Den Vorstandschef der Automobilfirma Jaguar Land Rover (JLR) bekommt Keir Starmer dieser Tage häufig zu Gesicht. Am vergangenen Donnerstag gehörte Adrian Mardell zu jenem ausgesuchten Kreis von CEOs, mit denen der britische Premierminister schon beim Frühstück über die neuen US-Zölle sprechen wollte. Zu Wochenbeginn besuchte der Labour-Politiker Mardells Hauptquartier im mittelenglischen Coventry für seine erste Rede als Reaktion auf US-Präsident Donald Trumps Initiative. Natürlich stellten Handelshindernisse „keine gute Nachricht“ dar, sagte der Regierungschef vor JLR-Arbeitern und versicherte diesen seine Solidarität: „Wir werden Ihre Branche mit allen Mitteln unterstützen.“
Dazu gehört eine Reduzierung der Klima-Vorgaben für Automobilbauer. Diese mussten sich in den vergangenen Jahren auf eine Reihe unterschiedlicher Ziele einstellen. 2018 sollten Hybrid-Autos von 2040 an verboten werden, zwei Jahre später wurde das Verbot zunächst auf 2035, dann sogar auf 2030 vordatiert, ehe Starmers konservativer Vorgänger Rishi Sunak das Zieljahr 2035 festschrieb. Labour machte im vergangenen Jahr Wahlkampf mit der auf 2030 vorgezogenen Vorgabe, nun soll erneut 2035 gelten. Zudem dürfen Hybrid-Fahrzeuge sogar bis zu diesem Jahr hergestellt werden. Benzin- und Dieselautos hingegen sollen weiterhin bereits 2030 von britischen Straßen verbannt werden. Hersteller von weniger als 2.500 Fahrzeugen pro Jahr wie die Rennwagen-Firmen Lotus und McLaren werden ganz von den Vorschriften ausgenommen.
Dass sich Trump ins Knie schießt, ist kein Grund für uns, dasselbe zu tun
Mag die Maßnahme selbst auch wenig überzeugend auf die Fachleute wirken – dass Starmer für seine Rede eine Automobilfirma in der West Midlands genannten Region um Birmingham besuchte, war kein Zufall. In den vier Quartalen bis Ende März 2024 ging dort mehr als ein Fünftel aller Exporte von Gütern in die USA; der Anteil von Autos betrug dabei 45 Prozent. Der Thinktank IPPR beziffert die gefährdeten Jobs allein in dieser Branche und deren Zulieferbetrieben auf 25.000. Betroffen sind Luxusmarken wie Rolls-Royce und Bentley, aber auch die Mini-Fabrik in Oxford oder eben Jaguar Land Rover.
Konfrontiert mit einer Verkaufssteuer von 25 Prozent, hat JLR-Chef Mardell nun alle Exporte über den Atlantik erst einmal gestoppt – Zeichen der tiefen Verunsicherung seiner Branche. Und nicht nur dort: Der Aktienindex FTSE-100 fiel an der Londoner Börse am Montag um bis zu sechs Prozent, verzeichnete hingegen am Dienstag ordentlichen Zuwachs.
Starmer wiederholte in Coventry seine Botschaft vom vergangenen Donnerstag: Großbritannien werde „einen kühlen Kopf bewahren“ und weiterhin für ein neues Handelsabkommen mit den USA werben. Dafür stehen die Chancen Londoner Beobachtern zufolge gar nicht so ganz schlecht. Angeblich gibt es bereits einen unterschriftsreifen Text. Wegen seiner schottischen Mutter und der Begeisterung fürs britische Königshaus scheint der erratische Bewohner des Weißen Hauses eine emotionale Schwäche für Großbritannien zu haben. Jedenfalls ernannte Trump kürzlich einen Sonderbeauftragten für den angelsächsischen Handelsvertrag wie sonst nur für wenige andere Länder weltweit.
Renaissance für verarbeitende Industrie
Ganz egal, ob der angepeilte Deal gelingt oder nicht: Die Globalisierung der vergangenen gut drei Jahrzehnte hat Starmer für beendet erklärt: „Die Welt, die wir kannten, gehört der Vergangenheit an.“ Er betritt damit keineswegs Neuland. Schon vor zwei Jahren erklärte die damalige finanzpolitische Labour-Sprecherin und heutige Finanzministerin Rachel Reeves die „Globalisierung in ihrer bekannten Form“, für tot: „Wir müssen darauf achten, wer Produkte herstellt und wem die Fabriken gehören.“
Dem Starmer’schen Balsam auf die Wunden der Auto-Industrie sollen in den nächsten Wochen weitere Ankündigungen für besonders betroffene Branchen wie Medizintechnik folgen – Teil einer Industriestrategie, mit der die Labour-Regierung eine Renaissance der verarbeitenden Industrie auf der Insel befördern will.
Von der Opposition kommt wenig Kritik, zumal das Unterhaus sich am Dienstag auf dem Weg in die Osterferien machte. Lord Norman Lamont, einst Finanzstaatssekretär und -minister der konservativen Regierungen in den 1980er- und 1990er-Jahren unter Margaret Thatcher und John Major, hält den ruhigen Regierungskurs sogar für richtig: „Dass sich Trump ins Knie schießt, ist kein Grund für uns, dasselbe zu tun.“
De Maart
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