Freudestrahlend und erleichtert feierten tausende von Bukarestern das Ende von Rumäniens monatelangem Präsidentenwahldrama auf den Straßen. „Russland, vergiss nicht, Rumänien gehört Dir nicht“, skandierten minutenlang ausgelassen die Menschenmassen, die in der Wahlnacht zum Montag mit Europa-Bannern oder um die Schultern gelegten Landesflaggen auf den Königin-Elisabeth-Boulevard in der Hauptstadt gezogen waren.
„Nicusor, Nicusor“ riefen sie begeistert den Namen ihres Hoffnungsträgers, der ihnen mit seinem Wahlsieg ihre Alptraumängste vor einer Rückkehr in Moskaus Einflusssphäre genommen hatte. „Dies ist Euer Sieg, ein Sieg von Menschen, die daran geglaubt haben, dass sich Rumänien in die richtige Richtung verändern kann“, bedankte sich der künftige Staatschef Nicusor Dan kurz nach Mitternacht bei seinen Wählern: „Rumänien beginnt eine neue Etappe.“
Mit einer seichten Melodie unterlegt meldete sich gegen 1.30 Uhr in der Nacht schließlich auch sein unterlegener Rivale George Simion per Videobotschaft zu Wort, nachdem er nach der Bekanntgabe der ersten Exitpolls noch den Wahlsieg für sich beansprucht hatte. Er wolle seinem Kontrahenten gratulieren, verkündete vor einer Bücherwand gefasst der Chef der rechtsextremen AUR-Partei: Der Sieg von Dan sei „der Wille des rumänischen Volkes“.
Rumänien rettet sich in letzter Minute vor der Gefahr des Extremismus – zumindest vorerst
Außenseiter Dan hatte nach dem von Simion mit 20 Prozent Vorsprung klar gewonnenen ersten Wahlgang kaum mehr eine Chance, doch er wusste sie entschlossen zu nutzen. Die eindringlichen Warnungen des 55-jährigen Bürgermeisters von Bukarest, dass Rumänien bei einem Sieg von Ultranationalist Simion die internationale Isolation drohe, fanden bei seinen Landsleuten ebenso aufmerksames Gehör wie seine hoffnungsfrohen Versicherungen, dass bei einer höheren Wahlbeteiligung und mit mehr als elf Millionen Wählern das schwarze Szenario durchaus noch abzuwenden sei.
Die Zahl der Wähler vermehrte sich vom ersten auf den zweiten Wahlgang von 9,4 auf 11,5 Millionen Urnengänger. Die Wahlbeteiligung kletterte um fast ein Fünftel auf knapp 65 Prozent – dem höchsten Wert seit 1996. „Die Angst vor der Abkehr vor dem westlichen Weg, die Angst vor einem Austritt aus der EU, die Angst vor einer neuen Diktatur, die Angst vor der Zukunft“ habe die „Unentschlossenen und einen Teil der Nichtwähler“ an die Wahlurnen „getrieben“, bilanzierte das Webportal „G4Media.ro“ zu Wochenbeginn den von Dan mit 53,6 Prozent gewonnenen Urnengang: „Rumänien rettet sich in letzter Minute vor der Gefahr des Extremismus – zumindest vorerst.“
Dem Favoriten unterliefen kapitale Fehler
Tatsächlich hat der als unabhängige Kandidat ins Rennen gegangene Dan seine beispiellose Aufholjagd in erster Linie der höheren Wahlbeteiligung zu verdanken. Während er in der Stichwahl seine Stimmenzahl verdreifachen konnte, kletterte die seines Kontrahenten nur um knapp 40 Prozent.
Auch die Hoffnung von Simion, dass die höhere Wahlbeteiligung in der ausländischen Diaspora wie in der ersten Runde vor allem ihm zugutekommen dürfte, erwies sich als trügerisch. Hatte der AUR-Chef vor zwei Wochen noch über zwei Drittel der knapp eine Million Stimmen der Auslandsrumänen erhalten, musste er sich bei den in der Stichwahl auf 1,7 Millionen gekletterten Stimmen der Diaspora mit einem Vorsprung von nur zehn Prozent auf Dan bescheiden – zu wenig, um seinen Rückstand im Inland wettmachen zu können.
Als „Abrechnung“ mit Rumäniens Politikerkaste hatten die Analysten Simions Pyrrhus-Triumph im ersten Wahlgang bewertet. Dan bot ihm in der Stichwahl indes nur wenig Angriffsfläche: Gegen Korruption und Vetternwirtschaft streitet der frühere Bürgeraktivist selbst schon seit Jahren. Hinzu unterliefen Favorit Simion ausgerechnet im Wahlkampffinale kapitale Fehler: Das Kneifen vor TV-Duellen, sein Dank an die USA für das Aussetzen der Visabefreiung für Rumänen sowie seine Ausfälle gegen Moldawier mit rumänischen Pässen kosteten ihn Sympathien – und Stimmen.
Unerwarteter Karrieresprung
Der Wahlsieger steht hingegen vor einem unerwarteten Karrieresprung: Der Aufstieg ins höchste Amt im Karpatenstaat war dem im siebenbürgischen Fargaras geborenen Sohn eines Arbeiters und einer Buchhalterin keineswegs in die Wiege gelegt. Doch bereits in der Schule machte er durch erfolgreiche Teilnahmen an Mathematikolympiaden von sich Reden. Der preisgekrönte Jungmathematiker studierte in Bukarest und Paris, wo er 1998 auch promovierte.
Nach seiner Rückkehr nach Bukarest begann er sich gegen korrupte Großprojekte und für den Erhalt bedrohter Baudenkmäler zu engagieren. Sein jahrelanger Kampf mündete 2016 in der Gründung der zunächst lokalen Partei „Union zur Rettung Bukarest“ (USB), die als USR bald als landesweite Antikorruptionspartei zu operieren begann: Als deren Spitzenkandidat und Co-Vorsitzende wurde Dan 2016 erstmals ins Parlament gewählt.
Im Streit um die seiner Meinung nach zu progressiven Zielsetzungen sollte deren eher wertkonservativer Chef die von ihm mitbegründete USR jedoch schon 2017 verlassen. Als unabhängiger Kandidat gewann er 2020 und 2024 die Bürgermeisterwahlen in Bukarest. Mit seiner Familie wohnt der als bescheiden geltende Mathematiker noch immer in einer kleinen Mietwohnung. Als guter Teamspieler oder Kommunikator gilt der eigenwillige Einzelgänger zwar nicht unbedingt, dafür als geradlinig, konsequent, höflich und integer: Eigenschaften, mit denen der künftige Landesvater nicht nur in Wahlkämpfen zu punkten weiß.
De Maart
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