Montag22. Dezember 2025

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Lust auf LesenWie zwei Publikationen das „Sehnsuchtsland“ Italien neu beleuchten

Lust auf Lesen / Wie zwei Publikationen das „Sehnsuchtsland“ Italien neu beleuchten
Symbolbild: In „Bitteres Blau“ und in „Die Bronzen von San Casciano dei Bagni“ dreht sich alles um Italien Foto: Jéshoots/Quelle: Pexels

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Zwei Publikationen bieten unterschiedliche Sichtweisen auf Italien – konkreter auf eine Stadt und einen geschichtsträchtigen Ort, der lange verschollen war. Unser Autor Thomas Koppenhagen las sich die Bücher durch – und war begeistert. 

Die Dimensionen einer Stadt: „Bitteres Blau“

Neapel im Mittelpunkt: das Cover zum Buch
Neapel im Mittelpunkt: das Cover zum Buch Quelle: Berenberg Verlag - Kirchner Kommunikation

Nach Turin und Rom hat die deutsche Journalistin Maike Albath mit Neapel eine dritte italienische Großstadt ihrem genauen Blick unterzogen. In dem Buch „Bitteres Blau. Neapel und seine Gesichter“ sind siebzehn ihrer Texte versammelt, wobei die Themen, die angesprochen werden, erstaunlich weit aufgefächert sind. Beginnend bei der geradezu mythisch anmutenden Liebe der Stadt zum argentinischen Fußballstar Diego Maradona, der nicht nur den Fußballclub SSC Napoli aus einer tiefen Krise in rauschhafte Höhen katapultierte. „Mit seiner archaischen Phantasie am Ball und seiner Schnelligkeit schien er die besten Seiten Neapels zu verkörpern und verbreitete in der seit dem Erdbeben von 1980 tief verwundeten Stadt plötzlich Aufbruchstimmung.“

Neapels Facetten

Die religiöse Inbrunst der Neapolitaner, ihr spezifischer, tief im Bewusstsein von Generationen verankerter Katholizismus taucht in immer neuen Facetten auf – und nimmt dabei zuweilen etwas Opernhaftes an, das jederzeit in eine Art heidnische Wildheit umschlagen könnte. Sicher, in lichten Momenten schaut „das Meer pflaumendunkelblau mit türkisen Flecken und weißen Wellenkämmen“ aus, „Capri liegt da wie ein riesiger Seeigel, um den Vesuv herum wabern Wolkenfetzen, und selbst die zerfallenden Häuser wirken einladend“.

Die Autorin Maike Albath
Die Autorin Maike Albath Foto: Michela Di Savino/Quelle: Berenberg Verlag - Kirchner Kommunikation

Aber sogar Tagestouristen bemerken in Neapel nach einer ersten, flüchtigen Schau meist etwas, das dunkel und beunruhigend ist. Dieser Eindruck vom krassen Gegensatz zwischen pittoresker Schönheit und der Bedrohung, die von ihrer schieren Unergründlichkeit auszugehen scheint, wird für gewöhnlich hinter der Benutzung von Schlagwörtern wie „Armut“ und „Mafia“ verklappt. Dagegen versucht Maike Albath sich dem Phänomen mit einem erweiterten Begriff von Recherche anzunähern.

Vielschichtige Erzählung

Sprich: Albaths Texte sind literarische Reportagen, bei denen historische sowie kulturelle Reflexionen auf Alltagsbeobachtungen treffen und auf sie einwirken. Die gesellschaftlichen Problematiken aufgrund sozialer Verwerfungen und organisierter Bandenkriminalität werden dadurch selbstredend nicht geringer erachtet. Es ist vielmehr so, dass durch die Hinzunahme von einer Vielzahl weiterer Perspektiven das Bild der Stadt an Plastizität gewinnt. Tatsächlich ist Maike Albaths Versuch einer dreidimensionalen, d.h. über verschiedene Zeitebenen hinweg angelegten Darstellung oder Rede in der Lage, das populäre, schlaglichthafte Bild von Neapel entweder als Postkartenidyll oder als Abziehbild krimineller Machenschaften, wenn nicht abzulösen, so doch produktiv zu konterkarieren.


Dem Quellheiligtum sei Dank: „Die Bronzen von San Casciano dei Bagni“

„Die Bronzen von San Casciano dei Bagni“ – das Buchcover
„Die Bronzen von San Casciano dei Bagni“ – das Buchcover  Quelle: Verlag Schnell und Steiner

Vor drei Jahren machte eine archäologische Sensationsmeldung erstmalig die Runde. Unweit des toskanischen Dorfes San Casciano dei Bagni wurden bei Ausgrabungen eine Vielzahl von Votivgaben aus dem Thermalwasserbecken eines antiken Heiligtums geborgen. Dass es sich bei der Geschichte nicht um die übliche Taktik von Archäologen handelt, ihre Arbeit möglichst gewichtig erscheinen zu lassen, machten weitere Nachrichten vom Fundort in den folgenden Monaten deutlich. Besagte Votivgaben, Bronzebüsten und Statuen, sowie Amulette, Münzen und weitere antike Schätze in teils unfassbar gutem Erhaltungszustand sind nun erstmals außerhalb von Italien, in einer Sonderausstellungshalle der Staatlichen Museen von Berlin zu sehen.

