Unser diesjähriger Besuch bei den Bayreuther Festspielen begann mit einer Aufführung (8. August) von Wagners letztem Werk, nämlich dem Parsifal. Dies in der Inszenierung von Jay Scheib, die sich die Zerstörung der Erde und den Niedergang der menschlichen Zivilisation zum Thema gemacht hat. Lithium und seltene Erden sind hier der Gral, ihre Ausbeutung führt folglich zur Naturkatastrophe und damit zum Ende der Menschheit.
Einschläfernde Längen
Scheib macht das in sehr plastischen, aber nie aufdringlichen Bildern klar, und indem er am Ende Parsifal den Gral zerstören lässt, gibt er dem verletzten Menschen Verantwortung und Hoffnung, es vielleicht jetzt anders, besser zu machen. Die Geschichte wird gradlinig erzählt und lebt vor allem von dem exzellenten Sängerensemble, das allerdings, so muss man sagen, heute so gut wie alleine gelassen wurde. Denn Dirigent Pablo Heras-Casado war nämlich viel zu sehr damit beschäftigt, die Musik puzzleartig auseinanderzunehmen und wieder zusammenzufügen, als dass er sich intensiv am Ablauf des musikalischen Dramas beteiligte. Da gab es zwar sehr viele schöne und ergreifende Momente, aber da gab es leider auch viel zu viel Leerlauf und Langeweile, bei denen man den Eindruck hatte, der Dirigent sei eingeschlafen.

Vor allem litt der 1. Akt unter einer erschreckenden Spannungslosigkeit, sodass die langen Gurnemanz-Erzählungen ihre musikalische Aussagekraft verloren. Georg Zeppenfeld, der wohl beste Gurnemanz der letzten Jahre, interpretierte so auf Sparflamme und blieb hinter seinen gewohnten Leistungen zurück. Der große Michael Volle kümmerte sich erst gar nicht um das Dirigat, sondern sang auf sich gestellt einen ergreifenden Amfortas.
Im 2. Akt wurde es dann ab der Blumenmädchen-Szene besser. Pablo Heras-Casado schien erwacht und von jetzt an nahm die Oper etwas an Fahrt auf. Andreas Schager als sensationeller Parsifal und Ekatarina Gubanova als ebenso grandiose Kundry ließen den zweiten Akt zu einem Erlebnis werden. Etwas schwach der Klingsor von Jordan Shanahan, wir erinnern, vor der Blumenmädchenszene dümpelte Heras-Casados Dirigat noch so vor sich hin, sodass er dem Klingsor-Sänger nicht die Unterstützung zukommen ließ, die dieser brauchte. Die Spannung hielt sich dann fast bis zum Schluss des dritten Aktes, allerdings nickte der Dirigent beim Karfreitagszauber wieder ein, sodass auch dieser wunderbare Moment trotz Zeppenfeld und Schager verschenkt wurde.
Der Meister am Pult
Wie wunderbar und schlüssig Wagners Musik trotz ausgefeilter Detailarbeit zu klingen vermag und wie spannend das sein kann, das zeigte uns Christian Thielemann am folgenden Abend mit dem Lohengrin. Unüberhörbar – Thielemann ist in den letzten Jahren als Wagner-Dirigent gewachsen und beherrscht nun Transparenz und Subtilitäten ebenso wie Pathos und den großen Atem. Seinen Sängern legte er einen wunderbaren Orchesterteppich aus und trug sie den ganzen Abend über auf Händen. Diese Vorstellung vom 9. August war die Dernière dieser interessanten, wenn auch nicht unbedingt sehr beliebten Inszenierung von Yuval Sharon aus dem Jahre 2018, der, da er erst später zum Team gestoßen war, seine Arbeit den Bühnenbildern von Neo Rauch und Rosa Loy anpassen musste. Auch hier wird die Geschichte gradlinig und konsequent erzählt. Im Zentrum steht die Menschwerdung von Lohengrin und ihr Scheitern an der Realität und einem unlösbaren Konflikt. Nachdem Piotr Beczala krankheitshalber absagen musste, sprang Klaus-Florian Vogt, der eigentliche Lohengrin-Darsteller dieser Produktion und somit bestens mit der Inszenierung vertraut, kurzfristig für ihn ein. Und wurde am Ende mit Ovationen überschüttet.

Erstaunlich, wie frisch und lyrisch die Stimme immer noch ist; Vogt hat sich ja bekannterweise in den letzten Jahren vermehrt den schweren Partien wie Tannhäuser und Siegfried zugewandt und seine beiden Paradepartien Lohengrin und Stolzing hinter sich gelassen. Leider singt er die Rolle immer gleich, sodass man jeden Akzent und je Linie kennt und seine Interpretation, so toll sie auch sein mag, immer vorhersehbar bleibt.
Ihm zur Seite stand Elza van den Heever als Elsa, deren dramatische Stimme einige Schärfen aufwies und nicht unbedingt für diese doch sehr lyrische Rolle geeignet ist. Mika Kares sang einen kraftstrotzenden Heinrich der Vogler, Michael Kupfer-Radecky einen nur korrekten Heerrufer. Das Paar Ortrud-Telramund war hochkarätig besetzt. Olafur Sigurdarson, der erstaunlicherweise nur bescheidenen Applaus erhielt, sang diese Rolle mit schönem, satten Timbre und verfiel nie ins Schreien. Stattdessen zeigte sein lyrischer Vortrag und sein enorm präziser Gesang, dass diese Figur keine Bestie, sondern ein fehlgeleiteter Adliger ist.
Die Krone des Abends aber gehört Miina-Liisa Värelä, die als Ortrud mächtig auftrumpfte und das Festspielhaus wie auch das Publikum zum Beben brachte. Eine derart grandiose Ortrud hat man hier seit langem nicht mehr gehört. Miina-Liisa Värelä wird ein Gewinn für das Festspielensemble werden und man darf nur hoffen, dass man diese Sängerin weiterhin auf der Bayreuther Bühne erleben kann.
Nach dem Chor-Disput und dem Abgang von Eberhard Friedrich hat der abgespeckte Bayreuther Festspielchor nun einen neuen Leiter. Thomas Eitler-de Lint hat es innerhalb kurzer Zeit geschafft, diesem Elitechor ein neues Gesicht zu verleihen. Der Klang hat sich verändert, Farben und Dynamik auch. So macht es wirklich Freude, zu hören, wie anders, wie neu und wie interessant der Chor unter einem neuen Leiter klingen kann.
De Maart
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