Mittwoch5. November 2025

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EditorialÜberlebende sexualisierter Gewalt geben Hoffnung, doch was ist mit den Tatpersonen?

Editorial / Überlebende sexualisierter Gewalt geben Hoffnung, doch was ist mit den Tatpersonen?
Plakat im Rahmen der Orange Week, Aktionswoche gegen geschlechtsspezifische Gewalt, aus dem Jahr 2023 Symbolbild: Editpress/Didier Sylvestre

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Die Temperaturen steigen, die Wut auch: Während uns die Wetterdienste vor heißen Tagen warnen und Schutzmaßnahmen empfehlen, hilft gegen Skandale keine Abkühlung. Die gibt es in Luxemburg inzwischen häufiger als Hitzewellen. Schon wieder kursieren Gerüchte über sexualisierte Gewalt, dieses Mal betreffen sie den Direktor einer Bildungsinstitution und eine Lehrerin. Erneut handelt es sich bei dem Beschuldigten um einen Mann mit Vorbildfunktion. Dabei liegt die Polemik um den renommierten Fußballspieler Gerson Rodrigues, verurteilt wegen häuslicher Gewalt und inbrünstig verteidigt durch die „Fédération luxembourgeoise de football“, erst wenige Wochen zurück. Genauso wie der Gerichtsprozess gegen den ehemaligen Sozialarbeiter der Gemeinde Sanem, der reihenweise Klientinnen genötigt und eine davon vergewaltigt haben soll. 

Zeigt Rodrigues keine Reue, räumte der Sozialarbeiter vor Gericht ein, seine Macht missbraucht zu haben. Als die Gemeinde 2019 von den Vorwürfen Wind bekam, wurde der Beamte suspendiert und später entlassen. Ähnlich ergeht es unseren Informationen nach jetzt dem Direktor der Bildungseinrichtung. Die zuständige Gemeinde befreite ihn aufgrund eines möglichen Strafverfahrens wegen sexualisierter Gewalt vom Dienst. Für ihn und den Sozialarbeiter gilt die Unschuldsvermutung. Selbstverständlich. Allerdings brennt einem eine Frage auf der Zunge: „Wat leeft?“ Die Antwort liegt auf der Hand. Sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch, insbesondere gegenüber Frauen, ist fest in patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaften verankert. Keine bahnbrechende oder neue Erkenntnis, doch sie ständig wiederholen zu müssen, schmerzt.

Das Problem ist so tiefgreifend, dass Luxemburg inzwischen über den ersten Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt verfügt. Mit 62 Maßnahmen will die Regierung Menschen den Riegel vorschieben, denen weder „Grenzen“ noch „Respekt“ ein Begriff sind. Am heutigen Mittwoch spricht außerdem die Vereinigung „La voix des survivant(e)s“ in der Abgeordnetenkammer vor: Ihre Petition zur Überarbeitung der Gesetzeslage im Kampf gegen genderspezifische Gewalt und deren Folgen erhielt die nötigen Unterschriften für eine öffentliche Debatte.

Gibt es Lichtblicke, dann nur wegen des Muts der Überlebenden sexualisierter Gewalt und all jener, die an ihrer Seite stehen. Gemeinsam machen sie zunehmend deutlich: „Et geet fatzeg duer.“ Selten wurde einem gewalttätigen Fußball-Star und seinen Fans in Luxemburg – zumindest zu Lebzeiten der Autorin – in der Öffentlichkeit derart die Stirn geboten. In der Causa Sanem dauerte es, bis die angeblichen Vergehen des Sozialarbeiters aufgedeckt wurden, aber nun muss er sich vor Gericht verantworten. Warum? Weil Mitarbeiterinnen potenziellen Opfern Gehör schenkten, sich ohne Wenn und Aber für sie einsetzten. Sie blieben keinem Gerichtstermin fern.

Die Betroffenen zeigen Zähne, aber was ist mit den mutmaßlichen und verurteilten Tatpersonen? „Wenn wir uns nicht um die Täter kümmern, bleiben weitere Opfer nicht aus“, sagte Laurence Bouquet, Direktionsbeauftragte der „Croix-Rouge“, am Montag bei der Präsentation des Aktionsplans. Und sie hat recht. Eine starke Torbilanz oder eine Führungsposition sollte niemanden vor der eigenen Wirklichkeit blenden. Gewaltbereitschaft und ein problematisches, strafbares Sexualverhalten bleiben ernst zu nehmende Angelegenheiten. Es gibt Beratungsstellen; es besteht die Möglichkeit, Übergriffen vorzubeugen – also „rappt Iech um Bidon“.