Donnerstag6. November 2025

Demaart De Maart

DeutschlandMerz und sein Netanjahu-Problem: Sicherheitskabinett tagte zum Gaza-Krieg

Deutschland / Merz und sein Netanjahu-Problem: Sicherheitskabinett tagte zum Gaza-Krieg
Deutschlands Kanzler Friedrich Merz gab nach der Sitzung des Sicherheitskabinetts eine Erklärung zum Gaza-Krieg ab Foto: John MacDougall/AFP

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Deutschland drängt Israel, den Gaza-Krieg zu beenden und Hilfsorganisationen zu den notleidenden Menschen zu lassen. Der Kanzler beruft einen engeren Kabinettskreis ein, um das weitere deutsche Vorgehen zu erörtern. Die Situation sorgt auch für Zwist innerhalb der Regierung.

Die trotz neuer Hilfslieferungen dramatische humanitäre Lage im Gazastreifen führt in europäischen Hauptstädten zu einer Krisenlage nach der anderen. Der britische Premierminister Keir Starmer wird in den kommenden Tagen sein Kabinett aus der Sommerpause zurückrufen, um über die Lage im Gazastreifen zu beraten. Und auch für Kanzler Friedrich Merz stehen die letzten Tage unter dem Eindruck der Krisen-Diplomatie rund um den Krieg in Nahost.

Am Montagnachmittag kam das Sicherheitskabinett der Bundesregierung für rund zweieinhalb Stunden zusammen. Im Anschluss daran kündigte Merz im Kanzleramt bei einem zwölfminütigen Auftritt vor der Presse an, dass Deutschland gemeinsam mit Jordanien per Luftbrücke humanitäre Hilfsgüter nach Gaza bringen werde. Er räumte ein, dass dies nur eine „ganz kleine Hilfe“ sei. Außenminister Johann Wadephul werde voraussichtlich am Donnerstag zu „intensiver Diplomatie“ in die Region reisen, kündigte Merz an. Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan treffe derweil Vorkehrungen für eine Gaza-Wiederaufbaukonferenz. Der Kanzler wollte noch am Montagabend erneut mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu telefonieren. Deutschland werde gleichzeitig alle verfügbaren Kanäle nutzen, um über Ägypten, Katar und andere Partner maximalen Druck auf die Hamas auszuüben, damit diese einem Waffenstillstand zustimme.

Dem Sicherheitskabinett gehören neben dem Bundeskanzler Vizekanzler Lars Klingbeil, Außenminister Wadephul, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Alexander Dobrindt und Kanzleramtsminister Thorsten Frei an. Merz sagte, man werde gegebenenfalls über weitere Konsequenzen sprechen. „Die Menschen in der Region müssen eine Chance haben, in Frieden und in Freiheit zusammenzuleben.“ Auch Israel müsse dazu einen Beitrag leisten und über die Situation nach einem Waffenstillstand, nach einer Wiederaufbaukonferenz nachdenken.

Telefongespräch mit Netanjahu

Merz hatte bereits am Sonntag erneut mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu telefoniert und auf eine Verbesserung der Situation im Gazastreifen gedrungen. „Der Bundeskanzler brachte seine große Sorge zur katastrophalen humanitären Lage in Gaza zum Ausdruck. Er forderte Premierminister Netanjahu auf, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um umgehend einen Waffenstillstand zu erreichen“, teilte Regierungssprecher Stefan Kornelius anschließend mit.

Hinter den diplomatischen Floskeln „große Sorge“ und „alles in seiner Macht Stehende tun“ steht eine Verschärfung des Tons gegenüber Netanjahu. Der Kanzler verliert angesichts der Hungerlage in Gaza erkennbar immer stärker die Geduld mit dem israelischen Regierungschef. Dass die israelische Regierung über Monate kaum Hilfsgüter in den Gazastreifen gelassen hat, konnte auch in der deutschen Regierung keiner mehr nachvollziehen.

Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatten bereits am vergangenen Freitag eine Erklärung veröffentlicht, in der sie eine sofortige Waffenruhe im Gaza-Krieg und die umgehende und bedingungslose Freilassung aller israelischen Geiseln fordern, die die Terrororganisation Hamas seit mehr als 660 Tagen in dem Küstengebiet festhält. Auf Initiative Frankreichs und Saudi-Arabiens wird zudem aktuell bei einer internationalen Konferenz zur Zweistaatenlösung in New York über neue Möglichkeiten zur Beilegung des Nahostkonflikts beraten.

In Berlin geht es bei den Abstimmungen der Bundesregierung aber auch um die Stimmung im Kabinett, in der Koalition von CDU/CSU und SPD. Denn hier werden durchaus unterschiedliche Nuancen deutlich, die nicht nur parallel zu den Parteigrenzen verlaufen. Alle Kabinettsmitglieder eint, dass sie den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 auf das Schärfste verurteilen und das Recht Israels auf Selbstverteidigung immer wieder hervorheben.

Unterschiedliche Haltungen

Doch darüber hinaus gibt es unterschiedliche Akzentuierungen: So hat Merz schon früh in seiner Amtszeit deutlich gemacht, dass er das Vorgehen der Regierung Netanjahu im Gazastreifen für „nicht akzeptabel“ hält und sich ihm die militärische Logik dahinter nicht erschließe. Außenminister Wadephul dagegen steht inzwischen sehr geschlossen an der Seite Israels, in Kabinettssitzungen hat er dabei auch die Unterstützung von Innenminister Alexander Dobrindt. Für den CSU-Politiker geht es auch darum, die Unverbrüchlichkeit der Beziehungen zum Staat Israel zu betonen – unabhängig von aktuellen Ereignissen.

Bei einer Kabinettskollegin stieß diese Haltung aber zuletzt auf Unverständnis: Als Wadephul es in der vergangenen Woche ablehnte, eine Erklärung von mehr als zwei Dutzend westlichen Staaten – darunter Großbritannien, Frankreich und Italien – zu unterzeichnen, in der ein sofortiges Ende des Gazakriegs gefordert wurde, widersprach Entwicklungsministerin Alabali Radovan öffentlich und sagte dem Tageblatt: „Ich hätte mir gewünscht, dass Deutschland sich dem Signal der 29 Partner anschließt.“

Ohnehin betrachten Vizekanzler Klingbeil und die SPD den Nahostkonflikt etwas differenzierter als CDU/CSU. Klingbeil hatte schon früh unterschieden zwischen dem Partner Israel und Kritik am Vorgehen der Regierung Netanjahu in Gaza. Die SPD-Fraktion wurde da Ende vergangener Woche noch deutlicher und forderte unter anderem den Stopp von Waffenexporten an die israelische Regierung.

Rüstungslieferungen an Israel wurden im Sicherheitskabinett nicht besprochen. Merz verwies hierbei auf die Zuständigkeit des Bundessicherheitsrats – ein formeller Kabinettsausschuss, der im Geheimen tagt.