Tageblatt: Frau Scherer, Sie haben Ihre Gesangskarriere als Mezzosopranistin begonnen und u.a. an der Bayerischen Staatsoper in München und an der Oper Leipzig gesungen. Dann ist es aber 2015 zu einem Fachwechsel gekommen.
Gabriela Scherer: Eigentlich war ich ein hoher Mezzo und habe Rollen wie Dorabella in „Così fan tutte“ und den Komponisten in Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ gesungen. Viele haben mir gesagt, ich wäre eigentlich ein richtiger Sopran. Als ich dann schwanger wurde und mein erstes Kind bekam, sind wir in die Schweiz umgezogen und ich habe für eine längere Zeit mit dem Singen aufgehört und mich ganz meiner Rolle als Mutter gewidmet. Danach habe ich mich für einen abrupten Wechsel entschieden und den Weg als Sopranistin eingeschlagen. Ich habe damals wirklich wieder bei null angefangen. Allerdings hatte ich das Glück, relativ schnell gute Rollen zu bekommen, und ich habe dann auch als Ariadne in meiner neuen Stimmlage debütieren können. Und ich merkte sehr schnell, dass diese Stimmlage für mich viel natürlicher, viel organischer war und auch besser zu meiner Stimme passte.
Sie haben dann auch relativ schnell die großen Partien Ihres Fachs gesungen: Arabella, Gräfin in „Le Nozze di Figaro“, Agathe in „Freischütz“, Tosca, Elsa, Eva und schließlich die Senta im „Fliegenden Holländer“, die sie jetzt in Luxemburg und Brüssel singen werden. Sie ist aber erst später hinzugekommen.
Und das war auch gut so, denn diese Partie wird oft unterschätzt. Ich habe meine erste Senta kurz vor Corona in Wiesbaden gesunden, allerdings nur zwei Aufführungen, die restlichen wurden dann gestrichen. Danach habe ich Senta dann in Duisburg gesungen. Ich wollte mir aber auch Zeit lassen mit meiner Karriere und nichts forcieren. Als Vollblutmama war mir meine Rolle als Mutter damals wichtiger. Und die Senta ist keine Rolle, die man mal so kurz nebenbei lernt.
Früher war die Senta ja auch die Domäne der hochdramatischen Soprane wie Astrid Varnay, Kristen Flagstadt oder Birgit Nilsson. Erst später hat man auf jugendlichere Stimmen wie Anja Silja oder Gwyneth Jones gesetzt.
Ja, und dies ist ein Trend, der sich immer noch fortführt. Und das hat nicht nur Positives. Leider will der Markt es so, dass Senta, die ja eigentlich ein Teenager ist, von einer jungen und schlanken Sängerin dargestellt wird. Das gilt aber auch für andere Figuren. Viele Sängerinnen singen eine Salome bereits mit Ende zwanzig. Ich finde das sehr diskutabel, denn was soll denn danach noch kommen? Früher hat man sich sehr viel Zeit gelassen, hat mit einfacheren Partien begonnen und sich langsam zu den hochdramatischen Rollen hochgearbeitet. Das Problem bei Senta ist, dass man sie von verschiedenen Standpunkten her besetzen kann. Einmal mit voller Stimme, dann sind die tiefen Töne gut abgedeckt, aber in der Höhe wird es dann kritisch, einmal mit heller Stimme, dann fehlt oft das dunkle Fundament, das man beispielsweise für die Ballade braucht. Als Sängerin muss man sich diese Rolle sehr gut einteilen und eine sehr gute Technik besitzen. Schauen Sie sich nur dieses lange Duett mit dem Holländer im zweiten Akt an, wo es stimmlich rauf und runter geht und man als Sopran stimmlich mit einem Bariton, manchmal Bass-Bariton harmonieren muss und nicht mit einem Heldentenor, was etwas ganz anderes ist. Da wird schon sehr viel Spitzengefühl verlangt.

Also eine Rolle, die oft unterschätzt wird.
Auf jeden Fall. Und ich kann auch sagen, dass mir die Senta nicht immer gutgetan hat. Man muss hier sehr konzentriert sein, eine wirkliche Balance finden und sehr technisch arbeiten. Leider wollen viele Häuser für diese Rolle eine Sängerin haben, die vor allem schreien kann. Die Senta ist eine sehr gefährliche Partie und man kann sich die Stimme damit ruinieren. Ganz anders Mozart. Mozart zu singen, tut so gut. Da ist einfach alles perfekt auskomponiert, sodass man mit einem natürlichen Atem singen kann. Das Ganze könnte man auch so auf Wagner übertragen, aber es gibt nur ganz, ganz wenige Dirigenten, die das können und auch wollen. Thielemann beispielsweise ist einer, der diese Kunst beherrscht. Bei ihm dürfen Sänger ein Legato singen. Deshalb liebe ich bei Wagner besonders die Elsa, sie ist sehr lyrisch und fast italienisch angelegt. Hier kann ich diese großen Bögen, die ich bei Mozart so schätze, aussingen und das tut der Stimme unendlich gut. Eigentlich müsste man sagen: „Wagner braucht Mozart“, denn wenn man auch die großen schwierigen Partien im Geiste einer Mozart-Partie singt, dann klingt auch Wagner plötzlich ganz anders.
