Sonntag19. Oktober 2025

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Sonne, Hitze und flirrende SpannungDer Sommerfilm als flüchtiges Versprechen

Sonne, Hitze und flirrende Spannung / Der Sommerfilm als flüchtiges Versprechen
Der Sommer als flirrende Oberfläche: Romy Schneider und Alain Delon in „La Piscine“ (1969) Foto: Unzerofilms

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Der Sommer bringt das Kino ins Schwitzen. Er legt Figuren bloß, lässt ihre Hemmungen verdampfen, spült unter der Sonne verborgene Sehnsüchte an die Oberfläche. Kaum eine andere Jahreszeit hat so eine sinnliche Beziehung zur Leinwand – nicht durch Effekte, sondern durch Atmosphäre.

Was ist ein Sommerfilm? Es scheint ein gängiger und naheliegender Begriff, doch bei genauerem Hinsehen entzieht er sich einer einfachen Definition. Sicher, es gibt Filme, die im Sommer spielen. Es gibt Blockbuster, die im Sommer erscheinen. Und es gibt das amerikanische Konzept des „Summer Movie“ – oft synonym mit Action, Abenteuer, Popcornkino. „Jaws“ (1975), der Urknall des Blockbuster-Kinos, ist ein Sommerfilm in dieser industriellen Lesart: Strand, Sonne, Ferien – und ein Hai, der alles bedroht. Doch der Sommerfilm, in einem engeren Sinne, meint etwas anderes. Nicht ein Genre, nicht ein industrielles Vermarktungskonzept, sondern eine Empfindung. Eine Art Kino, das weniger Handlung, sondern vielmehr Atmosphäre in den Mittelpunkt stellt. In dem nicht nur Sommer ist, sondern Sommer gespürt wird. Ein Kino der flirrenden Hitze, der verlangsamten Bewegungen, der Körper, die sich sonnen, schweigen, begehren: zwischen Kindheit und Erwachsensein, zwischen Realität und Fantasie, zwischen Kontrolle und Ekstase.

Der Sommerfilm ist ein besonders sinnliches Erlebnis, das durch die Verschmelzung von Bild und Ton eine Art synästhetischen Zustand erzeugt, in dem verschiedene Sinne gleichzeitig angesprochen werden. Das Licht spielt dabei eine zentrale Rolle: Es ist nicht einfach nur Beleuchtung, sondern wird zur fühlbaren Präsenz, die auf Haut und Wasser reflektiert, flimmert und flirrt, als könne man die Hitze geradezu auf der Leinwand spüren. Doch auch die akustische Gestaltung ist Teil dieses sinnlichen Gefüges. Das Summen von Grillen, das Plätschern von Wasser oder das leise Rascheln von Blättern wird nicht bloß als Hintergrund wahrgenommen, sondern wirkt körperlich, fast greifbar, als ob der Zuschauer die Geräusche selbst in seiner Haut spüren könnte. Schließlich trägt der Rhythmus der Bilder durch eine oft langsame, assoziative Montage entscheidend zur Atmosphäre bei: Die Zeit dehnt sich, verweilt auf Details, atmet und schafft so einen Schwebezustand zwischen Bewegung und Stille.

Ein stiller Pool und das Brodeln darunter

In dieser Verbindung von Licht, Ton und Rhythmus entsteht eine dichte, synästhetische Sinneserfahrung, die es ermöglicht, den Sommer nicht nur zu sehen oder zu hören, sondern ihn unmittelbar zu fühlen – als ein flüchtiges, intensives Gefühl, das sich nicht in Worte fassen, sondern nur erlebt werden kann. Das Problem: Der Sommerfilm ist weniger eine Kategorie als ein Aggregatzustand. Er entzieht sich festen Formen, gleitet zwischen Genres hindurch. Manchmal ist er ein erotisches Kammerspiel, manchmal ein psychologisches Drama, manchmal ein leiser Coming-of-Age-Film. Seine Konstante ist nicht die Handlung, sondern das Gefühl: ein leichtes Unbehagen unter der glatten Oberfläche des Sommers. Zwei Filme – „La Piscine“ (1969) und „Call Me by Your Name“ (2017) – machen diesen Aggregatzustand auf je eigene Weise erfahrbar.

Zartes Erwachen, flüchtiger Sommer: Timothée Chalamet in „Call Me by Your Name“ (2017)
Zartes Erwachen, flüchtiger Sommer: Timothée Chalamet in „Call Me by Your Name“ (2017) Foto: Sony Pictures

Kaum ein Film hat das Bild vom Sommer als flirrende Oberfläche so ikonisch geprägt wie „La Piscine“ von Jacques Deray. Die Handlung ist minimal: Ein Paar – Jean-Paul (Alain Delon) und Marianne (Romy Schneider) – verbringt den Sommer in einer luxuriösen Villa mit Pool in der Nähe von Saint-Tropez. Die Ankunft von Harry (Maurice Ronet), einem alten Freund, und dessen Tochter Pénélope (Jane Birkin) stört das fragile Gleichgewicht. Zwischen Eifersucht, Leidenschaft und unterschwelligen Spannungen beginnt die Atmosphäre langsam zu kippen, ohne dass viel gesprochen wird.

