London leuchtete. Im alten Jahrhundert hatte die Regierung des jungen Labour-Premiers Tony Blair „Cool Britannia“ ausgerufen und staatliche Museen frei zugänglich gemacht. Regierung und Sponsoren pumpten viel Geld in neue Kultur- und Bauprojekte, Englands Stararchitekten Richard Rogers (Millennium Dome) und Norman Foster (U-Bahnhof Canary Wharf, Millennium Bridge) glänzten mit Neubauten.
Kein anderes Bauwerk aber symbolisiert so sehr die Aufbruchstimmung Großbritanniens zur Jahrhundertwende wie die Tate Modern. Jahrelang schlummerte das gewaltige Ölkraftwerk, als Bankside Power Station von Giles Gilbert Scott konzipiert, nach der Schließung 1981 vor sich hin. Zu neuem Leben erwachte das gewaltige Gebäude aus Millionen von Backsteinen und Tonnen von Stahl, als sich 1994 die Verantwortlichen des Netzwerks von Tate-Kunsthäusern zum Kauf entschlossen.
Von Anfang an im Herzen der Besucher
Was in den Jahren darauf unter Leitung von Harry Gugger, Partner im Basler Architektenbüro Herzog & de Meuron, entstand, war nichts weniger als ein Kunst-Powerhouse, eine Kathedrale besonderer Art, Christopher Wrens wunderbarer St. Paulskathedrale am Nordufer der Themse keineswegs unterlegen. Zeigte sich der penible Gugger auch bei der Eröffnung im Mai 2000 öffentlich unzufrieden mit der Schlampigkeit britischer Handwerker – die Londoner und ihre Besucher haben den Kunsttempel von Anfang an in ihre Herzen geschlossen.
Der Umbau war damals Höhe- und Kristallisationspunkt einer urbanen Wiederbelebung des Südufers der Themse. Die Bombardierung durch die Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, der Verfall traditioneller Industrien und die Verslumung der umliegenden Wohnviertel hatten der Gegend schwere Wunden geschlagen. South Bank Centre und Hayward-Galerie sowie das Nationaltheater blieben eher rühmliche Ausnahmen als Ausgangspunkte von Erneuerung.
155 Meter lang ist die Turbinenhalle
Nun aber häuften sich die Attraktionen, trat zum nachgebauten Shakespeares Globe-Theater und dem 135 Meter hohen Riesenrad London Eye der Publikumsmagnet Tate Modern. Die verlängerte Jubilee-Line schaufelte die Massen herbei. Plötzlich war Londons Süden attraktiv und hip wie zu alten Zeiten. „Das Südufer ist immer mit Vergnügen und Unterhaltung assoziiert worden“, berichtet Peter Ackroyd in seiner „London-Biografie“ – eine vornehme Umschreibung dafür, dass hier schon zu Zeiten der Römer Prostitution und Glücksspiel herrschten.
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Gleich am ersten Festwochenende gab es großen Publikumsandrang in die 35 Meter hohe Halle

Vom ersten Festwochenende an purzelten Kinder und Erwachsene kreischend vor Vergnügen die sanfte Rampe hinunter, mitten hinein in die 155 Meter lange, 35 Meter hohe einstige Turbinenhalle. Von „Londons größter Krabbelstube“ schrieb naserümpfend Waldemar Januszczak. Dieser Tage hat der bekannte Kunstkritiker Abbitte geleistet und das „Freudenhaus“ (house of fun) gelobt.
Der Publikumsandrang gab den Ideengebern recht. Mögen die Toiletten auch viel zu eng, die Aufzüge zu langsam, die eigentlichen Ausstellungsräume vielfach zu klein und stickig sein – allein der ungeheure Raumeindruck der Turbinenhalle und die dort gezeigten Rieseninstallationen entschädigen für vieles. Unvergesslich bleiben Louise Bourgeois’ Riesenspinne „Maman“ – sie ist zum 25. Geburtstag zurückgekehrt – aus dem Eröffnungsjahr, Carsten Höllers Kunstrutschen „Test Site“ (2007), Olafur Eliassons Sonnenspiegel „The Weather Project“ (2003).
Aber auch die kostenpflichtigen Einzelausstellungen beglückten die Besucher zu Hunderttausenden. Kunst-Millionär Damien Hirst, das wohl bekannteste „enfant terrible“ der längst nicht mehr jungen, aber noch immer als YBAs (Young British Artists) bekannten Künstler*innen, durfte im Olympiajahr 2012 mit einer umfassenden Show seine Kasse aufbessern. Und immer wieder bewiesen sorgfältig kuratierte Ausstellungen berühmter Namen des 20. Jahrhunderts – von Pablo Picasso über Henri Matisse und Amedeo Modigliani bis hin zu Edward Hopper –, dass sich „mit alten weißen Männern viele Eintrittskarten verkaufen“ lassen, wie The Times kürzlich spöttisch feststellte.
An Anziehungskraft verloren
Freilich hat das Freudenhaus an der Themse an Anziehungskraft verloren, sind die Besucherzahlen vom Höchststand 2019 (jährliche 6,1 Millionen Menschen) auf zuletzt 4,6 Millionen zurückgegangen. Das hat gewiss mit dem Rückgang des globalen Tourismus seit der Covid-Pandemie zu tun. Aber die Londoner Kunstkritikerinnen, angeführt von Jackie Wullschläger (Financial Times), machen sich auch Sorge über die Tendenz der Museumsmacherinnen, „sozialen Aktivismus vor Ästhetik“ zu setzen. „Die Besucher fühlen sich angegriffen und gelangweilt von der Sprache der Schuldgefühle“, glaubt Wullschläger und hält die dauernden Hinweise auf den britischen Kolonialismus für wenig hilfreich.
Beklagt wird auch die Voreingenommenheit der Museumsmacher um die dänische Direktorin Karin Hindsbo gegen die Kunstform der Malerei. Dabei war die Mehrheit der am besten besuchten Sonderausstellungen berühmten Malern gewidmet, von Mark Rothko bis Paul Klee. Ein Haushaltsloch zwang die Verantwortlichen im März dazu, die Zahl der Beschäftigten zu verringern; die Stimmung ist dementsprechend schlecht.
Das Geld ist knapp geworden, London aber bleibt eine kraftstrotzende, innovative Metropole, das Kunstkraftwerk in der Mitte der Stadt ein Hauptanziehungspunkt. Am Wochenende soll kräftig gefeiert werden. Happy Birthday, Tate Modern!
De Maart
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