Freitag7. November 2025

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Mehr als nur Wein und WaffelnDie „Welleschter Kiermes“ verbindet Geschichte, Gemeinschaft und den Wandel der Moselregion

Mehr als nur Wein und Waffeln / Die „Welleschter Kiermes“ verbindet Geschichte, Gemeinschaft und den Wandel der Moselregion
Bis zu 5.000 Menschen strömen am Kirmes-Wochenende nach Wellenstein Foto: Carole Theisen

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„Et ass schéiiiin op der Musel …“ hallt es am Montag kurz vor Mittag samt Ziehharmonika-Musik über den Platz vor der Kirche von Wellenstein. Menschen plaudern, Gläser klirren, es duftet nach Gegrilltem und frisch gebackenen Waffeln – die „Welleschter Kiermes“ ist wieder da. Was als klassische Dorfkirmes begonnen hat, ist heute ein kulturelles Mosaik, ein soziales Ritual, eine Hommage an die Mosel, ihre Menschen – und ihren Wandel.

Pierre Sünnen ist seit 1978 Teil des Organisationsteams
Pierre Sünnen ist seit 1978 Teil des Organisationsteams Foto: Carole Theisen

Seit 1978 organisiert das „Syndicat d’initiative Wellenstein“ die „Welleschter Kiermes“, die heute als eine der bekanntesten im ganzen Land gilt. Ursprünglich war die Kirmes ein religiöses Fest – das Wort „Kirmes“ ist die Kurzform von „Kirchmess“ – einem Fest zur Einweihung einer Kirche. Auch in Wellenstein ist das Fundament christlich: „Die Kirmes war immer mit der heiligen Anna verbunden, sie ist die Schutzpatronin unserer Kirche“, erzählt Pierre Sünnen, der seit über 40 Jahren in der Organisation mitarbeitet.

Er erinnert sich mit einem schelmischen Grinsen: „Früher sind die Leute zur Mutter Anna beten gekommen – da war schon was los. Und ehrlich gesagt, es war auch ein Platz, wo die Fräuleins sich nach einem Ehemann umgeschaut haben.“ Auch heute noch beginnen die Feierlichkeiten am Samstagabend mit einer Messe, obwohl der religiöse Aspekt für viele heute eher im Hintergrund steht.

Schöffe Jean-Paul Muller und Bürgermeister Michel Gloden
Schöffe Jean-Paul Muller und Bürgermeister Michel Gloden Foto: Carole Theisen
Die Kirmes war immer Teil unserer Identität. Das ist nicht einfach nur ein Fest – das ist gelebte Moselkultur

Michel Gloden, Bürgermeister

Auch Bürgermeister Michel Gloden betont den traditionellen Rahmen: „Die Kirmes war immer Teil unserer Identität. Das ist nicht einfach nur ein Fest – das ist gelebte Moselkultur.“ „Es ist einfach diese Geselligkeit, wie wir sie an der Mosel gewohnt sind – Feste feiern, wie sie fallen. Und das funktioniert hier besonders gut“, fügt Schöffe Jean-Paul Muller hinzu.

Diese Kultur ist spürbar, wenn sich am Sonntag und Montag bis zu 5.000 Menschen auf dem Platz versammeln. Aus allen Ecken Luxemburgs reisen sie an, um zu essen, zu trinken, zu tanzen – und vor allem: um sich zu begegnen.

Mehr als Wein und Musik

Natürlich gehört der Wein dazu. Immerhin ist Wellenstein Teil der größten Weingemeinde des Landes. Aber es wäre ein Fehler, die Kirmes auf ein „Trinkfest“ zu reduzieren – ein Begriff, gegen den sich viele der Beteiligten wehren.

„Leider sehen das manche so“, sagt Pierre Sünnen, der von Anfang an im Organisationsteam des „Syndicat d’initiative“ dabei ist. „Vor allem montagabends. Aber das ist nicht der Sinn der Kirmes. Es geht doch darum, dass Leute zusammenkommen. Dass man sich wieder trifft, miteinander redet, feiert – wie früher.“

Auch Bürgermeister Gloden widerspricht dem Image: „Das ist keine Party, bei der man sich einfach die Kante gibt. Das ist ein Fest mit Geschichte. Eine Vitrine dessen, was das Leben an der Mosel ausmacht. Und da gehört ein Schluck Wein nun mal auch dazu.“

Ein kleines Projekt mit großer Wirkung: Charlotte, Sue, Boy und Joséphine verkaufen Selbstgebasteltes für den guten Zweck
Ein kleines Projekt mit großer Wirkung: Charlotte, Sue, Boy und Joséphine verkaufen Selbstgebasteltes für den guten Zweck Foto: Carole Theisen

Am Rande des Platzes steht ein kleiner, bunter Tisch. Darauf: selbstgebastelte Armbänder, gehäkelte Haargummis und vieles mehr. Charlotte, Boy, Joséphine und Sue haben sich etwas Besonderes einfallen lassen. Die elfjährigen Freund*innen verkaufen ihre selbstgebastelten Sachen für einen guten Zweck: „Das Geld geht an krebskranke Kinder“, erklärt Charlotte. „Wir haben das alles selbst gemacht – einfach, weil wir Lust dazu hatten.“ „Wir wohnen alle hier und sind gute Freunde. Für uns gehört die Kirmes einfach dazu“, sagt Sue. „Man sieht Leute wieder, die man lange nicht gesehen hat. Es ist immer eine super Stimmung.“

Der Wandel der Jahre

„Als wir angefangen haben, hat sich alles auf einen Platz konzentriert“, erinnert sich Jean-Paul Muller. „Es gab einen Grillstand, ein paar Buden, das war’s.“ Heute ist die Kirmes fast schon ein Festival. Zwei Bühnen, Weinverkostungen, Tanzmusik, Kinderprogramm, Shuttlebusse aus dem ganzen Land. Was klein begann, ist längst ein nationaler Publikumsmagnet. „An diesem Wochenende wird Wellenstein plötzlich zur Mitte des Landes“, sagt Michel Gloden. „Montagabends trifft sich hier halb Luxemburg.“

Doch mit dem Wachstum kommen auch Herausforderungen: Sicherheit, Verkehrsführung, Müllentsorgung – das alles wird vom „Syndicat d’initiative“ und der Gemeinde organisiert. „Wir fangen schon im Frühjahr mit der Planung an“, sagt Pierre Sünnen. „Alles muss stimmen: Wer schenkt aus? Was gibt’s zu essen? Welche Vereine machen mit?“

Jeanny Klinker, deren Mann Armand das Fest einst mitbegründete, erzählt stolz: „Er hat das damals alles organisiert. Das war sein Projekt. Heute kommen unsere Kinder noch jedes Jahr – auch wenn sie gar nicht mehr hier wohnen.“ Auf dem Platz erinnert eine kleine Tafel an Armand Klinker. Viele der Älteren kennen ihn noch persönlich. Auch Pitty, der seit über 30 Jahren zur Kirmes kommt, erinnert sich: „Das war einfach jemand, der wollte, dass im Dorf wieder was los ist. Heute ist das hier riesig. Aber die Idee ist dieselbe geblieben.“

Was die Kirmes ausmacht, ist schwer in Worte zu fassen. Vielleicht liegt es am Ort selbst – am alten Dorfkern, an der Mosellandschaft … Vielleicht liegt es an den Menschen, die jedes Jahr wiederkommen. Oder an dem Gefühl, dass hier etwas weitergegeben wird – von Generation zu Generation.

Andy Desseyn
29. Juli 2025 - 18.41

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