Es beginnt mit einem Blick, ein Stier schaut in die Kamera, zu uns, dann sehen wir in die Augen eines Toreros, entschlossen, aber auch seltsam entrückt, bevor mit dröhnenden Bassklängen der Filmtitel eingeblendet wird: „Tardes de soledad“ – „Nachmittage der Einsamkeit“. Wessen Einsamkeit ist damit gemeint? Die des Stiers? Oder die des Toreros?
Nach seinen bekannten Filmen „La mort de Louis XIV“ (2016), in dem Jean-Pierre Léaud den sterbenden Sonnenkönig spielt, und „Pacifiction“ (2022), ein politisch aufgeladener Thriller, verlässt der katalanische Filmemacher und Drehbuchautor Albert Serra den Fiktionsfilm und legt mit „Tardes de soledad“ seinen ersten Dokumentarfilm vor, ein Film über die „Corrida“. Andrés Roca Rey gilt vielen als der Lionel Messi der „Corrida“, ein peruanischer Torero, den Serra in seinem Film begleitet. Durch eine Anbindung an ihn zeigt Serra die ritualisierte Praktik des Stierkampfs und deren Abläufe: das Umziehen in der Umkleidekabine vor und nach dem Kampf, die Begegnungen zwischen Mensch und Tier in der Arena, die immer wieder mit dem Tod der Stiere enden.
Verweigerung einer moralischen Position
Dass der Stierkampf eine höchst umstrittene kulturelle sowie sportliche Veranstaltung ist, wird immer wieder deutlich, wenn Versuche um eine Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe scheitern. Seit 2013 aber ist der Stierkampf in Spanien anerkannt, geschützt und somit gefördert – tief ist die Verwurzelung dieser Tradition zwischen Kontinuität und Identität in Spanien und lateinamerikanischen Ländern, unhaltbar und verwerflich aus Sicht des Tierschutzes. Dieses Spannungsverhältnis interessiert Serra wohl in seinem Film, es ist gleichsam die Hintergrundfolie, vor der er seinen Film um das gewaltvolle und todbringende Spektakel ausbreitet. Das Entscheidende an Albert Serras Blick ist indes die entschiedene Verweigerung einer moralischen Position, jedwede Wertung des Geschehens unterdrückt er konsequent. Die Kontroverse um den historischen und kulturellen Kontext all dessen beschreibt er nicht. Er beschaut die „Corrida“ vielmehr aus der Distanz, vermerkt einerseits die Faszination, die davon ausgeht, auch das anthropologische Interesse daran, sowie andererseits die anachronistische Banalität, die fragwürdige Sinnhaftigkeit der Gewalt und den tierquälerischen Missbrauch. Es gibt die Archaik und Brutalität des Gezeigten, es fließt viel Blut, überhaupt ist Rot die dominante Farbe des gesamten Films. Es gibt die Rufe des Toreros, die da ausgestoßen werden, die Posen, die mit sehr viel Eleganz eingenommen werden, die schwungvollen Bewegungsabläufe – Serra zeigt die „Corrida“ als Todestänze, manchmal hässlich, manchmal schön.
Auf wenige Schauplätze begrenzt – es gibt die Arena, den Mini-Bus des „Corrida“-Teams, das Hotelzimmer –, wiederholen sich die Aktionen dieses Films in den immergleichen Abläufen. Mit einer überwiegend statischen Kamera, konstant auf einer Höhe fixiert, drängt Serra auf die Gebräuchlichkeit dieser kulturell verankerten Sportart, aus der er einen Spannungsbogen gewinnt, er setzt Protagonist und Antagonist gegenüber, mit Roca Rey hat er einen „Star“ im Zentrum des Films, mit akzentuierender Filmmusik untermalt er die Dramatik einzelner Einstellungen – immerzu gezielt und bewusst den reinen dokumentarischen Status der Bilder überhöhend.
„Tardes de soledad“ ist ein Film, der sich konsequent an sein Kinopublikum richtet, denn es gibt keinen innerlogischen Adressaten für das Spektakel in diesem sehr reduktionistischen und minimalistischen Film. Nie zeigt Serra die Zuschauer in den Arenen, einzig das Publikum im Kinosaal soll zum Zeugen des Gezeigten werden. Darin liegt die virtuose, weil nahezu paradoxe Kunstgeste von Albert Serra: Sein intimistischer Zugang soll zu einem distanziert-verschmelzenden Ereignis zwischen Leinwand und Publikum führen.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können