Am 1. August 1991 hielt der damalige US-Präsident George Bush eine Rede vor dem Obersten Sowjet der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Dieser nannte sich selber übrigens damals schon „Rada“ – wie das ukrainische Parlament bis heute heißt. Bush hatte Michail Gorbatschow in Moskau besucht und darauf bestanden, im Anschluss nach Kiew zu reisen. Dort hielt er eine Rede, die als „Chicken Kiev“-Rede in die Geschichte eingehen sollte. Der Kolumnist der New York Times William Safire hat den Ausdruck in einem Essay geprägt, den er am 29. August 1991 veröffentlichte. Zum Jahrestag seiner „Chicken Kiev“-Feststellung wollen wir uns noch einmal damit befassen, wie man damals und heute nicht mit der Ukraine umgehen darf.

Nein, der US-Präsident hat nicht über vermeintliche Spezialitäten der ukrainischen Küche gesprochen. Er schwadronierte über „ethnischen Hass“, „selbstmörderischen Nationalismus“ und „kleine Despoten“ – alles Dinge, die laut ihm drohten, falls die Ukraine Gorbatschows Anstrengungen zur Erneuerung der Sowjetunion ablehnen und sich für die staatliche Unabhängigkeit entscheiden würde. Tatsächlich stimmten die Ukrainer genau drei Monate später für die Unabhängigkeit. Sie waren dazu seit langem entschlossen und im Gegensatz zu den Erwartungen von Präsident Bush nicht dazu bereit, „to chicken out“ – also einzuknicken und sich weiterhin von Moskau herumkommandieren zu lassen. Die Ukraine wollte die Sowjetunion nicht mehr, weil sie eine russische Erfindung war, von Russen geführt wurde und der Ukraine unendliches Leid zugefügt hatte. Die Ukraine hat mit Russland nichts zu tun – außer, dass Russland sie in dieser oder jener Form über Jahrhunderte besetzt hielt.
Referendum vom 1. Dezember 1991
Das Referendum am 1. Dezember 1991 sollte all jene Lügen strafen, die zu wissen glaubten, dass die Ukraine doch eigentlich eine kleinere Spielart Russlands sei, keine wirkliche Nation, und dass der russischsprachige Teil der Bevölkerung sich doch sicherlich nicht vom „Mutterland“ abwenden würde.
Fast 85 Prozent der wahlberechtigten Ukrainer gaben beim Unabhängigkeitsreferendum ihre Stimme ab. Über 92 Prozent von ihnen stimmten mit Ja. In keiner Region der Ukraine wurde die Unabhängigkeit abgelehnt – in keiner! Auf der Krim gab es 42 Prozent Gegenstimmen, aber das sollte niemanden wundern. Die sowjetische Schwarzmeerflotte war (und ist als russische heute noch) in Sewastopol stationiert, mit allem dazugehörigen russischen Personal, Stalin hatte die Krimtataren auszurotten versucht und lediglich eine kleine Minderheit der Krim-Bevölkerung waren 1991 noch Tataren. Dass also recht viele russische Wähler auf der Krim – ukrainische und tatarische gab es nicht en masse – sich für den Erhalt der Sowjetunion aussprachen, die sie schließlich dominierten und beherrschten, ist kein Wunder. Eine Mehrheit war es eben auch dort nicht.
In den russischsprachigen Regionen der Ukraine, in Kharkiv, Donezk, Luhansk und Odessa stimmten lediglich zwischen 11 und 13 Prozent der Menschen gegen die ukrainische Unabhängigkeit. Überall sonst waren die Nein-Stimmen im einstelligen Prozentbereich, im Westen des Landes war das negative Votum praktisch inexistent, in Kiev gab es fünf Prozent Nein-Stimmen. Die Ukrainer – und zwar alle Ukrainer! – hatten sich mit überwältigender Mehrheit dafür ausgesprochen, das russische Joch in der Erscheinungsform der Sowjetunion abzuschütteln. Dabei war es gleichgültig, ob man Ukrainisch oder Russisch als Muttersprache hatte. Die ukrainische Nation war seit ewigen Zeiten mindestens zweisprachig. Niemand würde der Schweiz aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit absprechen, eine Nation zu sein. Gegenüber der Ukraine wurde dies viel zu lange getan. Damit muss Schluss sein.
