Tageblatt: Herr Erpelding, was versteht man im Völkerrecht unter einem Krieg?
Michel Erpelding: Das Wort „Krieg“ wird im Völkerrecht so nicht mehr verwendet. Der juristische Begriff lautet „bewaffneter Konflikt“, der entweder national oder international sein kann. Der Konflikt zwischen Israel und Iran ist ein klassischer internationaler bewaffneter Konflikt. Die Intensität der Kampfhandlungen lässt daran keinen Zweifel.
Darf man einen solchen Konflikt einfach beginnen?
Das regelt das sogenannte Jus ad bellum, also die Frage, ob ein Krieg rechtmäßig begonnen werden darf. Daneben gibt es das Jus in bello, das Kriegsrecht, das unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Kriegsbeginns für die Durchführung der Kampfhandlungen gilt.
Unter welchen Bedingungen ist Gewaltanwendung erlaubt?
Seit 1945, mit der UN-Charta, gilt ein allgemeines Gewaltverbot zwischen Staaten. Artikel 2 Absatz 4 schreibt vor, dass Staaten ihre Konflikte nicht mit Gewalt austragen dürfen. Es gibt nur zwei Ausnahmen: Erstens, wenn der UN-Sicherheitsrat ein Mandat erteilt – wie 1990 gegen den Irak. Und zweitens das Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51.
Artikel 51 der UN-Charta
Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.
Darauf beruft sich Israel im aktuellen Konflikt.
Das Selbstverteidigungsrecht wurde bisher bewusst eng ausgelegt. Drei Interpretationen stehen im Raum: Die klassische besagt, dass Selbstverteidigung nur nach einem Angriff erlaubt ist. Diese Linie vertreten die meisten Staaten, darunter traditionell auch die europäischen. Zweitens gibt es den „präemptiven“ Schlag – wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht, etwa Raketen betankt auf der Rampe stehen. Israel hat das im Sechstagekrieg 1967 behauptet, die Europäer lehnten das ab. Die dritte Variante ist die „präventive“ Selbstverteidigung: Ein Staat greift an, weil er sich langfristig bedroht fühlt. Diese Position vertritt nur Israel – etwa beim Angriff auf den irakischen Atomreaktor 1981. Und auch jetzt gegen den Iran.
War Israel mit dieser Lesart bisher isoliert?
Ja. Jetzt aber scheinen die USA Israels Interpretation mitzutragen (Anm. d. Red.: Erpeldings Einschätzung wurde in der Nacht auf Sonntag mit der Bombardierung iranischer Nuklearanlagen durch die Vereinigten Staaten bestätigt; das Interview mit dem luxemburgischen Völkerrechtler hatten wir zuvor geführt). Die USA haben mit dem Irakkrieg 2003 einen Präzedenzfall geschaffen, der ihre eigene Doktrin infrage stellt. Besorgniserregend ist, dass auch europäische Staaten heute nicht mehr dieselbe Haltung wie 2003 einnehmen. Damals sagten Frankreich, Deutschland und Luxemburg klar: Der Irakkrieg ist illegal. Heute liest sich das G7-Statement anders – da wird Israels Selbstverteidigungsrecht betont. Das wirkt wie eine politische Absegnung eines Angriffskriegs.
Welche Konsequenz hat das?
Wenn Staaten sagen: „Das ist für uns ein Fall von Selbstverteidigung“, dann definieren sie Völkerrecht durch Verhalten neu. Robert Malley, der ehemalige Iran-Unterhändler der USA, sagte jüngst bei France Inter, er sei „schockiert von der servilen Haltung Europas gegenüber Israel“. Und das zu Recht. 95 bis 99 Prozent der Völkerrechtler werden Ihnen sagen: Das ist ein Angriffskrieg – und der ist zu hundert Prozent illegal. Es ist eine Parallele zum Irakkrieg 2003.

Aber der Iran unterstützt Gruppen wie die Hisbollah oder Hamas, die gegen Israel kämpfen. Macht ihn das nicht zur Kriegspartei?
Er unterstützt sie, aber ob diese Gruppen direkt aus Teheran gesteuert werden, ist unklar. Eine Verbindung über Geld reicht völkerrechtlich nicht aus. Und selbst wenn: Damit Selbstverteidigung greift, muss der Angriff aktuell sein. Die Hisbollah befindet sich derzeit nicht im Krieg mit Israel. Der Iran hat vergangenes Jahr Israel mit Raketen angegriffen, nachdem Israel einen Monat zuvor den Anführer der Hamas im Iran getötet hatte. Das war illegal, der Angriff war nicht aktuell. Selbstverteidigung ist das letzte Mittel – das ist der Geist der UN-Charta.
