Die EU-Kommissionspräsidentin verlangte „Erklärungen“ von Selenskyj zu dem Gesetz. „Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Kampf gegen Korruption sind zentrale Elemente der Europäischen Union“, betonte die EU-Kommission. „Als Beitrittskandidat wird von der Ukraine erwartet, dass sie diesen Standards uneingeschränkt gerecht wird.“
Selenskyj verteidigte das Gesetz mit dem Argument, dass dadurch die Strafverfolgung gestärkt werde. Bei einem Treffen mit Strafverfolgungs- und Antikorruptionsbeamten sagte er: „Wir alle teilen einen gemeinsamen Feind: die russischen Besatzer.“ Selenskyj unterstrich: „Um den ukrainischen Staat zu verteidigen, braucht es ein ausreichend starkes Strafverfolgungssystem.“
Das Parlament in Kiew hatte das Gesetz am Dienstag verabschiedet, kurz danach wurde es von Selenskyj unterzeichnet. Trotz scharfer Kritik von Nichtregierungsorganisationen an den Plänen stimmte eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten für das Gesetz. „Heute wurde mit den Stimmen von 263 Abgeordneten die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung zerstört“, sagte der Chef des nationalen Antikorruptionsbüros, Semjon Krywonos, vor Journalisten.
Durch die Neuregelung werden das nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft (SAPO) dem Generalstaatsanwalt unterstellt. Dieser wiederum wird von Selenskyj ernannt. Die EU kritisierte die Änderung als „Rückschritt“. Korruption und die Zweckentfremdung von Geldern sind ein weit verbreitetes Problem in der Ukraine.
Kritik an Gesetz
Das nationale Antikorruptionsbüro untersucht Fälle von Korruption in staatlichen Institutionen, während die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft andere Korruptionsfälle verfolgt. Selenskyj sagte am Mittwoch, dass beide Behörden unabhängig von der Änderung „weiterarbeiten“ würden und fügte hinzu, dass die ukrainische Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung von „russischen Einflüssen“ befreit werden müsse. Der Generalstaatsanwalt sei fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass in der Ukraine Strafen angewendet werden, fügte Selenskyj hinzu.
Die beiden betroffenen Antikorruptionsbehörden wiederholten nach einem Treffen mit Selenskyj ihre Kritik an dem Gesetz. Sie forderten die Wiederherstellung ihrer Unabhängigkeit. Während nach Darstellung der Regierung in Kiew die Antikorruptionsbehörden durch das Gesetz besser arbeiten können, sagen Kritiker, dass dadurch Selenskyjs Macht wachse.
Laut der ukrainischen NGO Anti-Corruption Action Center macht das Gesetz die Antikorruptionsbehörden weitgehend bedeutungslos, da der Generalstaatsanwalt „die Ermittlungen gegen alle Freunde“ von Präsident Selenskyj einstellen werde.
EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos sprach von einem „ernsthaften Rückschritt“ auf dem Weg der Ukraine zu einem EU-Beitritt. Rechtstaatlichkeit und unabhängige Behörden im Kampf gegen die Korruption blieben „im Mittelpunkt der EU-Beitrittsverhandlungen“, betonte sie im Onlinedienst X.
Im Zentrum der Hauptstadt Kiew versammelten sich am Dienstagabend Hunderte Menschen, um gegen die Maßnahme zu demonstrieren. Einige skandierten „Veto gegen das Gesetz“. Andere buhten und pfiffen, wie ein AFP-Reporter berichtete.
Am Montag hatte der ukrainische Geheimdienst (SBU) nach eigenen Angaben einen Mitarbeiter des Antikorruptionsbüros wegen angeblicher Spionage für Russland festgenommen. Der SBU beschuldigte den Verdächtigen, geheime Informationen an einen Sicherheitsmann des 2014 gestürzten ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch weitergegeben zu haben. Der Kreml-treue Janukowitsch lebt heute in Russland.
Zuvor hatte der SBU die Räume des Antikorruptionsbüros und der auf Korruption spezialisierten Staatsanwaltschaft in Kiew durchsucht. Das ukrainische Antikorruptionsbüro war 2014 nach der pro-europäischen Maidan-Revolution eingerichtet worden. Im Korruptionswahrnehmungsindex der Organisation Transparency International landete die Ukraine 2024 auf Platz 105 von 180 Ländern. (AFP)
De Maart
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