Imperialistischer Dünkel
Die mythische Erzählung Russlands zur Ukraine ist lediglich imperialistischer Dünkel, der dazu dienen soll, alles und jeden als russisch zu vereinnahmen, den oder das man einmal mit Waffengewalt unterworfen hat. Die Ukraine ist nicht Russland und war es nie. Russland wurde nicht im 10. Jahrhundert am Ufer des Dniepr begründet. Der Kiewer Staat, der sich „Rus“ nannte oder so genannt wurde, war kein Vorläufermodell des heutigen Russland.
Die Bevölkerung war zum großen Teil slawisch, die Herrscher kamen aus Skandinavien und regierten im Einverständnis mit der Bevölkerung. Die orthodoxe Religion wurde nicht eingeführt, weil sie quintessenziell russisch ist – sie ist griechisch – sondern weil die Herrscher in Kiev sie bewusst auswählten. In der Orthodoxie gibt es etwas mehr Lametta als in der Catholica und im Gegensatz zum Islam darf man trinken. Woher die Bezeichnung „Rus“ kam, ist bis heute umstritten, die wahrscheinlichste Erklärung lautet aber, dass die finnischsprachigen Völker im nördlichen Baltikum sie geliefert haben. Diese nannten die warägischen Händler und Krieger, die von der Ostsee über die Flüsse zum Schwarzen Meer fuhren, „Ruotsi“. Das ist heute noch die finnische Bezeichnung für „Schweden“. Es ist fast schon lustig, dass der ganze verklärte und schwülstige russische Patriotismus darauf beruht, dass das finnische Wort für Schweden „Ruotsi“ ist.
Die Ukrainer sehen Russland nicht als „großen Bruder“ an. Die Ukrainer und ihre jeweiligen Staaten, von der alten Rus über das galizische Königreich des Mittelalters und die kurzlebigen (Volks)republiken nach dem Ersten Weltkrieg bis zur heutigen Ukraine, wollten stets Teil Europas sein und sahen sich auch so. Sie streben nach Westen, nicht in den russischen Osten. Der ist ihnen grundsätzlich gleichgültig und nach den Brutalitäten der letzten 11 Jahre regelrecht verhasst. Ach ja, und die Krim: die war bis 1783 ein unabhängiger Staat der Tataren, eines Turkvolkes, das Stalin ebenso auszurotten versuchte, wie seine imperialen russischen Vorgänger 1864 eine Million Tscherkessen.
Russland ist kein Bruder. Russland ist ein Mörder, ein Vergewaltiger, ein Prädator. Dass niemand 1991 an einer russisch dominierten Sowjetunion festhalten wollte, ist ebenso verständlich und natürlich, wie dass in der heutigen Ukraine niemand „Frieden“ um jeden Preis will. Und das sollten wir, verdammt noch mal, endlich respektieren und nicht so tun, als hätten die Ukrainer sich den Russen irgendwann und irgendwie eben ganz einfach zu unterwerfen. Das werden sie nicht tun. They will not chicken out.
Chicken Kiev ist aus. Nicht nur in Kyiv.
Wenn man gewisse anlysen von F.Engel liest die ohnehin eher in eine rubrik meinungsmache passen darf man froh sein,dass diese person keine rolle in der Luxemburger politik mehr spielt und hoffentlich nie spielen wird.
Da kommt dann der verstorbene US praesident Bush sr.der hier gescholten wird eindeutig kompetenter rueber.
Bei personen die ihre artikel mit "Wir muessen" beginnen ist immer groesste vorsicht geboten.
Auch die behauptung die sowjetunion sei stets von Russen gefuehrt worden loest kopfschuetteln aus..noch nie was vom georgier Stalin oder dem ukrainer Chruschtschow gehoert?
Zu George H Bush Zeiten hatte man Angst vor einem Zerfall der UdSSR , heute hat man panische Angst vor einem Auseinanderfallen der russischen Foederation wil das ein Pulferfass bedeuten wuerde . Ergo , Russland darf wenn es nach den westlichen Regierungen geht diesen Krieg auf keinen Fall verlieren .
Beeindruckend, wie tief sich der Autor in Propagandaliteratur eingearbeitet hat. Eine Aussage, bei der ich meine Zweifel hatte, ob sie vielleicht nicht doch zweifellos stimmt, ist die betreffend der Schweiz. Der Duden hat mich gerettet (“Nation … a) … Gemeinschaft von Menschen mit gleicher … Sprache …”). Die Schweiz ist eine Willensnation, und so wie, gemäß der Hauptbedeutungen dieser Begriffe, ein Zitronenfalter nichts faltet, ist eine Willensnation keine Nation.
Hühner haben auch Flügel… „Chickenwings“ würde Herr Engel sagen… die gackern genauso, legen aber wenigstens Eier.
Engel sind lieb und haben Flügel...