Donnerstag30. Oktober 2025

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DeutschlandWie die Mindestlohnkommission zwischen die Fronten gerät

Deutschland / Wie die Mindestlohnkommission zwischen die Fronten gerät
Höhere Mindestlöhne könnten den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt attraktiver machen  Foto: Tantussi Devos/AFP

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In wenigen Tagen entscheidet die Mindestlohnkommission darüber, wie stark die Lohnuntergrenze ab 2026 steigen soll. Das an sich unabhängige Gremium steht unter großem politischem Druck – und auch der Zeitpunkt der Entscheidung ist brisant.

Bundeshaushalt, NATO-Gipfel, SPD-Parteitag – voller als die kommende Woche kann eine politische Woche kaum sein. Doch noch ein Thema drängt auf die Agenda: Bis Ende Juni will die unabhängige Mindestlohnkommission festlegen, wie stark der gesetzliche Mindestlohn in den kommenden zwei Jahren steigen soll. Die Frage ist hochpolitisch, denn Gewerkschaften, SPD, Grüne und Linke trommeln für einen Mindestlohn von 15 Euro ab 2026. Die Arbeitgeber halten dagegen und warnen vor negativen Beschäftigungseffekten.

Liegt der Beschluss der Kommission erkennbar unter der SPD-Forderung von 15 Euro, könnte das politische Konsequenzen haben: Die SPD hatte damit gedroht, den Mindestlohn dann notfalls wieder gesetzlich festzulegen und damit die unabhängige Kommission zu entmachten – wie es bereits im Oktober 2022 geschehen war, als die Ampel-Regierung den Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben hatte. Die Union würde die Entmachtung der Kommission aber nicht akzeptieren – die Regierungskoalition hätte ihren ersten großen Konflikt. Pikant ist der zeitliche Zusammenhang mit dem SPD-Bundesparteitag vom kommenden Freitag bis Sonntag: Legt die Kommission ihren Beschluss schon in dieser Zeit vor, müsste die SPD noch auf dem Parteitag reagieren.

Wahrscheinlich ist daher, dass die Kommission den neuen Mindestlohn erst am letzten Tag des Monats, dem 30. Juni, nach dem Parteitag verkündet. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 12,82 Euro pro Stunde. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind in dem Gremium mit jeweils drei Sitzen vertreten. Einigen sie sich nicht, hat die Vorsitzende Christiane Schönefeld, eine frühere Managerin der Bundesagentur für Arbeit, das letzte Wort. Schönefeld hatte sich bei einer Pattsituation vor zwei Jahren für eine geringe Erhöhung des Mindestlohns entschieden – und sich damit aus Sicht der Gewerkschaften auf die Seite der Arbeitgeber geschlagen. Das dürfe nicht wieder vorkommen, warnen SPD und Gewerkschaften. Schönefeld steht unter großem politischem Druck. Manche Beobachter befürchten, die Kommission könnte insgesamt scheitern und aufgeben; dann müsste die Bundesregierung mit einem Gesetz reagieren.

Wirtschaftsverbände warnen vor Anhebung

SPD und Gewerkschaftern ist allerdings auch daran gelegen, die Unabhängigkeit der Kommission zu erhalten. IG-Metall-Chefin Christiane Benner etwa ruft die Sozialpartner auf, eine einvernehmliche Lösung zu finden. „Wir erwarten eine Einigung in der Mindestlohnkommission. Sie ist der richtige Ort, um sozialpartnerschaftlich EU-Vorgaben umzusetzen“, sagte Benner dem Tageblatt. „Ich bin sicher, die Kommission wird das schaffen“, betonte sie mit Blick auf unterschiedliche Positionen bei Arbeitgebern und Gewerkschaften. „Ein armutsfester Mindestlohn ist eine Frage des Respekts für arbeitende Menschen. Er steigert auch die Kaufkraft und kurbelt damit die Wirtschaft an. Die Erzählung negativer Beschäftigungseffekte ist mit Blick auf Statistiken und aktuelle Studien unbegründet“, sagte sie.

Wirtschaftsverbände hatten dagegen vor einem zu hohen Mindestlohn gewarnt. „Eine starke Anhebung führt zu erheblichen Kostensteigerungen im Bau- und Ausbaugewerbe und erschwert die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum“, sagte etwa Marcus Nachbauer, Vorsitzender der Bundesvereinigung Bauwirtschaft. „Ein weiterer sprunghafter Anstieg des Mindestlohns würde die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen nachhaltig schwächen“, erklärten eine Reihe von Logistikverbänden in einem gemeinsamen Schreiben. Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) warnte vor „fatalen Konsequenzen“ einer deutlichen Erhöhung des Mindestlohns. Eine Befragung unter rund 550 Handelsunternehmen habe ergeben, dass zwei Drittel der Betriebe „mit negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung bis hin zu Entlassungen rechnen“.

60 Prozent des sogenannten Bruttomedianlohns

Laut Gesetz prüft die Mindestlohnkommission „im Rahmen einer Gesamtabwägung, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden“. Das Gremium soll sich einerseits an der Wirtschaftslage und andererseits an der Tarifentwicklung orientieren.

Seit Januar ist ein weiteres Kriterium hinzugekommen, auf das SPD und Gewerkschaften setzen: Die Kommission soll auch den Referenzwert von 60 Prozent des so genannten Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten berücksichtigen – das ist der Lohn, bei dem genau die Hälfte der Beschäftigten mehr und die andere Hälfte weniger verdient. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hatte wegen des neuen 60-Prozent-Ziels einen „Mindestlohn von 14,88 bis 15,02 Euro im Jahr 2026 und von 15,31 bis 15,48 Euro im Jahr 2027“ errechnet.