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ForumFlächenbrand und Feuerlöscher: Guy Rewenig darüber, wie in Luxemburg ein Zensurfall weggezaubert wird

Forum / Flächenbrand und Feuerlöscher: Guy Rewenig darüber, wie in Luxemburg ein Zensurfall weggezaubert wird
 Foto: Editpress-Archiv/Julien Garroy

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„Ad acta legen“ ist eine beliebte Spielart der Luxemburger Politik. Das Kalkül lautet: Kommt Zeit, kommt Schweigen. Ein anschauliches Beispiel liefert der rezente Ausschluss von drei jüdischen Konferenzerinnern aus dem staatlich subventionierten Kulturzentrum Neimënster.

Mit äußerst fadenscheinigen Ausreden wurde der dubiose Vorfall im Nachhinein „entkräftet“. Die Kritiker dieses offensichtlichen Zensurvorgangs mussten sich den Vorwurf der Böswilligkeit und Ahnungslosigkeit gefallen lassen. Der kritische Bürger als heimtückischer Störenfried und Widerling: Diese durchsichtige Masche der toxischen Rhetorik kennen wir von Donald Trump und anderen Autokraten.

Ist die peinliche Geschichte somit vom Tisch? Mitnichten. Die ins Feld geführten „Werte“ von Neimënster sind nur Nebelkerzen, die vom wesentlichen Punkt ablenken: Hier wurde das Recht auf freie politische Stellungnahme gezielt beschnitten, und zwar unter Mithilfe des Luxemburger Staats. Der Kulturminister „stärkte Neimënster den Rücken“, wie die Presse berichtete, und desavouierte zugleich die drei abgelehnten Kulturschaffenden. Aus welchen Gründen? Warum geht er nicht auf den Kern der Geschichte ein? Wer hat entschieden, dass im Kulturzentrum Neimënster nicht öffentlich über Netanyahus Vernichtungskrieg gegen die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen und im Westjordanland referiert werden darf? Denn genau darum geht es: Die Standpunkte der drei jüdischen Konferenzerinnern erregen Anstoß. Sie sind nicht Mainstream-tauglich. Sie stören den künstlichen Konsens. Ihre Analyse der israelischen Gewalttaten entspricht nicht der „offiziellen Version“ der Kriegsgeschehnisse, also der Interpretation aus Netanyahus rechtsextremem Kabinett.

„Niemals auf der Seite der Unterdrücker“

Inmitten der Proteste gegen den Willkürakt von Neimënster (cf. u.a. eine parlamentarische Frage an den Kulturminister, die er mit erheblicher Verspätung nur ausweichend anhand bürokratisch-formalistischer Floskeln beantwortete) begrüßt ein einsamer Kontrahent ausdrücklich die Zensur: Mil Lorang, Präsident des Vereins MemoShoah. In seinem Tageblatt-Beitrag mit dem flammenden Titel „Niedertracht!“ (6.3.25) bezichtigt er alle, die Gerechtigkeit für die Palästinenser fordern, „sich direkt oder indirekt am rasanten Wiederaufleben antijüdischer Ressentiments“ zu beteiligen. Martine Kleinberg von „Jewish Call for Peace“ hat diese Unterstellung in ihrem Beitrag „Ist eine alternative jüdische Stimme noch erlaubt? Ein Aufruf zur Differenzierung“ (Tageblatt-Forum, 29.3.25) klar und deutlich zurückgewiesen. Sie zitiert u.a. Marek Edelmann, den Anführer des Aufstands im Warschauer Ghetto: „Ein Jude zu sein bedeutet, immer auf der Seite der Unterdrückten zu stehen, und niemals auf der Seite der Unterdrücker.“ Mir schreibt Herr Lorang ins Stammbuch: „Hätte der Schreiber selbst den Mut aufgebracht, sich direkt an der Quelle zu informieren, wäre wahrscheinlich seine Geschichte zusammengebrochen, bevor sie überhaupt geschrieben wurde“ (cf „Der Minister schweigt. Oder nicht?“, Tageblatt, 18.2.25).

