Freitag7. November 2025

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EnglandBirmingham, einst die Vorzeigekommune des Landes, ist zum Symbol der kommunalen Misere geworden

England / Birmingham, einst die Vorzeigekommune des Landes, ist zum Symbol der kommunalen Misere geworden
Tausende Tonnen Müll stapelten sich diese Woche in den Straßen der englischen Großstadt Birmingham Foto: Paul Ellis/AFP

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Ausgerechnet Birmingham. Die zweitgrößte Metropole Englands, mitten im Zentrum des Landes gelegen, kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen. Meterhoch türmen sich die Müllsäcke in den engen Straßen der innerstädtischen Bezirke.

Mit dem sonnigen Wetter der vergangenen Wochen kam der Gestank verfaulender Lebensmittelabfälle. Und vor allem kamen die Ratten: Exemplare „so groß wie Katzen“, wollen aufgeregte Anwohner gesichtet haben. Im unbegrenzten Streik der Müllmänner ist auch über Ostern keine Lösung in Sicht. Diese Woche wies die Gewerkschaft Unite ein neues Gehaltsangebot der Stadtverwaltung als „völlig unzureichend“ zurück. Bei der Beseitigung des Mülls sollen jetzt Logistik-Experten der Armee helfen.

Die Stadt ist nur ein extremes Beispiel einer langanhaltenden Misere kommunaler Verwaltung auf der Insel. In dem hochzentralisierten Land zieht es ehrgeizige und talentierte junge Leute nach London; wer in der Politik reüssieren will, muss ins Unterhaus. Dabei war Birmingham im 19. Jahrhundert so etwas wie die Muster-Kommune des Königreichs. Unter dem Bürgermeister Joseph Chamberlain (1836-1914) kam die Gas- und Wasserversorgung in städtischen Besitz, Kulturinstitutionen florierten, die schlimmsten Slums wurden beseitigt. „Die bestverwaltete Stadt der Welt“, schwärmte damals ein Besucher aus Amerika.

Heute gehört die größte Kommune Großbritanniens – London und Manchesters Lokalverwaltung ist stärker zersplittert – zu den ärmsten zehn Prozent des Landes. Das liegt am Exodus der wohlhabenderen Mittelschicht in die Vorstädte ebenso wie an der älter werdenden Bevölkerung, deren Pflegebedürfnisse aus kommunalen Haushalten gedeckt werden müssen. Gleichzeitig hat die Zentralregierung in den vergangenen 15 Jahren stetig die Bezuschussung der Gemeinden reduziert.

Die einzige kommunale Einnahmequelle leidet an einem Strukturproblem: Die Gemeindesteuer orientiert sich am Wert von Immobilien, und dieser ist seit 1991 nicht aktualisiert worden. „Weniger wohlhabende Kommunen sind also von vornherein benachteiligt. Und wenn Sie die Steuer erhöhen, nehmen ohnehin reiche Kommunen wie der Londoner Bezirk Knightsbridge anteilig mehr Geld ein als arme Städte wie Birmingham“, analysiert Stuart Hoddinott vom Londoner Institut für Regierungsstudien (IfG).

Birminghams Labour-dominierte Stadtregierung hat zu Monatsbeginn die Gemeindesteuer um saftige 7,5 Prozent erhöht, steht aber unter brutalem Sparzwang. Denn vor zwei Jahren musste die Kommune Bankrott anmelden, steht seither unter der Aufsicht von Kommissaren, die aus London geschickt werden. Eine Einsparungsmöglichkeit entdeckten die Fachleute bei der Müllabfuhr. Deren Recycling-Quote liegt so niedrig wie nirgendwo sonst im Land außer in Liverpool, zudem gibt es eine Anzahl sogenannter Sicherheitsbeauftragter, die in vielen anderen Kommunen unbekannt sind. Statt wie in London drei gehören in Birmingham meist vier Männer zur Besatzung eines Müllautos.

Während sich zwei andere Gewerkschaften, Unison und GMB, mit der Stadt auf neue Arbeitsverträge einigten, rief Unite seine rund 650 Mitglieder in den unbegrenzten Ausstand. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass Unite-Chefin Sharon Graham unter hohem Druck einer radikal linken Gruppierung steht und im kommenden Jahr um ihre Wiederwahl bangen muss. Da macht sich Härte im Arbeitskampf gegen eine unbeliebte Labour-Regierung allemal gut, zumal der Organisation ein Finanzskandal anhängt. Die Kosten für den Bau eines auf 21 Millionen Pfund taxierten Konferenz- und Hotelzentrums – ausgerechnet in Birmingham – erhöhten sich auf bisher ungeklärte Weise am Ende um mehr als das Fünffache.

Hochkonjunktur für Kammerjäger

Der Streik geht unterdessen mit unverminderter Härte weiter. Zu Wochenbeginn lagerten 22.000 Tonnen Müll auf den Straßen, jeden Tag kommen rund 900 Tonnen hinzu. Die Stadtverwaltung hat jetzt Privatunternehmen angeheuert, um die stinkenden Berge abzutragen.

Kammerjäger haben Hochkonjunktur. Er habe seit Wochen kaum noch freie Tage, berichtete William Timms der Times. Mit Gift und Fallen stellt er den Ratten nach, notfalls muss auch mal sein Luftgewehr zum Einsatz kommen. Sein bisher größtes getötetes Exemplar maß einschließlich Schwanz stolze 56 Zentimeter – normalerweise kommen erwachsene Nager kaum über 36 Zentimeter hinaus. Selbst wenn sich die Streitparteien bald einigen, sieht Timms sein Geschäft auf Monate hinaus gesichert. Sei der Müll erst einmal beseitigt, würden die Nager in Häusern Schutz suchen. „In diesem Jahr werde ich viel zu tun haben.“

Wie es mit Birmingham wieder aufwärts gehen könnte? Thinktanker Hoddinott würde den Kommunen weitere Einnahmequellen eröffnen: „Die Zentralregierung könnte den Kommunen mehr Freiheit bei der Finanzierung ihres Haushalts einräumen.“ So fordert die Stadtspitze von Manchester seit langem von London, die Erlaubnis für eine Tourismus-Abgabe zu erteilen. Ob aber Besucher überhaupt kommen? Der langjährige Stadtchef John Cotton bleibt zuversichtlich und mahnt die Londoner Medien zu mehr Differenzierung: „Birmingham immer nur runterzumachen, ist wirklich nicht fair.“

Grober J-P.
21. April 2025 - 9.31

Freund Gregory aus Manchester kennt die Misere, er sagt, man könnte den Müll ja zuhause verbrennen und die Asche spenden um die Löcher in den Straßen zu stopfen. Sein alter Vauxhall leidet unheimlich darunter. Die Torfbriketts werden auch immer teurer seit dem Brexit. ☹ Weiß nicht warum am Old Trafford fast immer aufgeräumt wird, Eriksen und Co. werden wohl Sonderaufgaben bekommen haben, das Gehalt stimmt ja, im Gegensatz zu dem der Müllmänner!