Die Stimmung im Willy-Brandt-Haus war am Wahlabend miserabel. Mit 16,4 Prozent konnte niemand in der SPD zufrieden sein, auch wenn manche Prognosen noch schlechtere Werte vorhergesehen hatten. Ein Ergebnis, das den Begriff Volkspartei nicht mehr rechtfertigt. Ein Ergebnis der so stolzen, ältesten Partei, wie es die Bundesrepublik seit ihrem Bestehen noch nicht gesehen hat.
Eingefahren hat es allen voran Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Mit ihm aber ebenso die Parteispitze um die Vorsitzenden Lars Klingbeil, Saskia Esken und Generalsekretär Matthias Miersch. Scholz wird nun bald in die hinteren Reihen der SPD-Fraktion verschwinden. Für die anderen aber geht es vorerst weiter. Denn auch zu beobachten am Wahlabend des 23. Februar war eine SPD-Führung, die da schon wusste, dass man auf sie bei der Regierungsbildung angewiesen sein würde. Und eine, die im Laufe der Nacht auf den 24. Februar Gewissheit hatte, dass es für ein Zweierbündnis mit der Union reicht und nicht noch die Grünen ins Boot geholt werden müssten.
Als dann Klingbeil keine 24 Stunden nach dem Schließen der Wahllokale von der gesamten Parteiführung den Rückhalt für den Griff nach dem Fraktionsvorsitz hatte, dämmerte auch dem Letzten in der Union, mit wem man es da in den Verhandlungen zu tun bekäme. Nämlich mit keiner in Sack und Asche gehenden Partei am Abgrund, sondern mit einer zwar stark gerupften, aber dennoch kampfbereiten, sehr selbstbewussten SPD – auch wenn es Klingbeil und die andere Top-Genossen ernst meinen mit der noch ausstehenden Aufarbeitung der Wahlpleite.
Keine 100 Prozent SPD für 16 Prozent Inhalte
Diese Annahme der Union über ihren Verhandlungspartner bewahrheitete sich in den vergangenen Wochen während der Sondierungen und der darauf folgenden Koalitionsgespräche. Da saßen in den Arbeitsgruppen der Unterhändler gut vorbereitete Sozialdemokraten, ist aus der Union zu hören. Ausgestattet mit Zuarbeiten aus den noch von der SPD besetzten Ministerien. Genossen, die auf teils viele Jahre Verhandlungserfahrung zurückblicken können. Denn die SPD war in den vergangenen Jahren im Bund immer mit am Ruder.
Ihnen gegenüber, so ist wiederum aus der SPD zu hören, saßen oftmals Unionsleute, die zwar auch auf viel Erfahrung zurückblicken können. Doch gerade bei der Tiefe der fachlichen Vorbereitungen habe es häufig ein spürbares Ungleichgewicht gegeben. Insbesondere bei der auch jetzt noch im Zentrum stehenden Frage: Wie ist das eigentlich alles zu bezahlen, was man im Wahlkampf gefordert hat und nun durchsetzen will?
Angesichts dieser zu Tage getretenen Diskrepanz soll das Selbstbewusstsein der SPD-Leute noch einmal gewachsen sein, heißt es aus Verhandlerkreisen. Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, die schon bei den Sondierungen mit am Tisch saß und nun bis zum Abschluss der Gespräche weiterhin zum Top-Verhandlungsteam der SPD gehört, drückte es Ende Februar mit Blick auf die bevorstehende Kanzlerwahl im Bundestag mal so aus: Wenn CDU-Chef Friedrich Merz Kanzler werden wolle, brauche er 100 Prozent SPD. „Die gibt es aber nicht für 16 Prozent Inhalte“, so Rehlinger. Sie leitete daraus die Forderung ab, dass Merz der SPD entgegenkommen müsse.
Kommende Woche wollen sie fertig sein
In der Union sieht man dies bereits gegeben durch die Abkehr von eigenen Wahlversprechen bei den Grundgesetzänderungen für die historische Neuverschuldung. Und damit keine weitere Notwendigkeit für große Zugeständnisse. Vielmehr pocht man nun darauf, selbst Punkte machen zu müssen, beispielsweise in der Migrations- und Steuerpolitik. In der SPD wiederum will man die Grundgesetzänderungen nicht als erbeuteten Skalp sehen, nur weil man schon im Wahlkampf dafür war und keine Versprechen brechen musste.
Und so sind die Koalitionsverhandlungen dem Vernehmen nach zwar einerseits auf einem guten Weg, andererseits hat man nun die schwierigen Brocken vor der Brust, ohne bislang Rezepte gegen das Finanzproblem zu haben. Die Lücken, die noch zu füllen sind mit Einsparungen im Kernhaushalt, sollen unverändert groß sein. Am kommenden Wochenende sollen vor allem die Parteivorsitzenden Merz, Klingbeil, Esken und CSU-Chef Markus Söder Streitpunkte auflösen. Bis Mittwoch oder Donnerstag kommender Woche will man möglichst fertig sein.
Bis dahin kommen aus der ersten Reihe vor allem Äußerungen wie diese: „Ich bin sehr optimistisch, dass wir eine Lösung finden“, sagte Söder am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. „Wir diskutieren sehr seriös.“ An ein Scheitern der Gespräche glaubt Söder nicht. „Wir müssen es schaffen“, sagte er. Klingbeil wies jedoch auf die noch ausstehende Mitgliederbefragung in der SPD zum Koalitionsvertrag hin. Bis dahin werde noch „gründlich verhandelt“, sagte er in der Sendung. Selbstbewusst eben.
De Maart
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