Donnerstag6. November 2025

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MoskauPutins prachtvolle Perversion des Gedenkens

Moskau / Putins prachtvolle Perversion des Gedenkens
Die Moskauer Larissa und Daler wollen ihrem fünfjährigen Jaroslaw zeigen, „wer Verteidiger und wer Feinde sind“. Dafür haben sie den Kleinen in Militärkleider gesteckt. Foto: Inna Hartwich

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Panzer rollen über den Roten Platz, Hunderte von Menschen schreien in den Straßen Moskaus „Hurra“. Was als Gedenken an die Millionen sowjetischer Opfer im Kampf gegen Nazi-Deutschland anfing, ist längst zur Triumphshow Putins verkommen – und zur Rechtfertigung seiner „Spezialoperation“ in der Ukraine.

Als fast zum Schluss der T-34, dieser sowjetischste aller sowjetischen Panzer, aufgebockt auf einem Laster über die Moskauer Prachtmeile Neuer Arbat fährt, ruft der fünfjährige Jaroslaw laut „Hurra“. Seine Mutter Larissa schwingt die mitgebrachte Sowjetfahne, sein Vater Daler winkt den Fahrzeugen. „Wir wollen unserem Jungen zeigen, wer Verteidiger sind und wer Feinde“, sagt der 48-jährige Daler, der als Kind vor den Kämpfen in Tadschikistan nach Moskau geflohen war. „Wir helfen mit allem, was wir haben, unseren Soldaten. Denn wir wissen: Wir werden siegen.“ Ein Laster mit der ballistischen Iskander-Rakete rollt vorbei, die Erde bebt, der Fahrer hupt.„Ist es eine Atombombe?“, fragt der Fünfjährige, den sein Vater extra auf ein Café-Geländer gestellt hatte.

Wie Hunderte anderer Schaulustige verfolgt die Familie an diesem kühlen Freitagvormittag die Militärtechnik-Kolonne in der Sonne gegenüber dem Kino „Oktober“. „Der Sieg wird unser sein“, heißt es da auf dem digitalen Banner. Manche hier haben Putin-Fahnen dabei, viele tragen Soldatenmützen, fast alle haben das schwarz-orange Georgsband ans Revers gesteckt, einst ein militärisches Abzeichen, heute das wichtigste Zeichen zum 9. Mai im Land, dem Sieg über das Nazi-Deutschland.

Großes Sicherheitsaufgebot

„Wir werden in der Ukraine alle fertigmachen“, sagt die 46-jährige Irina Knjasewa – hier mit Sohn (13) und Freund des Sohnes (12) - und meint, Russland sei das „gutmütigste Land der Erde“. 
„Wir werden in der Ukraine alle fertigmachen“, sagt die 46-jährige Irina Knjasewa – hier mit Sohn (13) und Freund des Sohnes (12) - und meint, Russland sei das „gutmütigste Land der Erde“.  Foto: Inna Hartwich

Zum 80. Jahrestag hat Moskau alles aufgefahren, was es hat: an Sicherheitsmaßnahmen genauso wie an Kriegsgerät. Polizisten patrouillieren alle paar Meter, Mitarbeiter des Katastrophenschutzes sind an den Metallabsperrungen quer durchs Zentrum postiert. Das mobile Internet ist abgestellt, nicht einmal Bankkarten funktionieren. Die Cafés entlang der Strecke, an der die Militärtechnik rollt, mussten schließen. „Nicht mal einen Kaffee kann man sich holen“, schimpft eine Frau. „Wir können nicht mal schauen, was unser Präsident auf der Tribüne sagt und wer alles über den Platz marschiert“, beschwert sich ein Mann.

Russlands Präsident Wladimir Putin gibt sich in den knapp zehn Minuten seiner Rede zum „heiligen Tag“, wie er den „Siegestag“ stets bezeichnet, fast schon zurückhaltend. Die Tiraden gegenüber dem Westen fehlen, auch auf Drohungen wegen des angeblichen „Eurofaschismus“, der im offiziellen Moskau sonst oft zur Sprache kommt, verzichtet der Kriegsherr. Putin spricht von „Gefühlen der Freude und Trauer, des Stolzes und der Dankbarkeit, der Bewunderung für die Generation, die den Nationalsozialismus zerschmetterte“. Wie nebenbei flicht er seine „Spezialoperation“ in der Ukraine ein, wie Russland den Krieg im Nachbarland euphemistisch nennt. Moskau zieht stets unverhohlen den Bogen zwischen dem Zweiten Weltkrieg, den es als „Großen Vaterländischen Krieg“ bezeichnet, zum Krieg in der Ukraine. „Russland war und wird ein unzerstörbares Bollwerk gegen Nationalsozialismus, Russophobie und Antisemitismus sein“, sagt Putin und fährt fort: „Ganz Russland steht an der Seite der Teilnehmer der militärischen Spezialoperation. Wahrheit und Gerechtigkeit sind auf unserer Seite.“ Die Sowjetkämpfer von damals macht er allesamt zu „Russen“.