Was meint Herr Lorang mit der „Quelle“? Muss ich MemoShoah um Erlaubnis bitten, ob ich meine Ansichten zum israelischen Kriegsverbrecher-Kabinett veröffentlichen darf? Mit Verlaub, ich bilde mir meine Meinung lieber selbst. Der Verein MemoShoah leistet eine ungemein wichtige Sensibilisierungsarbeit, um das Gedenken an den Holocaust aufrechtzuerhalten und dem realen Antisemitismus entgegenzuwirken. Doch mit seiner fatalen Beharrlichkeit, all jene, die sehr wohl den skrupellosen Terror gegen Israels Bevölkerung verurteilen, doch sich zugleich große Sorgen um das Schicksal der Palästinenser machen, pauschal als Antisemiten abzustempeln, liegt Herr Lorang genau auf der gleichen Linie wie der amerikanische Präsident. Trump hat in den vergangenen Wochen mehr als dreihundert Gaststudierenden das Visum entzogen, unter dem Vorwand, sie würden „pro-palästinensische Propaganda“ betreiben, ergo den Antisemitismus befördern. Die Gleichung „pro-palästinensisch = antisemitisch“ ist ein durch und durch unzulässiges Konstrukt.

Dokumentarfilm „No Other Land“

Guy Rewenig ist Schriftsteller. Sein aktuelles Buch im Binsfeld-Verlag heißt „Goss. Roman“.
Guy Rewenig ist Schriftsteller. Sein aktuelles Buch im Binsfeld-Verlag heißt „Goss. Roman“.

Auch der international hochgelobte israelisch-palästinensische Film „No Other Land“ (Europäischer Filmpreis 2024, Berlinale Dokumentarfilmpreis 2024, Oscar Bester Dokumentarfilm 2025) der Regisseure Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham und Rachel Szor wurde von Netanjahus Regierung sofort als antisemitisch gebrandmarkt. Das Werk erzählt mit eindringlichen Bildern, wie die Dörfergruppe Masafer Yatta im Westjordanland plattgemacht wird, weil genau dort ein israelischer Truppenübungsplatz entstehen soll. Die damit verbundenen Gewalttaten extremistischer israelischer Siedler und der israelischen Armee thematisiert der Film akribisch. Vor zwei Wochen wurde der Co-Regisseur Hamdan Ballal, zu Besuch in Masafer Yatta, von vermummten Siedlern überfallen und misshandelt. Anwesende israelische Soldaten griffen nicht ein, sondern verhafteten den verletzten Ballal.

Dieser erneute Gewaltausbruch ist quasi die schmerzhafte Probe aufs Exempel dessen, was der Film anprangert. Alle an der Filmproduktion Beteiligten wurden von hochrangigen Freunden Israels unumwunden zu Judenhassern erklärt, alle Personen, die den Film begrüßten und mehrfach auszeichneten, gelten im Verständnis der israelischen Regierung als Komplizen terroristischer Ausschreitungen. Wie steht der Präsident von MemoShoah zu diesem Verurteilungsfuror? Ist auch er der Ansicht, dass die geringste Kritik an Netanjahus Vernichtungsbesessenheit ein untrügliches Zeichen von Judenfeindlichkeit ist? Der amerikanische Präsident ist in diesem Teufelskreis schon einen Schritt weiter: „Kritik an mir ist illegal“, hat er kurzerhand dekretiert.

Um ein starkes Zeichen zu setzen, sollte die Neimënster-Direktorin demonstrativ den Film „No Other Land“ in ihrem Kulturzentrum vorführen lassen. Dieses erschütternde Werk will ein einziges Plädoyer für Frieden und Versöhnung sein und passt genau in eine Programmierung, die sich auf kulturelle Offenheit beruft. Es sei denn, die „Quelle“ legt erneut ihr Veto ein.

Luxmann
7. April 2025 - 21.54

Bravo an Rewenig fuer diesen zutreffenden beitrag.

CG
4. April 2025 - 15.20

Guter Artikel, denn hierzulande wird man sofort als Judenhasser oder Antisemit abgestempelt, wenn man die Israelische Regierung nur irgendwie für ihr Vorgehen kritisiert. Ich habe nichts gegen die Juden sondern bin gegen die israelische Regierung unter dem ultrarechten Netanyahu mit alle seinen Konsorten.