Das Begleitbuch zur Ausstellung der Direzione Generale Musei del Ministero della Cultura und der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz wartet mit sage und schreibe sieben Vorworten auf! Wen das nicht abschreckt (sie sind Ausdruck einer konzertierten Aktion diverser Einrichtungen, um binnen kürzester Zeit die Ausstellung auf die Beine zu stellen), wird auf knapp einhundertunddreißig Seiten mit der spannenden Nacherzählung der Entdeckungsgeschichte der Bronzen von San Casciano dei Bagni sowie einer Fülle an Abbildungen belohnt, von denen nicht zuletzt die Luftaufnahmen von der Ausgrabungsstätte auf irritierende Weise Aufschluss über den Stand der Forschungsarbeiten geben.

Großer Erkenntnisgewinn auf kleiner Fläche

Luftaufnahme von Ausgrabungsstätte nahe San Casciano dei Bagni
Luftaufnahme von Ausgrabungsstätte nahe San Casciano dei Bagni Quelle: Italienisches Ministerium für Kultur

Denn der Bedeutung der Funde steht das nur wenige Quadratmeter große Gelände, auf dem die Archäologen ihre Entdeckungen machen konnten, geradezu diametral entgegen. In jüngerer Zeit wurde eine schmale, asphaltierte Straße quer über das Feld gebaut, in dem über Jahrhunderte das Quellheiligtum schlummerte. Die Straße trennt die Thermalquelle, seit alters her als Heilquelle unter dem Namen „Bagno Grande“ gekannt, räumlich von der öffentlichen Badestelle, die aus drei Becken bestehen, und die noch immer von der Quelle mit bis zu einundvierzig Grad warmem Wasser gespeist werden. Gleich neben diesen Becken, welche bis zum heutigen Tag zum Baden genutzt werden, beginnt die Abzäunung des archäologischen Areals. Man geht davon aus, dass es an antiken Grundmauern und weiteren Gebäuderesten in der nächsten Umgebung noch deutlich mehr zu finden gibt. Aktuell gräbt man auf kleiner Fläche sehr tief. Und kann mindestens vier Bauphasen unterscheiden: eine mittelalterliche, sowie eine aus römischer, aus römisch-etruskischer sowie – bislang abschließend – eine aus vorrömischer, also rein etruskischer Zeit mit jeweiligen Dankesgaben an die Götter, die bis ins 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurückdatiert werden können.

Kulturelle Koexistenz und Übergänge

Die Wichtigkeit der Funde ergibt sich aus deren Zusammensetzung bzw. deren Zusammenspiel. Denn sie zeigen in Bild- und Schriftnachweisen, dass die Zeit des Übergangs von etruskischer zu römischer Vorherrschaft in der Region bedeutend länger angesetzt werden muss als bislang vermutet. Auch die bisherige Vorstellung, dass mit der Eroberung der etruskischen Stadtstaaten im dritten vorchristlichen Jahrhundert durch die Römer sozusagen deren Kultur mehr oder weniger aufhörte zu existieren, muss korrigiert werden. Im Lichte des ausgegrabenen Quellheiligtums von San Casciano dei Bagni scheint es vielmehr eine Koexistenz von Etruskern und Römern gegeben zu haben, die sich möglicherweise über zweihundert Jahre erstreckte, um dann erst zur Gänze in einer römisch-dominanten Kulturepoche aufzugehen.

Votivgabe in Fundlage während Ausgrabungen nahe San Casciano dei Bagni
Votivgabe in Fundlage während Ausgrabungen nahe San Casciano dei Bagni Copyright: Emanuele Mariotti

Buch wie Ausstellung zu den Bronzen von San Casciano dei Bagni dokumentieren einen Work in Progress. Die Ausgrabungen sollen in nächster Zukunft ausgeweitet werden, gerade wird eines der alten Palazzi in San Casciano dei Bagni zu einem Museum ausgebaut, in dem die bislang und zukünftig gefundenen Artefakte aus dem Quellheiligtum ihren Platz finden. Wer diese Zeilen in Berlin liest oder bald dort unterwegs ist: Die Ausstellung der Bronzen von San Casciano dei Bagni ist noch bis zum 12. Oktober in der James-Simon-Galerie in Berlin geöffnet.