Viel müssen die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla für die Umfragewerte der AfD derzeit nicht tun. Am Wochenende lag die in Teilen rechtsextreme Partei erstmals gleichauf mit der Union. Am Montag wurde eine weitere Erhebung von Insa für die Bild-Zeitung veröffentlicht, wonach Union und AfD beide auf 24,5 Prozent kamen – für die AfD ein Rekordwert. Zur Erinnerung: Bei der Bundestagswahl am 23. Februar wurden CDU und CSU zusammen mit 28,6 Prozent stärkste Kraft, erst mit deutlichem Abstand gefolgt von der AfD mit 20,8 Prozent. In den vergangenen Wochen wurde dieser Vorsprung aber laut Umfragen immer geringer. Was sind die Gründe?
„Die Probleme wachsen, aber gleichzeitig haben wir keine handlungsfähige Regierung“, sagte Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach dem Tageblatt. „Aus der Wirtschaft werden zunehmend Schwierigkeiten gemeldet, aus den USA kommen Entscheidungen, auf die Europa mit Deutschland in der Führungsrolle rasch reagieren sollte. Und in dieser Situation haben wir ein Machtvakuum.“ Das nähre das Unbehagen in der Bevölkerung. Dabei seien die Menschen bereits durch die dramatischen militärischen und wirtschaftspolitischen Ereignisse der vergangenen Jahre verunsichert. „Nur wenn die künftige Regierung entschlossen und überzeugend agiert, wird sie mehr Zuspruch bekommen“, betonte Köcher. „Aber im Moment gibt es in der Bevölkerung nur begrenzt Vertrauen, dass die Politik die Probleme in den Griff bekommt. Die Mehrheit ist skeptisch, ob es einen wirklichen Neuanfang, einen Politikwechsel geben wird.“
Nur wenn die künftige Regierung entschlossen und überzeugend agiert, wird sie mehr Zuspruch bekommen
Forsa-Chef Manfred Güllner schiebt derweil dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz die Hauptverantwortung zu. „Das Hauptproblem ist die Person Merz“, sagte der Chef des Meinungsforschungsinstituts der Nachrichtenagentur Reuters. Merz habe mehrfach Ankündigungen gemacht, die er dann nicht habe einhalten können. „Man traut ihm das Amt als Kanzler einfach nicht zu“, erklärte Güllner die schlechten persönlichen Zustimmungswerte, die eben auch auf die Partei abfärbten. Er erwarte aber nicht, dass die AfD nun noch weiter steigen und die Union weiter absinken werde.
Die Demokratie kann die Dinge besser machen
Auch die Aussage von AfD-Chefin Weidel – „an der AfD führt kein Weg mehr vorbei“ – ist kurz nach den Wahlen am Anfang einer neuen Legislaturperiode wohl etwas voreilig. Denn solange eine Regierungskoalition zustande kommt – so sieht es derzeit aus – und solange diese Koalition zudem hält, wird die AfD mindestens noch vier Jahre in der Opposition sein. Ein Zeitraum also, in dem viel passieren kann.
Nach Einschätzung des Leipziger Demokratieforschers Johannes Kiess profitiert die AfD derzeit vor allem „von der turbulenten Weltlage, dass die Krisenerzählung weiter die Debatte bestimmt und dass das Autoritäre weiter als attraktiv gilt“. Ein weiterer Punkt ist seinen Worten nach aber auch, dass die AfD inzwischen nicht mehr als marginalisiert gilt. „Der ‚Normalisierungseffekt‘ mobilisiert also auch Zögernde“, sagte er dem Tageblatt. Gleichzeitig seien die demokratischen Milieus stark demobilisiert. „Es wäre wichtig, dass die geplanten Sondervermögen und Sonderausgaben schnell Wirkung zeigen und illustrieren: Die Demokratie kann die Dinge besser machen, positiv gestalten.“
Rechtsextremes Einstellungspotential
Der Demokratieforscher weist darauf hin, dass es ein rechtsextremes Einstellungspotenzial in Deutschland schon immer gab. „Der AfD gelingt es aber seit ihrer Gründung 2013, diese Stimmungen in der Bevölkerung stärker zu bündeln und ihnen einen politischen Ausdruck zu verleihen. War sie anfangs noch eine Anti-Euro-Partei, hat sie später die Migration als starkes Mobilisierungsthema entdeckt und gerade rassistische Einstellungen und Islamfeindlichkeit, die in der Bevölkerung tief verwurzelt sind, aufgegriffen.“ Das kann gefährliche Folgen haben: „Wenn solche Gefühle in der Gesellschaft ausdrucksfähiger werden, gibt es zunehmend Leute, die noch einmal einen Schritt weiter gehen, sich radikaler zeigen und sich trauen, bestimmte Dinge auch in die Tat umzusetzen.“
So sind wir bei einem rechten Zeitgeist angelangt: rechte, antidemokratische Gedanken werden von vielen als allgemeingültige Wahrheit akzeptiert
Anders als früheren Rechtsaußenparteien sei es der AfD zudem gelungen, „durch immer neue Entgleisungen, immer neue Tabubrüche, den Diskurs so weit nach rechts zu verschieben, dass es nicht mehr unsagbar ist, den Nationalsozialismus als nur einen ‚Vogelschiss‘ in der deutschen Geschichte zu bezeichnen, wie es Alexander Gauland einst tat“. Gleichzeitig hätten andere Parteien etwa in der Migrationspolitik Positionen der AfD übernommen, anstatt zu sagen, dass diese indiskutabel seien. „So sind wir bei einem rechten Zeitgeist angelangt: rechte, antidemokratische Gedanken werden von vielen als allgemeingültige Wahrheit akzeptiert.“
De Maart
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