Freitag7. November 2025

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DeutschlandDer Rückzug des SPD-Politikers Kevin Kühnert und was er bedeutet

Deutschland / Der Rückzug des SPD-Politikers Kevin Kühnert und was er bedeutet
Der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert im Deutschen Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa

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Der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat der Politik den Rücken gekehrt. In der „Zeit“ spricht er erstmals offen über die Gründe – von Angst bis Enttäuschung. Ein Rückzug, der mehr erzählt als nur die Geschichte eines Einzelnen.

Oft ist es blanker Hass, der per E-Mail eintrifft. Es wird Gewalt und sogar Mord angedroht. Sie richten sich gegen Politiker und Politikerinnen, oft gerade gegen die, die sich für Minderheiten einsetzen, denen soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt und die sich gegen Extremismus wenden. Man könnte sie als Idealisten bezeichnen, die wirklich etwas verändern möchten. Zu ihnen gehörte Kevin Kühnert. Einst war er der Hoffnungsträger der SPD: beliebt, jung, motiviert. Doch dann trat er im Oktober 2024 von seinem Posten als Generalsekretär der SPD zurück, schloss eine erneute Kandidatur für den Bundestag aus – er ist 35 Jahre alt.

Über die Gründe wurde viel spekuliert. Depressionen und Burn-out waren die gängigsten Theorien. Kühnert hielt sich zurück. Bis jetzt. In einem langen Beitrag in der Zeit äußerte sich der ehemalige Vorsitzende der Jusos zu seinem Rückzug aus der Politik. Er hatte sich nicht mehr sicher gefühlt: Männer, die sich in der Bahn darüber unterhielten, ihn zusammenzuschlagen, oder eine Corona-Leugnerin, die ihn mit einem Ei bewarf. Begegnungen, die zu einem Gefühl der Unsicherheit führten, mal begründet und mal nicht, dafür aber anhaltend, das ist das Bild, das im Artikel der Zeit entsteht.

Ich bin nicht aus der Politik ausgestiegen, weil ich Angst vor ein paar Neonazis habe. Sondern weil ich zunehmend Zweifel habe, was das Thema Wehrhaftigkeit betrifft.

Kevin Kühnert, ehemaliger SPD-Generalsekretär

Nun könnte man sagen, dass das zum Leben in der Öffentlichkeit dazugehört. Der Hass im Internet ist nicht schön, aber eben Teil des Politiker-Daseins. Doch die verbalen Angriffe können nicht nur zermürben und abstumpfen – sie müssen auch immer im Zusammenhang mit den tätlichen Angriffen gesehen werden. Wer kann schon sagen, was eine leere Drohung von anonymen Hatern im Netz ist und wer seine Drohung vielleicht doch in Taten umsetzen will?

2020 schossen Unbekannte fünf Mal auf das Büro des damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby. Ein Jahr zuvor wurde Walter Lübcke (CDU) von einem Rechtsextremisten ermordet. Während im Jahr 2019 insgesamt 1.420 Straftaten gegen Politiker verübt wurden, waren es im vergangenen Jahr rund 4.000 polizeilich erfasste Straftaten, wie eine Statistik des Bundesinnenministeriums (BMI) zeigt. Am häufigsten wurden Repräsentanten der Grünen angegriffen (1.187 Fälle), darauf folgen Angriffe auf AfD-Politiker (1.031) und Mitglieder der SPD (777). Diese Taten reichen von Beleidigung über Sachbeschädigung bis hin zur Körperverletzung.

Problem sind nicht nur Gewaltbereite

Es sind lange nicht nur Spitzenpolitiker, die es trifft, sondern auch Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Landräte, Stadtverordnete. Menschen also, die sich für ihre Gemeinden engagieren und dabei nicht auf dieselben Möglichkeiten für Personenschutz zurückgreifen können wie Abgeordnete des Bundestages. Das führt nicht nur zum Rückzug von Amtsträgern, sondern auch dazu, dass diese gewisse Themen, die besonders viel Konfliktpotenzial haben, eher vermeiden.

Für Kevin Kühnert sind es auch nicht ein paar wenige Gewaltbereite. So sagte er der Zeit: „Ich bin nicht aus der Politik ausgestiegen, weil ich Angst vor ein paar Neonazis habe. Sondern weil ich zunehmend Zweifel habe, was das Thema Wehrhaftigkeit betrifft.“ Als drei Männer in der Bahn laut darüber sprachen, ihn verprügeln zu wollen, habe niemand was gesagt.

Außerdem sei ihm das Gefühl, etwas bewirken zu können, abhandengekommen. Das lag wohl nicht zuletzt an den schlechten Ergebnissen der SPD. Er berichtet, wie er immer weniger Freude aus seiner Arbeit zog. Zum Beispiel in Momenten, in denen er verdrossenen Wählern eine andere Seite der Politik vermitteln konnte. „Ich konnte irgendwann nur noch daran denken, dass da draußen Millionen von Menschen sind, die wir Politiker niemals alle persönlich erreichen können“, sagte er der Zeit.

Dass junge Menschen wie Kevin Kühnert sich aus der Politik zurückziehen, ist bedenklich. Sein Fall zeigt, wie schwierig es sein kann, am eigenen Idealismus und der eigenen Wirksamkeit festzuhalten.