Dienstag4. November 2025

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SachbuchKrieg um die Vergangenheit: Volker Weiß’ eindrucksvolle Analyse der Geschichtsklitterung durch die extreme Rechte

Sachbuch / Krieg um die Vergangenheit: Volker Weiß’ eindrucksvolle Analyse der Geschichtsklitterung durch die extreme Rechte
Volker Weiß, Autor unter anderem von „Die autoritäre Revolte“ und „Das Deutsche Demokratische Reich“ Foto: Maximilian Gödecke Photography

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Rechtspopulisten und Rechtsextreme verfälschen die Geschichte, deuten sie um und instrumentalisieren sie zu ihrem Zweck. Der deutsche Historiker Volker Weiß hat ihre Strategien entlarvt und mit „Das Deutsche Demokratische Reich“ ein erhellendes und wichtiges Buch geschrieben.

Das Bild ging um die Welt: Donald Trump reckte nach dem gescheiterten Attentat auf ihn während des US-Wahlkampfs im Sommer 2024 die Faust in den Himmel und rief seinen Anhängern zu: „Kämpft!“ Er habe die Formsprache eines Arbeiterführers oder schwarzen Bürgerrechtlers bedient, ohne dass er jemals damit etwas zu tun gehabt hätte, schreibt Volker Weiß am Anfang seines neuen Buches. „Der weiße Milliardär Trump stand für das Gegenteil dieser Geschichte – und verkaufte sich den Wählerinnen und Wählern dennoch erfolgreich als Kandidat gegen ‚die Elite‘.“ Volker Weiß erzählt, wie Wladimir Putin unmittelbar nach seiner Einführung ins Präsidentenamt im Jahr 2000 den mächtigsten Oligarchen vor laufenden Kameras des russischen Fernsehens die Leviten las und sie anschließend zum Grillen einlud. „Tief im Wald am Rand von Moskau“, schreibt die britische Russland-Korrespondentin Catherine Belton, habe er seine Gäste empfangen – in der ehemaligen Datscha von Joseph Stalin.

In beiden Fällen handelt es sich um Symbole, die der Geschichte entlehnt und aus ihren Kontexten gerissen wurden. Doch sie wurden verstanden, „denn auf Zeichen gibt es kein ewiges Copyright“. Der Vorgang, bekannte Elemente aus der Geschichte aufzugreifen und auf sich umzumünzen, werde als „Resignifikation“ beschrieben, als Aneignung und Umdeutung bekannter Symbole und Begriffe. „Das Deutsche Demokratische Reich“, so der Titel von Volker Weiß’ Buch, handelt von der Umdeutung der Geschichte des 20. Jahrhunderts durch die extreme Rechte. Ein weiteres Beispiel ist die Behauptung der Co-Vorsitzenden der AfD, Alice Weidel, gegenüber dem Milliardär Elon Musk, Adolf Hitler sei ein Kommunist gewesen. Mit dieser Aussage, einem propagandistischen Framing, erregte sie die Aufmerksamkeit der Medien und der Wähler. Es ist eine gängige Methode, die längst zum Repertoire der autoritären, rechtspopulistischen bis rechtsextremen Bewegungen gehört. Auch wenn Putin sich als Verteidiger des Vaterlandes gegen die „ukrainischen Nazis“ aufspielt, die angeblich von einem „faschistischen Regime“ angeführt werden.

Taschenspielertricks mit der Geschichte

Volker Weiß zeigte bereits in seinem 2017 erschienenen Buch „Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“, exzellent und detailreich recherchiert, die Entwicklung der sogenannten Neuen Rechten und deren Vorgeschichte. In seinem neuen Werk beschreibt der 1972 geborene Historiker, der viele Jahre für mehrere deutsche Zeitungen als Autor tätig war, nicht minder erhellend die rechte Geschichtsklitterung. Und er warnt vor der Gefahr, die mit der Umkodierung von Begriffen und Ereignissen einhergeht. Schließlich geht es darum, so der Untertitel des Buches, „wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört“. Weiß entlarvt die Neuinterpretation der deutschen Geschichte seit dem Dritten Reich über die DDR bis zur aktuellen Neuinterpretation. Dabei treten einige bizarre Blüten in der Überschreibung und systematischen Umdeutung des Historischen, „mit denen in der Gegenwart massiv Politik gemacht wird“, zutage.

Im Vordergrund steht in den ersten Kapiteln die Haltung der Neuen Rechten bezüglich des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sowie deren Verhältnis zu Russland. Der Blick nach Osten sei immer ambivalent gewesen. Es ist in der Tat ein sehr widersprüchliches Bild, das die extreme Rechte von Russland hat. Es gibt einen Teil, der den Ukraine-Krieg als Fortsetzung der Konflikte des Zweiten Weltkriegs und Chance, Russland endlich zu besiegen, ansieht, und einen anderen, der sich mit dem autoritär, respektive autokratisch geführten Russland gegen den als liberal und dekadent gebrandmarkten Westen verbündet. Beide Seiten bedienen sich der Geschichte instrumentell, so Weiß. Dazu gehöre auch, die Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis abzuwehren. Eine kritische Geschichtsschreibung wird als „Vergiftung der Vergangenheit“ bezeichnet, wie es der rechtsextremistische Verleger und Publizist Götz Kubitschek nannte.

