Samstag18. Oktober 2025

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EurovisionSchweizer Zurückhaltung: Basel richtet einen „unaufgeregten“ Wettbewerb aus

Eurovision / Schweizer Zurückhaltung: Basel richtet einen „unaufgeregten“ Wettbewerb aus
Propalästinensische Aktivisten zeigen Flaggen vor der St. Jakobshalle, wo am Donnerstagabend das zweite Halbfinale mit israelischer Beteiligung stattfand Foto: AFP/Fabrice Coffrini

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Obschon in Basel vor allem gute Laune und gute Musik auf dem Programm stehen, gibt es ein paar kleine Misstöne. Insgesamt aber ist der Umgang mit kritischen Stimmen deutlich entspannter. 

Basel, Mittwochabend: Der Sonnenuntergang färbt den Himmel orange, am Eurovision Boulevard schlendern die Fans am Fluss entlang oder genießen einen Cocktail auf einer der zahlreichen Terrassen. Dann schlängelt sich eine Menschentraube mit palästinensischen Flaggen durch die Promenade. Es ist der Schluss eines nicht-bewilligten Protestmarschs. Hinter den Demonstranten folgen ein paar Polizisten im langsamen Tempo, fast, als wäre es einfach nur ein Spaziergang durch Basel. 

Die Demonstranten kritisieren wieder die Teilnahme Israels am ESC und stellen das Leiden der palästinensischen Bevölkerung in den Vordergrund. Bereits vor dem Contest wurde darüber diskutiert, als 72 ehemalige Teilnehmer einen Protestbrief unterschrieben, in dem sie den Ausschluss Israels forderten. Auch drei Mitglieder (Spanien, Irland und Slowenien) der European Broadcasting Union forderten einen „offenen Dialog“ über Israels künftige Teilnahmen. 

Die Polemik hatte bereits Malmö 2024 fest im Griff. Wir erinnern an die großen Proteste, von denen wir vor Ort berichteten. Doch die Schweizer Polizei scheint gezielt auf Deeskalation zu setzen. Bereits am ersten Tag war aufgefallen, dass die Polizeipräsenz weniger deutlich zu spüren ist: Die Beamten, denen man hier in Basel über den Weg läuft, sind meist in neonfarbenen Warnwesten und einer weitestgehend normalen Uniform gekleidet, nur ganz wenige tragen offen Maschinengewehre. Viele stehen in losen Gruppen an strategischen Punkten, in lockere Gespräche verwickelt. Hier und da werden sie sogar zu Touristenführern, wenn ein Eurovision-Fan mit Fragen an sie herantritt. 

Dialogbereitschaft statt Konfrontation
Dialogbereitschaft statt Konfrontation AFP

Die betont entspannte Haltung spiegelt sich in der Eventhalle: Gäste aus der erste Probe berichten, dass es zwar ein paar Buh- und „Free Palestine“-Rufe gab, sie aber nicht weiter gestört haben. Die Sicherheitsleute hätten auch nicht reagiert, wenn palästinensische Flaggen geschwenkt wurden. Diese sind im Vorfeld auch nicht verboten worden – und werden auch am Donnerstagabend zu sehen sein. Man stört sich in der Schweiz eher an den Flaggendimensionen – alle, die sich nicht an die vorgegebenen erlaubten Maße halten, müssen ihre draußen im „Flaggenfriedhof“ aufhängen. So haben die Fans die Gitter um den Eingang der Venue getauft. 

Dann kommt es in der zweiten Probe doch zu einem kleinen Eklat. Wie dem Tageblatt zugeschickte Videos beweisen, kam es zu einer Konfrontation zwischen mehreren pro-palästinensischen Demonstranten, die mit Pfeifen und Fahnen vor dem Auftritt der israelischen Sängerin auf sich aufmerksam machten, und ein paar israelischen Unterstützern. Das Ganze wird handgreiflich, als einer Demonstrantin das Handy aus der Hand gerissen wird. Die Security greift durch, laut Veranstalter wurden mehrere Störenfriede nach draußen begleitet. Ob weitere Konsequenzen drohen, ist derzeit nicht bekannt. Doch dann beruhigt sich die Situation in der Halle wieder. Die Show wurde noch nicht mal unterbrochen. Vor der Venue versammeln sich vor dem Halbfinale weitere Demonstranten. Die Polizei beobachtet, deeskaliert, als ein Mann mit israelischer Flagge sich dazwischen mischt und anfängt, zu provozieren. Plötzlich ist dann auch stärker ausgerüstete Polizei vor Ort. Die Atmosphäre ist aufmerksam, aber betont entspannt. 

In Malmö setzte man 2024 eher auf Abschreckwirkung. Als Proteste vor der Tür der Venue stattfanden, wurden die Demonstranten weggetragen, oder – bei Protesten in der Halle mit Flaggen – vor die Tür gesetzt. Vielleicht ist die Gefahrenlage hier in der Schweiz eine andere? Dem widerspricht, dass Israel, wie auch 2024, eine Reisewarnung für den Besuch des ESC erlassen hat. Wegen der weltweiten Medienpräsenz und der Menschenmassen könnte das Event „ein bevorzugtes Ziel für Terroristen“ sein. Insbesondere vor dem Tragen von sichtbaren Symbolen wurde gewarnt. Im Gegensatz zu Basel hatte Malmö bereits vor dem ESC 2024 einen Ruf als Hochburg für Kriminalität, Krawall und Judenhass. Als so schlimm empfand man es als ESC-Besucher nicht – immerhin waren auch die Proteste dort friedlich geblieben. Doch sie waren eben viel größer als hier in Basel. 

Für Samstag ist eine weitere Demo in der Host-City angekündigt. Dies um 19 Uhr am Barfüsserplatz, wo sich auch der Eurovision Square befindet. Abwarten, ob die betonte Entspannungshaltung auch dort ihre Wirkung zeigt. 

Nur kleinere Kontroversen

Die politischen Spannungen, die zwischen den Delegationen eskalierten, trugen sicher dazu bei, dass man den ESC in Malmö als „unangenehm“ in Erinnerung behält. Diese scheinen in diesem Jahr weniger ausgeprägt zu sein. Durch die abgesagten Pressekonferenzen nach den Halbfinals, die striktere Trennung der Presse- und Delegationsbereiche sowie die neuen Aufnahmeregeln im Backstage-Bereich dringt auch weniger nach außen.

So gibt es aus Basel bisher nur von kleineren „Skandälchen“ zu berichten. Laut lokalen Medien rege man sich in Italien etwas über den Beitrag aus Estland auf. „Espresso Macchiato“ von Tommy Cash spielt mit italienischen Klischees und nimmt das Land auf dem Arm.

Derweil stören sich Medien aus Serbien an den albanischen Künstlern. Diese zeigten, als sie am Dienstag den Finaleinzug feiern durften, eine „Doppeladler“-Geste. Es ist eine Anspielung auf die Flagge der Republik Albanien; der Doppeladler auf rotem Grund gilt als Geste der „Emanzipation“ Albaniens und als Provokation gegen Serbien. Kein Novum beim ESC: Auch der Schweizer Kandidat Gjon’s Tears wurde 2021 deswegen kritisiert. Besonders Fußballfans dürften das Thema schon kennen – Spieler mit albanischen Wurzeln machen gerne mal „den Adler“. 

Wenn Malmö als der „politischste“ und „chaotischste“ ESC in die Eurovision-Analen einging, kann man Basel bislang wohl eher den Titel des „unaufgeregtesten“ ESC geben.