Montag22. Dezember 2025

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82. Filmfestspiele von VenedigWas am Lido über die Leinwand flimmert

82. Filmfestspiele von Venedig / Was am Lido über die Leinwand flimmert
Die Vorbereitungen am Palazzo del Cinema sind inzwischen gelaufen: Die 82. Filmfestspiele von Venedig können beginnen Foto: AFP/Stefano Rellandini

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Das Filmfestival von Venedig verspricht Glanz, hochkarätige Stars und internationale Kreativköpfe. Im Wettbewerb stehen politische Dramen, literarische Adaptionen und innovative Experimente, die den roten Teppich am Lido zum Schaufenster weltweiter Filmkunst machen.

Die „Mostra“ am Lido von Venedig startet heute mit einem hochkarätigen Programm, das sich vor allem im Wettbewerb durch internationale Stars und namhafte Regisseure auszeichnet. Das Festival öffnet seine Tore am 27. August mit Paolo Sorrentinos „La Grazia“ und verspricht damit einen glanzvollen Auftakt. Der Eröffnungsfilm steht gleichsam sinnbildlich für die Mischung aus renommierten Filmschaffenden und ambitionierten Neuinterpretationen klassischer Stoffe, die den diesjährigen Wettbewerb prägt.

Historisches Festival, politisches Programm

Seit ihrer Gründung im Jahr 1932 gilt die Mostra als ältestes Filmfestival der Welt und trägt damit eine besondere historische Strahlkraft in sich. Immer wieder erwiesen sich Premieren am Lido als Startsignal für erfolgreiche Oscar- und Golden-Globe-Kampagnen – von Autorenfilm bis hin zu großen Studio-Produktionen. Diese doppelte Rolle, einerseits Bühne für internationale Autorinnen und Autoren, andererseits Sprungbrett für globale Auszeichnungen, verleiht dem Festival seinen einzigartigen Stellenwert. Der Lido selbst verstärkt diese Aura: Mit seinen traditionsreichen Grandhotels, dem leicht verblassten Glanz vergangener Epochen und der unmittelbaren Nähe zum umliegenden Meer entsteht ein eigentümlicher Spannungsbogen zwischen Glamour und Vergänglichkeit. Wenn internationale Stars über den roten Teppich schreiten, spiegelt sich darin nicht nur der Glanz Hollywoods, sondern auch die Sehnsucht nach einer Kunstform, die in Zeiten globaler Krisen Orientierung, Empathie und Dialog bieten kann.

Der zentrale Wettbewerb der 82. „Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica“ wird von Olivier Assayas’ „The Wizard of the Kremlin“ angeführt. Die Verfilmung des Romans „Le mage du Kremlin“ von Giuliano da Empoli erzählt aus der Perspektive eines fiktiven Funktionärs, der an der Machtübernahme Wladimir Putins beteiligt war. Die französisch-britisch-US-amerikanische Koproduktion vereint prominente Darsteller wie Jude Law, Alicia Vikander, Paul Dano und Tom Sturridge und dürfte zu einem der sichtbarsten Filme auf dem roten Teppich werden.

Rebecca Ferguson in „A House of Dynamite“
Rebecca Ferguson in „A House of Dynamite“ Quelle: imdb.com

Neben diesem politischen Drama kämpfen weitere hochkarätige Filme um den Goldenen Löwen. Kathryn Bigelow meldet sich mit dem Politthriller „A House of Dynamite“ zurück, in dem Mitarbeiter des Weißen Hauses mit einem drohenden Raketenangriff konfrontiert werden; Rebecca Ferguson und Idris Elba gehören zur Besetzung. Noah Baumbach setzt auf eine Mischung aus Tragik und Komik in „Jay Kelly“, einer Geschichte über zwei Freunde, die ihre Jugend wieder aufleben lassen und in turbulente Situationen geraten, mit George Clooney, Adam Sandler und Laura Dern. Guillermo del Toro interpretiert mit „Frankenstein“ den klassischen Stoff neu, wobei Oscar Isaac als Mary Shelleys Wissenschaftler und Jacob Elordi als sein Geschöpf auf der Leinwand zu sehen sind. Einmal mehr scheint del Toros Ansatz auf die empathische Darstellung von Außenseiter und missverstandene Kreaturen zu zielen.

Von Musikdramen, Komödien und Palästina

Mona Fastvold und Brady Corbet, die im Vorjahr mit „The Brutalist“ Aufsehen erregten, präsentieren nun „The Testament of Ann Lee“, ein Musikdrama über die Gründerin der Shaker, einer christlichen Sekte des 18. Jahrhunderts, die Gleichberechtigung propagierte. Fastvold, Corbets Partnerin, übernahm die Regie, Amanda Seyfried spielt die Hauptrolle. Auch Yorgos Lanthimos kehrt mit „Bugonia“ an den Lido zurück, in dem Emma Stone erneut eine zentrale Rolle einnimmt. Die US-amerikanisch-irisch-südkoreanische Koproduktion erzählt die Geschichte zweier Männer, die eine weibliche CEO für ein feindliches Alien halten und sie entführen – ein Remake der südkoreanischen Komödie „Save the Green Planet!“ aus dem Jahr 2003. Unter der Regie von Lanthimos verspricht Bugonia, im Geist der Post-#MeToo-Debatte zu stehen. Eine Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen, Macht und gesellschaftlicher Wahrnehmung lässt thematisch vermuten, dass der Film stärker um aktuelle Schlagworte und gesellschaftliche Kampfbegriffe konstruiert ist, um den Zeitgeist zu spiegeln, als dass er diese Themen in wirklich ergreifenden, filmisch nachvollziehbaren Bildern tief durchdringt. Im Vergleich zu Lanthimos’ früheren Werken, die oft subtil gesellschaftliche Strukturen und menschliche Absurditäten offenlegten, ist diese Entwicklung aber indes nur folgerichtig.