„La Piscine“ ist der Sommerfilm in seiner ganz eindringlichen Form: glühende Hitze, schweigende Figuren, Körper, die mehr erzählen als Dialoge. Der Pool – kühl und tief – wird zum zentralen Symbol. Er ist Ort der Begegnung, der Reibung, der Bedrohung. Die Kamera verweilt auf Haut, Wasser, Sonnenbrillen, Schatten. Scheinbar passiert nichts – und doch geschieht alles. Hier liegt der Kern dessen, was einen Sommerfilm ausmacht: Die Handlung ist untergeordnet, die Spannung entsteht aus der Atmosphäre. Der Sommer ist nicht bloß Kulisse, sondern eine Art Katalysator: Er verlangsamt das Tempo, hebt soziale Konventionen auf, erlaubt das Spiel mit Rollen, mit Macht, mit Begehren. Die Figuren sind in einem Schwebezustand – und der Sommer ist die Zeit, in der dieser Zustand sichtbar, vielleicht sogar gefährlich wird.

Nicht zufällig wurde „La Piscine“ mehrfach neu ausgelegt und variiert. François Ozon machte daraus mit „Swimming Pool“ (2003) ein postmodernes Spiel mit Realität und Fantasie, in dem eine Schriftstellerin in einem Sommerhaus mit einer verführerischen jungen Frau konfrontiert wird – eine Neuinterpretation des psychologischen Spannungsfelds von Hitze, Begehren und Geheimnis. „A Bigger Splash“ (2015) von Luca Guadagnino, selbst ein poetischer Regisseur des Sommers, führt die Grundkonstellation von „La Piscine“ ins Lautere, Exzessivere. Die Sonne brennt greller, die Musik ist lauter, die Körper noch präsenter. Aber der Kern bleibt: der Sommer als Zwischenzeit, in der sich die Ordnung auflöst.

Der Sommer, der alles verändert

Mit „Call Me by Your Name“ kehrt Luca Guadagnino zum romantischen Sommer zurück – aber auf eine Weise, die die Tiefe von Verlust und die Flüchtigkeit der Jahreszeit betont. Der Film spielt im Sommer 1983 in Norditalien. Der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet) verliebt sich in den älteren amerikanischen Gast Oliver (Armie Hammer). Was folgt, ist ein zartes Erwachen, das sich mit den Rhythmen des Sommers entfaltet: Fahrradtouren, Gespräche im Schatten, Bäder im Fluss, reife Früchte, Musik, Hitze. Der Film ist eine einzige Einladung zum Spüren: von Licht, Sprache, Nähe. Guadagnino interessiert sich nicht für dramatische Wendungen, sondern für die Bewegung des Begehrens. Die Kamera bleibt nah an den Körpern, an der Haut, an Blicken. Der Sommer ist hier nicht nur Hülle, sondern Zustand: Er öffnet Elio, macht ihn verwundbar, empfänglich, verletzlich. Das Verhältnis zur Zeit verändert sich – Wochen werden zu Ewigkeiten, kurze Abschiede zu tiefen Wunden. Am Ende bleibt nur die Erinnerung. Der Film endet mit einem Blick ins Kaminfeuer – Winter, Trennung, Trauer. Der Sommer ist vorbei. Und doch bleibt er: als Gefühl, als unauslöschlicher Moment. Vielleicht ist das das wahre Zentrum des Sommerfilms: Er zeigt uns etwas, das nicht festzuhalten ist.

Beide Werke – „La Piscine“ und „Call Me by Your Name“– zeigen, wie unterschiedlich Sommerfilm sein kann, und wie tief er in Figuren, Bilder und Atmosphären eingreift. Sie erzählen vom Körper im Licht, vom Begehren, das sich im Raum ausbreitet, von Grenzen, die sich auflösen. Der Sommerfilm ist kein Genre, sondern eine Stimmung. Er braucht keine dramatische Handlung, sondern ein Gespür für Zeit. Wasser, Licht, Hitze, Haut – das sind seine Materialien. So zeigt sich, dass der Sommerfilm sich kaum in starre Kategorien pressen lässt, sondern vielmehr als ein flüchtiger, synästhetischer Zustand zu begreifen ist – ein filmisches Erlebnis, das weniger von Handlung als von Atmosphäre, Sinnlichkeit und dem fühlbaren Puls des Sommers lebt. Was ihn auszeichnet, ist seine Fähigkeit, das Nicht-Sichtbare spürbar zu machen: das innere Brodeln, das Schweigen, die kleinen Bewegungen, die alles verändern können. Auch die Ambivalenz ist zentral: Der Sommerfilm ist nicht einfach schön. Oft ist er melancholisch, bedrohlich, verstörend. Die Sonne scheint, aber sie verbrennt auch. Die Lust ist da, aber sie kann nicht immer gelebt werden. Das Paradies ist echt – aber es vergeht.