäten zu berücksichtigen und die Europäer notorisch skeptisch veranlagt, wenn es um die landwirtschaftliche Dimension geht. Wir müssten als Europäer sicherstellen, dass wir nicht mit Landwirtschaftsprodukten überschwemmt würden, deren Herstellung nicht europäischen Anforderungen entspricht. Aber wir würden uns mit einem ganzen Kontinent handelseinig werden, der demokratisch verfasst ist und dessen Länder und Menschen ein ähnliches Leben führen wie wir.
Was würde aus der Europäischen Union? Etwas anderes als heute. Wenn wir Verteidigung, Energie und Handel in einem anderen Rahmen absichern, dann muss sich die Europäische Union zu einem veritablen Föderalstaat entwickeln. Der würde dann die Mitgliedschaft in der Atlantischen Union und ihrer erweiterten Handelsorganisation von jenen Staaten übernähme, die sich in Europa zu einer Föderation zusammenschließen. Das war sowieso der Kerngedanke in den Gründungsjahren, als die Europäische Verteidigungsgemeinschaft angestrebt wurde, und mit ihr eine politische Union. Für eine effektive Verteidigung muss heute Kanada dazukommen, ebenso wie die Ukraine und das Vereinigte Königreich – in einer für Britannien erträglichen Form. Damit wir die Globalisierung demokratisch und sozial verträglich hinbekommen, braucht es heute eine globale Allianz der Demokratien in Form einer neuen Handelsorganisation. Und mit der Mitgliedschaft Marokkos in der Atlantischen Union könnten wir unsere Energieprobleme sauber und dauerhaft lösen.
Das ist alles etwas anders als 1950. Aber mit der Dynamik von damals und geografischen Ansätzen, die jetzt und in Zukunft passen, bekämen wir endlich das hin, was 1952 versäumt wurde – Verteidigung, Energie und Versorgung für Europa als Ganzes und darüber hinaus.
De Maart
Was fuer ein hanebuechner Unsinn . Kaliningrad entnuklearisieren ? Warum nicht gleich Koenigsberg entnuklearisieren ? Das waere doch eine Ansage .
-Heute Kanada und Marokko und morgen die ganze Welt ?