Triumph des Todes

Auf dem Neuen Arbat jubeln die Männer, Frauen und Kinder den Raketen zu. „Unsere russische Seele ist weit. Unser Land ist das großartigste, das gutmütigste, das barmherzigste Land der Erde. Gott ist mit uns. Wir werden alle besiegen“, sagt Irina Knjasewa, ohne auch nur einen Anflug von Zynismus in ihren Worten zu erkennen. Jedes Jahr komme sie zur Parade und bringe immer viele Freunde aus anderen Regionen mit, erzählt sie. „Wir müssen die Erinnerung an unsere Kinder weitergeben. Wir Russen haben noch ein Gedächtnis, der Westen aber hat alles vergessen“, behauptet die 46-Jährige. Sie trägt eine Holztafel, auf der die Bilder ihrer beiden Großväter und des Großvaters ihres Mannes abgebildet sind. Sie habe sie nie erlebt, ohnehin hätten sie selten etwas aus ihrer Vergangenheit erzählt, habe sie sich sagen lassen. „Aber sie waren stolze Verteidiger unserer Heimat. Meine Kinder sollen auch zu Patrioten erzogen werden.“ Sie schrieben Briefe an die Soldaten in der Ukraine, sammelten Geld für humanitäre Hilfe. „Das alles da in der Ukraine, das ist für eine lange Zeit. Auch Trump, dieser Showman, wird nichts beenden können. Aber wir, wir Russen, wir werden bis zum Ende gehen. Wir werden sie alle fertigmachen.“ Sie lächelt, hakt sich bei ihrem 13-jährigen Sohn Nikolai unter und will „diesen Tag feiern, mich freuen, lachen, genießen“.

Aber wir, wir Russen, wir werden bis zum Ende gehen. Wir werden sie alle fertigmachen.

Irina Knjasewa, russische Mutter zweier Kinder

Krieg, so verkauft es Russland seit Jahren, sei nicht Trauer und Schmerz, Krieg sei Heroismus und Siegesfreude. Das Gedenken an die Millionen von sowjetischen Gefallenen ist pervertiert, es hat sich in eine Triumphshow verwandelt. 11.500 Soldatenanwärter marschieren am Freitag über den Roten Platz, mehr als 1.000 Teilnehmer der „Spezialoperation“ sind darunter. Regimenter aus 13 Ländern – von Aserbaidschan und Belarus bis zu Myanmar und Ägypten – nehmen teil. Auch knapp 120 Soldaten der chinesischen Ehrengarde laufen mit. Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping lässt sich neben Putin übersetzen, was ein Veteran zu sagen hat.

Russland zeigt sich an diesem Tag selbstbewusst, präsentiert neue Haubitzen und mit dem T-90M den modernsten Panzer, der derzeit in der Ukraine eingesetzt wird. Auf Lastern lässt es blank polierte Drohnen durch die Sonne Moskaus fahren. „Schau dir das genau an“, sagt ein Vater zu seinem Kind auf dem Neuen Arbat, „solche werdet ihr bald in der Schule bauen“. Es knattert über dem Asphalt, die Leute klatschen, die Kleinsten weinen. „Jetzt halt’s Maul, du kleiner Scheißer“, brüllt eine Mutter ihr schreiendes Kind im Kinderwagen an. „Die Panzer kommen jetzt. Schau hin, werde Patriot!“

Russland hat zum 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland auf dem Roten Platz mit einer großen Militärparade an das Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 erinnert. Die jährliche Waffenschau gilt auch als Machtdemonstration der Atommacht.
Russland hat zum 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland auf dem Roten Platz mit einer großen Militärparade an das Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 erinnert. Die jährliche Waffenschau gilt auch als Machtdemonstration der Atommacht. Foto: dpa/Ulf Mauder
JJ
10. Mai 2025 - 8.53

Politik als Religion und Religion als Politik. Die Kleinsten werden im zarten Alter Hohlraum versiegelt und stehen später als Kanonenfutter zur Verfügung..So kennen wir das arme russische Volk.Sterben für Väterchen Russland. Gorbi war das einzige Licht im Dunkel und der wurde weg gemobbt.

RCZ
10. Mai 2025 - 4.45

Und bald wird aus der Spezialoperation ein neuer großer Krieg entstehen!.....Nie wieder war gestern, ist schon vergessen! 😔😕