Vicky Krieps (l.) an der Seite von Cate Blanchett (r.) und Charlotte Rampling (Hintergrund) in „Father Mother Sister Brother“
Vicky Krieps (l.) an der Seite von Cate Blanchett (r.) und Charlotte Rampling (Hintergrund) in „Father Mother Sister Brother“ Quelle: labiennale.org

Jim Jarmusch ist mit „Father Mother Sister Brother“ vertreten, einer Tragikomödie über eine zerstreute Familie in drei Episoden, besetzt unter anderem mit Adam Driver, Cate Blanchett, Vicky Krieps, Charlotte Rampling und Tom Waits. Ben Safdie setzt im Sportdrama „The Smashing Machine“ auf harte Realitätsnähe: Dwayne „The Rock“ Johnson spielt den MMA-Kämpfer Mark Kerr, dessen Geschichte auf einem gleichnamigen Dokumentarfilm basiert. François Ozon widmet sich mit „L’Etranger“ Albert Camus, Pietro Marcello zeichnet mit „Duse“ ein Porträt der Schauspielerin Eleonora Duse in den letzten Lebensjahren, und Park Chan-wook präsentiert mit „No Other Choice“ eine schwarze Komödie über die verzweifelte Suche eines Mannes nach einem neuen Job.

Kaouther Ben Hanias „The Voice of Hind Rajab“ behandelt das reale Leidensschicksal einer fünfjährigen Palästinenserin, die 2024 während einer Militäraktion ums Leben kam. Die Umsetzung erfolgt als Spielfilm basierend auf Tonmaterial ihrer Kommunikation mit einer Hilfsorganisation. Dokumentarfilme sind im Wettbewerb ansonsten selten vertreten; aus Italien stammt „Sotto le Nuvole“ von Gianfranco Rosi, das Menschen in und um Neapel in Schwarz-Weiß porträtiert, während Shu Qi mit ihrem autobiografisch inspirierten Debüt „Girl“ einen weiteren Wettbewerbsbeitrag liefert.

Deutsche Präsenz und große Namen

Deutsche Beteiligung gibt es mit Ildikó Enyedis „Silent Friend“. Der Film erzählt aus der Perspektive eines alten Baums im botanischen Garten die sich entfaltende Geschichte. Die Nebensektionen des Festivals halten ebenfalls große Namen bereit, wenngleich außer Konkurrenz. Luca Guadagnino präsentiert den Thriller „After the Hunt“ mit Julia Roberts und Andrew Garfield. Mamoru Hosoda zeigt sein neues Anime „Hateshinaki Scarlet“, Julian Schnabel „In the Hand of Dante“, und Gus Van Sant kehrt mit „Dead Man’s Wire“ zurück, einem Sozialdrama über einen realen Kriminalfall. Werner Herzog porträtiert in „Ghost Elephants“ Elefanten in Angola, Sofia Coppola dokumentiert mit „Marc by Sofia“ das Leben von Designer Marc Jacobs, und Lucrecia Martel untersucht in „Nuestra Tierra“ postkoloniale Konflikte in Argentinien. Laura Poitras („Cover-up“) und Alexander Sokurow („Director’s Diary“) erweitern das Angebot dokumentarischer Werke, während Hagai Levi mit „Etty“ eine Serie über Etty Hillesum präsentiert.

Julia Roberts und Andrew Garfield spielen in „After the Hunt“
Julia Roberts und Andrew Garfield spielen in „After the Hunt“ Quelle: imdb.com

Die Sektion „Orizzonti“ versammelt erneut namhafte Filmemacher. Ali Asgari untersucht mit „Divine Comedy“ das iranische Regime, Teona Strugar Mitevska porträtiert in „Mother“ Mutter Teresa in den späten 1940er-Jahren. Willem Dafoe ist gleich in zwei Beiträgen zu sehen: In Gastón Solnickis „The Souffleur“ spielt er einen Hotelmanager, dessen Existenz bedroht ist, und in Kent Jones’ „Late Fame“ einen alternden Schriftsteller in einer Adaption der posthum veröffentlichten Novelle von Arthur Schnitzler. 

Mit dieser Auswahl beweist das Festival einmal mehr, dass es ein Schaufenster sowohl für internationale Auteurs als auch für innovative neue Generationen ist. Die Auseinandersetzung mit Macht, Identität und gesellschaftlicher Verantwortung in Zeiten von Unsicherheit und Wandel scheint dabei ein diffuser roter Faden zu sein – dieses Jahr scheinen am Lido politische und historische Geschichten auf der Leinwand zusammenzufließen – von komplexen Biografien über literarische Adaptionen bis hin zu gesellschaftlich brisanten Dokumentationen.