Im „Grand Hall“ des Mudam ragt eine gigantische Figur schillernd in die Höhe. Das Werk der britischen Künstlerin Fiona Banner aka the Vanity Press „Nude Wing“ ist ein Eyecatcher.
Beim Anblick der senkrecht stehenden Tragfläche eines Tornado-Kampfflugzeuges sehen sich die Besucherinnen und Besucher in der polierten Oberfläche der sechs Meter hohen Skulptur verzerrt gespiegelt. In das glatte Metall sind Textfragmente eingraviert, die an Braille-Schrift erinnern und ein weibliches Aktmodell im Atelier der Künstlerin beschreiben. Die Erotik der todbringenden Tragfläche und des schutzlos-ermächtigenden weiblichen Körpers werden vorgeführt und kontrastiert; Banner verweist unter anderem auf die Pin-up-Girls der „Nose Art“, die im Zweiten Weltkrieg wie Wahrzeichen auf Flugzeuge gemalt wurden.
Verzerrte Spiegelung unseres Selbst
Im Dialog mit der Architektur des Baus von I.M. Pei verwandelt Banner Bauteile von Militärflugzeugen in Skulpturen, die die Spannung zwischen der Schönheit in der Technologie und ihrem zerstörerischen Potenzial hinterfragen. Ihre Installationen sollen Reflexionen anstoßen über die Ästhetisierung von Kriegswaffen, kollektives Gedenken und die Erzählungen, die unsere Wahrnehmung von Geschichte prägen.
Das Werk der britischen Künstlerin ist nicht direkter Bestandteil der neuen Sammlung „Radio Luxembourg: Echoes across borders“, aber derzeit komplementär zur neuen Schau zu sehen.
Die neue Präsentation der Mudam-Sammlung vereint Künstlerinnen, die zwischen 1930 und 1991 in Europa und den USA geboren wurden. Sie zeigt zudem eine Auswahl neuer Sammlungswerke, die kürzlich dank des deutschen Paares Gaby und Wilhelm Schürmann und unterstützt durch die Mitglieder des „Cercle des collectionneurs du Mudam Luxembourg“ in die Sammlung des Mudam aufgenommen werden konnten. Zwölf Werke sind aktuell in der neuen Ausstellung zu sehen.
RTL Luxembourg – eine Welle für Europa
Der Titel der Schau bezieht sich auf Radio Luxembourg, den Vorgänger von RTL (Radio Télévision Luxembourg), der bereits 1933 begann, in West- und Mitteleuropa populäre Musikprogramme auszustrahlen. RTL hinterließ bei vielen Zuhörern und Zuhörerinnen einen bleibenden Eindruck und prägte unter anderen auch Wilhelm Schürmann, dessen Entscheidung auch daher rührt, dem Luxemburger Museum diese Werke zukommen zu lassen.

Ein weiteres Highlight im Zentrum der neuen Sammlungspräsentation ist eine fragil wirkende Treppe. Das brüchige Gefüge scheint in sich zusammenzufallen. In ihrem Werk „Stairway“ untersucht die polnische Künstlerin Monika Sosnowska die Beziehung zwischen Struktur und Raum. Das Werk ist 2008 während einer Künstlerresidenz in Israel entstanden. Es ist von einer Nottreppe inspiriert, die an der Rückseite eines Gebäudes in Tel Aviv angebracht war und von Sosnowska kurz vor ihrem Abriss entdeckt wurde. Sie wurde maßstabsgetreu aus Metall nachgebaut. Die vorgestellte Treppe ist ohne Funktion zwischen Boden und Decke eingeklemmt. Ihre chaotische Form scheint das Ergebnis einer Katastrophe zu sein, ein Vor oder Zurück gibt es offenkundig nicht. Mit ihrem Werk der Ruine, die kurz vor dem Einsturz steht, setzt sie ein Denkmal.
Die in Polen noch während des Staatssozialismus geborene Künstlerin scheint durch die postkommunistische Ära geprägt worden zu sein. In ihrem Geburtsland stehen viele Wohnhäuser der sozialistischen Moderne der 1950er Jahre. Im Begleitheft liest man, die Künstlerin interessiere sich dafür, wie Architektur durch ihren Stil, ihre Materialien oder ihre Bauweise die politische und ideologische Natur von Gesellschaften offenbare. Die stark vom Bauhaus geprägte Architektur Tel Avivs dürfte sie also an den real erlebten Sozialismus ihrer Kindheit erinnert haben.
