In den 1960er Jahren gab es in der luxemburgischen Rock- und Popszene so gut wie keine Frauen. Umso erstaunter waren wir, dass in dem Lexikon „Lëtzebuerg an de 60er Joeren“ von Bibi Krings auf den Seiten 115 und 116 unter „19 Boy Bands“ ein Foto abgedruckt wurde, auf dem eine Musikerin zu sehen war. In der Mitte einer fünfköpfigen Band sitzt eine junge Frau, schwarz gekleidet, mit großer Brille, die Beine lässig überschlagen. Um sie herum vier junge Männer in weißen Hemden. Die Bildunterschrift lautete: THE DUKES. Wir fragten uns: Wer ist diese Frau? Woher kommt sie? Und wie hat sie es geschafft, sich in dieser Zeit als Frontfrau einer Rock- und Popformation zu etablieren?
Gesucht: Maggie Vandenabeele
Der Drehbuchautor und Filmregisseur Andy Bausch konnte weiterhelfen und erzählte uns von einer gewissen Maggie Vandenabeele. Er meinte, sie sei sogar in dem „Lëtzebuerger Rock Lexikon“ von Luke Haas zu finden.
Andy Bausch hatte jedoch selbst seit den 1980er Jahren nichts mehr von Maggie Vandenabeele gehört. Unsere Internetrecherche gestaltete sich als mühselig, doch schließlich fanden wir sie auf Facebook und nahmen Kontakt mit der heute in Nizza lebenden Musikerin auf.
Nach einer Reihe von Telefonaten und nachdem sie uns über Mail und WhatsApp immer wieder neue hochinteressante Quellendokumente geschickt hatte, trafen wir sie zu einem langen Interview in Esch/Alzette, wo uns Maggie Vandenabeele Einblicke in ihre spannende Lebensgeschichte gewährte. Sie hatte außerdem einen großen Koffer mitgebracht, der gefüllt war mit biografischen Materialien, die sie uns zur Digitalisierung überließ. Das Maggie-Vandenabeele-Archiv an der Uni Luxemburg (Katalog MuGi.lu) umfasst heute nicht weniger als 488 Digitalisate, die es uns ermöglichten, parallel zu den Gesprächen und dem Interview ihr Leben und Schaffen zu erforschen.


Maggie Vandenabeele wurde am 24. März 1949 im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek geboren. Sie wuchs mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder und ihrer Mutter, Hélène „Lena“ Belli, einer gebürtigen Italienerin, auf. 1954 zog Lena Belli mit ihren beiden Kindern nach Luxemburg und ließ sich in Düdelingen nieder, wo ihre Familie das Café „Op der Keeler Strooss“ betrieb. Das Lokal gehörte erst den italienischen Großeltern von Maggie Vandenabeele. Es ging dann an ihre Tante Landa und schließlich an ihre Mutter Lena über.
Dieses Café – in dem die Familie auch lebte – ist der Schauplatz frühester Kindheitserinnerungen: Manchmal saß Maggie hier stundenlang vor dem Radio und hörte die Musik von Fred Astaire. Zu späterer Stunde veranstaltete das Café regelmäßig Tanzabende, bei denen sich die örtliche italienische Gemeinde traf. Maggies Onkel waren dort als Sänger und Trompeter zu hören. Doch das Café „Op der Keeler Strooss“ sollte nicht das letzte Lokal der Familie bleiben. Noch während Maggie Vandenabeeles Kindheit und Jugend betrieb ihre Mutter andere Cafés in Düdelingen: „Beim Lena“ und „Mayfair“, welches in den 1990er Jahren seine Türen schloss. In seinen Jugendmemoiren „Mat der Döschewo bei de Mao Tse-Tung“ widmet Lucien Blau ein Kapitel Lena Belli: Ihr Café war ein zentraler Treffpunkt in den 1970er Jahren.
