Sonntag21. Dezember 2025

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EditorialDie kritische Öffentlichkeit: Von der Bedeutung der Zivilgesellschaft

Editorial / Die kritische Öffentlichkeit: Von der Bedeutung der Zivilgesellschaft
Grenzüberschreitende Gewerkschaften und Zivilgesellschaft Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Die Zivilgesellschaft hat sich auf der großen Demonstration am Samstag laut zu Wort gemeldet. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen haben zusammen mit Oppositionsparteien gegen die Politik der CSV-DP-Regierung protestiert. Aber auch einzelne Bürger sind auf die Straße gegangen, um ihren Unmut etwa über die geplante Pensionsreform zum Ausdruck zu bringen. Der friedliche Widerstand richtet sich darüber hinaus gegen die Art des Regierens von Premierminister Luc Frieden: an einem großen Teil der luxemburgischen Zivilgesellschaft vorbei, zu der NGOs ebenso gehören wie andere unabhängige Initiativen, Stiftungen und Wohlfahrtsverbände – die kritische Öffentlichkeit.

Nicht nur hierzulande hat die Zivilgesellschaft im Lauf der vergangenen Jahrzehnte, einhergehend mit der Säkularisierung der Gesellschaft, an Bedeutung gewonnen. Die Gewerkschaftsbewegung gehört ebenso dazu wie die Frauen-, Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsbewegungen, die Anti-Atomkraft-Bewegung und entwicklungspolitischen Solidaritätsbewegungen, um nur einen Teil zu nennen, manche von ihnen in den Kirchen verwurzelt. Dies gilt aber nicht nur für andere westliche Länder, sondern für jene Staaten in Süd-, Mittel- und Osteuropa sowie außerhalb Europas, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts einen Demokratisierungsprozess erlebten. Die Opposition zu den repressiven Regimen war zuerst zivilgesellschaftlich, bevor überhaupt erst wieder an die Gründung von Parteien gedacht werden konnte. Die „civil society“ oder in Anlehnung an den italienischen Begriff der „società civile“ von Antonio Gramsci wird von manchen Theoretikern als dritter Sektor neben Regierung und Wirtschaft oder als wichtige Produktivkraft gesellschaftlicher Prozesse verstanden. Festzuhalten ist, dass in Zeiten einer globalen Krise der liberalen Demokratie die Zivilgesellschaft neben dem Rechtsstaat und den demokratischen Institutionen sowie der freien Presse ein unverzichtbarer Pfeiler der Demokratie ist. Dies zu ignorieren, ist ein sträflicher Fehler, der keinem Regierenden oder Machthaber unterlaufen darf.

Gefährlich wird es, wenn sich die Gesellschaft zu sehr polarisiert, wie es momentan in einigen Demokratien zum Beispiel den USA, Argentinien oder Brasilien drastisch der Fall ist. Die beiden erstgenannten Länder verfügen über traditionell starke Zivilgesellschaften, doch die brasilianische Demokratie bewies zuletzt ebenfalls Resilienz. Auch in anderen Ländern steigt das Risiko der Polarisierung, zu der eine neoliberal, zu sehr zugunsten der Reichen und Unternehmer ausgerichteten und zu wenig auf soziale Gerechtigkeit bedachte Politik zwangsläufig führt. Die Trickle-Down-Ökonomie erwies sich hierbei als kontraproduktiv. Nun ist es an der Zeit, dass die moderaten Kräfte der bürgerlichen Parteien aus dem Dornröschenschlaf erwachen. In Luxemburg wäre dies der arbeitnehmerfreundliche Flügel der Christsozialen.

Im Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft steckt die Hoffnung gegen autoritäre Tendenzen, nicht nur in den sicherlich für eine Demokratie überlebenswichtigen Institutionen. Ernst wird es, wenn Autokraten wie Viktor Orban oder Aleksandar Vucic diese bereits beherrschen. Doch auch hierbei haben etwa die Pride-Parade in Budapest oder die jüngste Großdemo in Belgrad gezeigt, dass die Zivilgesellschaft weder in Ungarn noch in Serbien geschlagen ist. Gefährlicher wird es, wenn antidemokratische Strömungen in manchen Regionen bereits die Hegemonie erlangt haben, wie zum Beispiel in einigen Gegenden Ostdeutschlands. Der konservative Vordenker Andreas Rödder sprach von einem „Pendelschlag nach rechts“. Auch dieser Gefahr müssen sich Zivilgesellschaft wie auch bürgerliche Mitte gemeinsam stellen.