Mittwoch5. November 2025

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EditorialErster sein allein reicht nicht: KI als gesellschaftliche Herausforderung 

Editorial / Erster sein allein reicht nicht: KI als gesellschaftliche Herausforderung 
Matheunterricht mit KI: Grundschulkinder in Colomiers, im Südwesten Frankreichs Foto: AFP/Matthieu Rondel

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„First mover“ sein. Sich als Erster einen Wettbewerbsvorteil auf dem großen, neuen und wild expandierenden Markt der Künstlichen Intelligenz verschaffen. Diesen Traum träumen viele Länder in Europa, das kleine und agile Luxemburg ganz besonders. Keine staatstragende politische Rede vergeht dieser Tage ohne Anspielung auf den KI-Zug, der mit Volldampf davonzubrausen droht und den man – zum Wohle der Wirtschaft – auf keinen Fall verpassen dürfe. Mit der nationalen Umsetzung der EU-Verordnung zur Künstlichen Intelligenz, des „AI Act“, ist die luxemburgische Regierung dieser Tage dabei, den ersten Schritt in diese Vorreiterrolle zu machen – als einer der ersten Mitgliedstaaten der EU.

Während der Rest der Welt – lies: die USA und China – in Sachen KI weiterhin Wild-West-(oder East-)Mentalität walten lässt, hat die EU ihrer KI-Industrie Regeln aufgezeigt. Vorgaben und Rahmenbedingungen, auf dass in Europa etwas ganz besonders Gutes gedeihen möge. Das trifft natürlich ins Herz der alten Debatte über Regulierung versus Innovation. Diese Balance ist für die Wirtschaft und damit für das Land von großer Bedeutung. Aber selbst wenn man diese magische Balance findet, wenn das Großherzogtum voranschreitet und zum KI-Eldorado im Herzen Europas wird, dann reicht das allein noch nicht aus.

Die politische Umsetzung des „AI Act“ und seiner Kontrollmechanismen ist sinnvoll. Es ist wichtig, dass Unternehmen hierzulande und in ganz Europa nun Klarheit haben, welche Voraussetzungen sie in Zukunft erfüllen müssen. In einer Zukunft, in der KI über kurz oder lang wohl in jedem Unternehmen, jedem Job und jedem Arbeitsbereich eine Rolle spielen wird. Diese technologische Umwälzung hat jedoch nicht nur eine wirtschaftspolitische Seite, sondern auch eine gesellschaftspolitische. Es braucht ein wirtschaftliches Ökosystem für KI, in dem Unternehmen wachsen können. Es braucht aber ebenso ein gesellschaftliches Ökosystem, in dem Vertrauen, Wissen und KI-Kompetenz in der Bevölkerung entstehen.

Vertrauen in die Regelungen des „AI Act“, sein Kategoriensystem zur Risikoeinschätzung von KI. Die Kennzeichnungs- und Transparenzpflicht, die das neue Gesetz auch in Luxemburg einführt, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Eines Tages könnte ein Gütesiegel folgen, ein Vertrauensträger wie die Stiftung Warentest, die KI-Systeme bewertet wie Fahrradhelme oder Kindersitze. Im Kern ist das angelegt. Wenn der „AI Act“ gut umgesetzt wird, könnte er dazu führen, dass vertrauenswürdige KI ein Alleinstellungsmerkmal der EU wird, und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Es braucht aber auch Wissen, es braucht Aus- und Weiterbildung, damit Arbeitnehmer in ihrem Job vom KI-Boom profitieren können und nicht vom abrauschenden Zug stehen gelassen werden. Damit niemand vom Zug überrollt wird, braucht es außerdem einen neuen Arbeitnehmerschutz vor KI, wie die CSL in ihrem Gesetzesgutachten richtigerweise einfordert.

Und dann ist da noch die Sache mit der Kompetenz. Der „AI Act“ sieht eine öffentlich einsehbare EU-Datenbank vor, in der alle Hochrisiko-Systeme gelistet werden, die in der Union auf dem Markt sind. Das ist löblich. Eine solche Datenbank ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn man sie nicht nur lesen, sondern auch verstehen kann. Die Zukunft braucht mündige digitale Bürger. Um die ist es bislang nicht gut bestellt. Desinformation, Fakes und Propaganda polarisieren unsere Gesellschaften. KI wird hier die Schlagzahl noch einmal erhöhen. Was wir bei der massenhaften Verbreitung von Social Media verpasst haben, müssen wir jetzt nachholen. Bevor es zu spät ist.