Israel hatte zudem einen iranischen Unterhändler getötet …
Das zeigt, wie weit Israel geht. Welcher andere Staat könnte einen Unterhändler töten, den diplomatischen Kanal kappen – und sagen: Das war Selbstverteidigung? Kein anderer würde damit durchkommen. Israel ist das einzige Land, das sich auf diese Weise verhält. Russland zieht nun nach – auch Putin lernt von Israel.
Wird das Völkerrecht damit nicht zur leeren Hülle?
Das Völkerrecht ist nur so stark wie der politische Wille, es zu achten. Großmächte wie Russland brechen es gezielt, um sich als mächtig zu inszenieren. Für Staaten wie Luxemburg wäre das undenkbar. Die Regeln sind letztlich ein Stück Papier. Wenn sie geachtet werden, entfalten sie Macht. Wenn nicht, sind sie bedeutungslos.
Das heißt, für Großmächte gilt das Völkerrecht generell nicht?
Aber selbst die Großmächte haben sich oft an Regeln gehalten, auch im Kalten Krieg. Interventionen wurden zumindest so dargestellt, als wären sie rechtlich gedeckt – etwa durch die Einladung einer lokalen Regierung. Auch wenn es völkerrechtswidrig war, gab es einen Versuch der Einhegung. Heute bricht Israel das Völkerrecht offen und erhält dafür Rückendeckung.
Ist es das Ziel des Völkerrechts, Kriege einzuhegen?
Genau. Es geht darum, Eskalationen zu verhindern und Krisen wie im Juli 1914 zu vermeiden. Und die aktuelle Situation erinnert daran. Was passiert, wenn die USA direkt eingreifen? Das kann eine Kettenreaktion auslösen. Das Völkerrecht ist unterentwickelt, ja – aber ohne Regeln beginnt das Chaos.
Welche Rolle kann Luxemburg in dieser Lage spielen?
Luxemburg sagt zu Recht: Beide Seiten sollen aufhören. Aber das reicht nicht. Luxemburg muss auch deutlich machen: Israels Vorgehen ist kein Verteidigungsfall. Nur wenn Staaten auf einer strikten Auslegung des Selbstverteidigungsrechts bestehen, bleibt das Gewaltverbot bestehen. Das Völkerrecht wird durch das Verhalten der Staaten geformt. Nach dem 11. September wurde akzeptiert, dass man sich auch gegen Terrororganisationen verteidigen darf, weil die Staaten ihre Praxis geändert haben. Wenn man Israel jetzt sagt: „Macht ruhig weiter“, ändert sich das Völkerrecht erneut – und das wird die Welt zu einem sehr gefährlichen Ort machen.
De Maart

Man kann den aussagen von Erpelding nur zustimmen.
Interessante Analyse von Michel Erpelding. Die Luxemburger Regierung sollte seine Dienste als Berater in Anspruch nehmen.
Vatikan,Hitler,Araber,PLO,...die Liste der Judenhasser und Vernichter ist endlos. Die Siegermächte haben den Juden "Ihr" Land zurückgegeben. Israel. Jeder kann sich ja einmal in die Haut der Juden versetzen und sich fragen wie er reagieren würde wenn ihm z.B. die Kinder weggebombt würden. Welches Recht hatten die Juden in ihrer Geschichte? Die Judenprogrome haben das Volk in eine Ecke gedrängt aus der es sich selbst aufgebaut hat. Israel verteidigt sich gegen feige Angriffe die jetzt Äonen dauern.
Iran als Atommacht ist für die Juden unvorstellbar und sollte es auch für den Rest der Welt sein.
Völkerrecht muss für alle gelten,sonst ist es das Papier nicht wert auf dem es abgedruckt ist.
Hier die entscheidende Klarstellung: Israel ist kein Sonderfall, sondern seit Jahrzehnten das einzige Land, das regelmäßig und offen mit der vollständigen Auslöschung bedroht wird – nicht nur von Iran, sondern auch von dessen Proxy-Gruppen wie Hisbollah, Hamas uvm.
Die Islamische Republik Iran bestreitet seit 1979 Israels Existenzrecht und bezeichnet das Land als „Krebsgeschwür“, das entfernt werden müsse
hohe iranische Funktionäre wie Ahmadinejad und der oberste Führer Khamenei drohten wiederholt mit der Zerstörung Israels, etwa in den Jahren 2005, 2008 und 2012
Diese Aussagen sind keine rhetorischen Extravaganzen: sie bilden den Kern der iranischen Staatsdoktrin und legitimieren eine aggressive Politik gegenüber Israel.
Ähnliche Vernichtungsrhetorik findet sich bei Hisbollah in Libanon oder Hamas in Gaza – alles regierungsunterstützte Teilakteure im regionalen anti-israelischen Machtblock.
Fazit: Das „einzige Land, das sich auf diese Weise verhält“ ist faktisch das bedrohte Land selbst.
Israel steht international nicht in der Isolation, sondern unter Angriff. Wer das ignoriert, verkennt unsere reale Sicherheitslage.