Die Legende von den „linken Nazis“

Weiß untersucht in einem späteren Kapitel die neurechten Versuche, den Nationalsozialismus umzudeuten und eine Legende von „linken Nazis“ zu stricken. Dabei zitieren die Rechtsextremen gerne den einstigen Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, der angeblich geschrieben haben soll: „Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke. Nichts ist uns verhasster als der rechtsstehende nationale Besitzbürgerblock.“ Weiß fand durch seine Recherche heraus, dass Goebbels diese Worte nie geschrieben hat. Und er beweist, dass Goebbels nie einen Zweifel an der anti-egalitären Ausrichtung der Nationalsozialisten ließ. Trotzdem gilt das Zitat den Neurechten als Beweis dafür, dass sie nichts mit den Nazis zu tun hätten. Damit wolle die Rechte sich selbst entlasten und die Linke dämonisieren. Im Grunde hatte dies schon der Schweizer Publizist Armin Mohler (1920-2003), ein zentraler Vordenker der Neuen Rechten und Autor des Buches „Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932“, getan. Einerseits kokettiert man mit Signalen, welche die Anhänger der extremen Rechten gut erkennen, andererseits rücke man die Gegner in die Nähe von Nazis. Im Übrigen hat auch die frühere CDU- und heutige AfD-Politikerin Erika Steinbach, einst Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, auf den „Sozialismus“ im Namen der NSDAP hingewiesen. Die heutigen extremen Rechten bauen auf eine Diskursstrategie auf, die den Gründern der Nazi-Partei bereits bei deren Gründung in München durchaus bewusst war.

Eine Doppelstrategie und einen ähnlich lockeren Umgang betreiben Weidel, Björn Höcke & Co. mit der DDR. Im letzten Teil des Buchs geht es um das „Deutsche Demokratische Reich“ als antikommunistische DDR-Nostalgie. So wird das in der DDR verbreitete Lied „Kleine weiße Friedenstaube“ auf AfD-Demonstrationen gespielt. Volker Weiß schreibt dazu: „Wenn eine Partei, die sich selbst dem radikalen Antikommunismus verschrieben hat, mit sowjetnostalgischen Elementen spielt und ein ostdeutsches Publikum, das sonst alles Übel mit der DDR vergleicht, dabei vor Rührung mit den Tränen kämpft, sind Instanzen jenseits der Ratio angesprochen.“ Der Historiker nennt viele solcher Beispiele rechter Taschenspielertricks. Die Strategie der (subversiven) „Resignifikation“ zünde und sei eines der wirksamsten Mittel der Rechtspopulisten und Rechtsextremen. Er weist aber auch darauf hin, dass sie damit ähnlich arbeiteten wie einst die dekonstruktivistische Linke. Nur seien sie erfolgreicher.  

Wenn eine Partei, die sich selbst dem radikalen Antikommunismus verschrieben hat, mit sowjetnostalgischen Elementen spielt und ein ostdeutsches Publikum, das sonst alles Übel mit der DDR vergleicht, dabei vor Rührung mit den Tränen kämpft, sind Instanzen jenseits der Ratio angesprochen

Volker Weiß, Historiker

Der Zorn der extremen Rechten in anderen Ländern gilt nicht zuletzt der liberalen Demokratie, deren Werten und „Dekadenz“ sowie dem „destruktiven“ Globalismus. Russland werde als letztes Bollwerk gesehen. Trump wird als Verbündeter betrachtet, obwohl er diese Dekadenz symbolisiert. Aber in vielem bedient er sich derselben Mittel. Indem er die Ukrainer absurderweise zu Aggressoren erklärte, verdreht auch er die Geschichte, zumindest die neuere. Putin holte dagegen schon weiter aus, indem er die russische „Militäroperation“ gegen die Ukraine als Fortsetzung des Großen Vaterländischen Krieges deklariert. Und in Deutschland werkeln die neurechten Denkfabriken, aber auch Verleger und Publizisten wie Kubitschek und Jürgen Elsässer, Gründer des rechtsextremen Magazins Compact, die man lange nicht ernst genug genommen hat, an weiteren geschichtsklitternden Taschenspielertricks mit einem „Gestus des Widerstands“. Liest man die sehr empfehlenswerten Bücher von Volker Weiß, dann nimmt man die Apologeten der „Autoritären Revolte“ ernst. Den Methoden der radikalen Umdeutung, schreibt der Autor am Ende von „Das Deutsche Demokratische Reich“, komme „die grassierende Geschichtslosigkeit der Hypermoderne“ entgegen. Doch mittlerweile stehe in der Gegenwart viel auf dem Spiel, weshalb der „Krieg“ um die Vergangenheit mit großer Intensität geführt werde. Dieses Buch solle dazu beitragen, seine „Mechanismen zu durchschauen und eine seiner wirkungsvollsten Waffen zu entschärfen“.

Volker Weiß: Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört. Klett-Cotta. Stuttgart 2025. 290 Seiten. Ca. 27 Euro.