Plakative Kapitalismus-Kritik
Ein Schmunzeln entlockt einem das Werk „I HATE BUSINESS“ der US-amerikanischen und in New York wirkenden Künstlerin Jessica Diamond. Die auf eine Backsteinmauer in großen Lettern gepinselte Aufschrift springt einem beim Rundgang im ersten Stock förmlich ins Gesicht. Unmissverständlich stellt Diamond die merkantilen Mechanismen der Kunstwelt infrage: eine recht plakative Kapitalismuskritik.
Eindrucksvoll ist hingegen Controlled Memory Loss (2009-2010) von Eva Koťátková – die tschechische Künstlerin hat in ihren Arbeiten das Korsett kollektiver Normen, unter denen sie beim Heranwachsen litt, künstlerisch verarbeitet. Indem sie deren Einfluss auf das Individuum hervorhebt, zeigt sie emanzipatorische Alternativen auf. In ihren Zeichnungen und Collagen scheinen die weiblichen Figuren förmlich aus den geometrischen Formen herauszuwachsen.
Im Gedächtnis bleibt auch das Werk der in Zagreb geborenen und in Amsterdam wirkenden Künstlerin Nora Turato. Ihr „I am happy to own my implicit biases“ (2018-2020) ist eine Klanginstallation, die aus einer großen schwarzen Metallstruktur besteht, die ursprünglich für das Oratorium von San Lorenzo in Palermo im Rahmen der Manifesta 12 geschaffen wurde. Die vergitterte Konstruktion, die wie ein Käfig wirkt, dient zugleich als Bühne und bildet den Rahmen für Performances der Künstlerin. Das Werk wird von einer Aufnahme der Stimme von Turato begleitet, die während ihrer Performance in Palermo aufgezeichnet wurde.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die „Doñas de fuera“ (Damen von außerhalb), weibliche Geister aus der sizilianischen Folklore, deren Name noch aus der Zeit der spanischen Herrschaft über die Insel stammt. Diese sollen einst Frauen gequält haben, die von der Inquisition der Hexerei beschuldigt wurden.
Feministische Positionen
Explizit feministisch ist auch das Werk Miriam Cahns. Das Gemälde „vergebens kämpfen“ der Schweizer Künstlerin, die den Akt der Herstellung als Performance beschreibt, zeigt eine nackte Figur, die zuschlägt. Transparente Farben und das ausdruckslose Gesicht stehen im Gegensatz zur kämpferischen Haltung der weiblichen Person.
Politisches Engagement prägt auch das Werk der luxemburgischen Künstlerin Carine Krecké, die 2015 für ihre „Navigation Poems“ den 3. Preis beim Nationalen Literaturwettbewerb erhielt. Zwischen 2012 und 2015 sammelte sie gemeinsam mit Elisabeth Krecké mehrere hundert Screenshots von Straßenansichten aus Ciudad Juárez, die mit Google Street View aufgenommen wurden. Die mexikanische Stadt an der Grenze zu den USA wird seit Beginn der 1990er Jahre von einer Reihe von unaufgeklärten Morden und Entführungen von Frauen erschüttert. In der Ausstellung liest man Sätze aus Kreckés Gedichten, die alarmierend über ein rotes Leuchtband laufen.
Informationen zur Ausstellung
„Radio Luxembourg: Echoes across borders“, neue Sammlungspräsentation noch bis zum 11. Januar 2026 + Fiona Banner aka The Vanity Press, „Nude Wing“ noch bis zum 24. August 2025. Weitere Informationen auf: mudam.com
Doch nicht alle Werke haben eine unmittelbare Botschaft. So liefert Henrike Naumann mit ihrem Kunstwerk „Aufbau West“ (2017) ein Spiegelbild der (west-)deutschen Konsumgesellschaft. Die Künstlerin übernahm ein altes Geschäft und stellte dessen ursprüngliche Funktion wieder her, indem sie einen Secondhand-Laden mit Möbeln und Nippes nachbaute.
Wenn auch nicht alle Werke in „Radio Luxembourg“ so stark überzeugen wie die Arbeiten von Monika Sosnowska oder von Eva Koťátková, dabei auch einiges etwas plakativ wirkt (Jessica Diamond oder Andrea Bowers), so ist die neue Schau im Ganzen gelungen und erweitert die Sammlung des Mudam zweifellos um reflektierte, weibliche Positionen.
*Der Titel bezieht sich auf das gleichnamige Werk der Künstlerin Miriam Cahn.
De Maart
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