In Luxemburg und in Brüssel singen Sie jetzt die Senta in einer konzertanten Aufführung mit dem Luxemburg Philharmonic und Tarmo Peltokoski. Wie bereitet man sich als Sängerin auf ein so kurzfristiges Projekt vor?
Von der Besetzung her kenne ich nur den Steuermann David Fischer. Brian Mulligan, der den Holländer singt, hat einen hervorragenden Ruf, aber ich habe noch nicht mit ihm gearbeitet. Besonders gespannt bin ich auf den jungen Dirigenten Tarmo Peltokoski; der soll ja trotz seines sehr jungen Alters der Wahnsinn sein. Solche Produktionen, wenn die richtigen Leute zusammenkommen, können unwahrscheinlich spannend und bereichernd sein. Und glücklicherweise sind viele Proben für diesen Fliegenden Holländer angesetzt; wir beginnen in Luxemburg schon eine Woche vor der ersten Aufführung, das ist natürlich ideal.
Der heutige Trend des Regietheaters macht vieles kaputt, weil Regisseure an der Macht sind, die weder das Werk genau kennen noch eine Ahnung von der menschlichen Stimme haben
Haben konzertante Aufführungen mehr Vorteile oder mehr Nachteile?
Bei einer konzertanten oder halbszenischen Aufführung gibt es halt keine Bühne und keine Inszenierung. Alles muss sich im Kopf des Zuschauers abspielen. Das kann für viele auf die Dauer langweilig sein, insbesondere bei sehr langen Opern. Manchmal hilft die Szene, auch weil die Geschichte emotionaler gestaltet werden kann. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Zuhörer sehr gerne zu konzertanten Aufführungen kommen, weil sie diese modernen Inszenierungen, die oft am Thema vorbeigehen, einfach satthaben. Und diese Regisseure lassen uns ja gerne in den unmöglichsten Positionen singen, lassen uns über die Bühne rennen und während des Singens noch dies und das tun. Da muss man dann mehr auf den richtigen Handlungsablauf konzentriert sein als auf das Singen. Und das ist letztendlich nicht gut. Ein Sänger soll in erster Linie auf den Gesang konzentriert sein und die Bewegungen sollen diesem Gesang auch entsprechen. Und bei konzertanten Aufführungen können wir Sänger uns hundertprozentig auf unsere Stimme und den Gesang konzentrieren.
Und wie erarbeiten Sie sich eine Partie? Eher von der Musik oder eher vom Text und Charakter her?
Ich denke, bei den großen Repertoire-Opern kennt man als Sänger die Figuren und ihre Charaktere. Die Feinheiten werden dann mit dem Regisseur erarbeitet, der leider diese Charaktere oft komplett umbaut, was sehr diskutabel ist. Elsa als Böse und Ortrud als Gute darzustellen, ergibt wenig Sinn, weil die Musik eine andere Sprache spricht. Ich persönlich erarbeite mir die Rollen von der Musik aus. Was sind die wichtigen Passagen, wie kann ich die großen Bögen gestalten, wo muss ich atmen, wo kann ich die Stimme loslassen? Das muss alles ganz klar vorbereitet sein und ich muss bei jeder Vorstellung, ob jetzt szenisch oder konzertant, ganz genau wissen, was ich tue. Und der Vortrag soll so sauber und schlicht sein wie möglich.
Sie haben vorhin das moderne Musiktheater angesprochen. Wie sehen Sie denn die Entwicklung der Oper im Allgemeinen?
Fragwürdig. Der heutige Trend des Regietheaters macht vieles kaputt, weil Regisseure an der Macht sind, die weder das Werk genau kennen noch eine Ahnung von der menschlichen Stimme haben. Eine Inszenierung muss einen Skandal auslösen, dann ist sie gut. Leider wird dies immer wieder so vermittelt. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es gibt tolle Regisseure, die sehr modernes Musiktheater machen. Barry Koskys Bayreuther Meistersinger-Inszenierung war so ein Beispiel. Ein intelligenter Regisseur, der sich auf moderne Weise mit Musik und Werk auseinandersetzt und dabei nie gegen die Sänger arbeitet. Ich hoffe sehr, dass in Zukunft wieder ein viel stärkerer Fokus auf musikalische und szenische Qualität gelegt wird und dass die Sänger wieder Zeit bekommen, sich optimal zu entwickeln. Gute Oper braucht vor allem gute Sänger.
Und was macht einen guten Sänger aus?
Eine gute Technik, Gelassenheit und der Mut, leise zu singen. Manchmal sogar sehr leise. (lacht)
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können