Lena Belli liebte Musik und ermutigte ihre Tochter, sich an der „Ecole municipale de musique de Dudelange“ einzuschreiben. Von 1958 bis 1961 besuchte Maggie hier zunächst Solfège-Kurse bei Pierre Cao und anschließend Klavierkurse, ehe sie ans Musikkonservatorium der Stadt Luxemburg wechselte. Später besuchte Maggie Vandenabeele die Berufs- und Haushaltsschule Maria Hilf in Esch/Alzette und anschließend das Athénée royal d’Arlon. Mit einer Gruppe von Freundinnen sang sie in den Schulpausen und im Zug Beatles-Songs. Bei einem dieser spontanen Auftritte im Zug wurde ein Mitglied der Düdelinger Beatband The Ghosts auf Maggie Vandenabeele aufmerksam und konnte sie überzeugen, in seiner Gruppe zu singen. Nach der Auflösung von The Ghosts trat sie 1966 The Dukes bei, einer kurzlebigen Band, die sich bereits 1968 auflöste.
Von Kayl bis nach Nizza
Nachdem sie die Schule abgebrochen hatte, arbeitete Maggie Vandenabeele im Café ihrer Mutter. Dies ermöglichte ihr ein bescheidenes Einkommen und eine gewisse Unabhängigkeit. Kurz darauf – ebenfalls 1966 – folgte eine Reise, die ihr die Augen öffnen sollte: ihr erster Besuch in Paris. Dieser Ausflug hatte einen großen Einfluss auf den weiteren Lebensweg der jungen Frau. Er ermöglichte es ihr, aus Luxemburg auszubrechen, einem Land, das sie als zu ruhig und traditionsgebunden empfand. Sie wohnte für einige Monate in Paris und beschäftigte sich mit Fotografie. Die Kamera war von diesem Zeitpunkt an ihr ständiger Begleiter.
Über MuGi.lu
MuGi.lu (Musik und Gender in Luxemburg) ist ein Projekt der Universität Luxemburg, das 2022 in Zusammenarbeit mit dem CID | Fraen an Gender ins Leben gerufen wurde. MuGi.lu erforscht, sammelt und vermittelt Wissen über Musikschaffen mit besonderem Fokus auf Geschlechterverhältnisse und umfasst mittlerweile neun digitale Portale (www.mugi.lu). Das Portal zu Maggie Vandenabeele enthält Musikaufnahmen, Fotografien, Flyer, Poster, Aquarelle und vieles mehr. (Kontakt: [email protected])
Ab 1969 war Maggie Vandenabeele immer wieder auf Reisen und ließ sich an verschiedenen Orten nieder. So verbrachte sie ein halbes Jahr in London und brach dann nach Barmouth in Wales auf. 1970 reiste sie nach Schottland, Frankreich und Belgien. Ein Jahr später besuchte sie die skandinavischen Länder. Auf ihren Reisen nahm sie Gelegenheitsjobs an, arbeitete mal als Au-pair, mal im Einzelhandel, mal als Übersetzerin oder Sekretärin. Um 1975 begleitete sie ihre Mutter in deren Heimatstadt auf Sardinien, bevor sie ihre Reise allein fortsetzte. In Griechenland pflückte sie auf einer Farm Orangen, um anschließend per Anhalter durch die Türkei nach Jordanien, Syrien und Israel zu reisen. In Israel lebte und arbeitete sie drei Monate lang im Kibbuz Heaven in der Nähe von Be’er Scheva.
1978 zog sie für fast zwei Jahre zurück nach Paris, wo sie an einem Ausbildungsprogramm namens GAME („Groupe pour l’amélioration des méthodes d’enseignement“) teilnahm. Sie belegte verschiedene Musikkurse wie Gitarre und Operngesang und unterrichtete auch selbst. Sie absolvierte eine Theaterausbildung am Lucernaire. Gelegentlich spielte sie in der U-Bahn, um etwas Geld zu verdienen. In den 1980er Jahren zog sie nach Nizza, wo sie ihre zwei Söhne großzog.

Maggie Vandenabeele vertiefte ihre Jazzkenntnisse am „Conservatoire de Nice“. Sie spielte als Solistin und in mehreren Bands, darunter Facette, die in Bars und Restaurants auftraten. Zusammen mit anderen Müttern gründete sie die Gesangsgruppe Les mamans chanteuses. In den 1990er Jahren gab sie privaten Musikunterricht und Workshops für Kinder, komponierte aber auch weiterhin eigene Musik. Maggie Vandenabeele besuchte auch Kurse in Ölmalerei. 2003 wurden ihre Werke in der Boutique Café Arabo ausgestellt. Auch Schauspielunterricht nahm sie weiterhin, unter anderem bei Sébastien Morena im „Théâtre L’Alphabet“ und bei Sébastien El Fassi im Espace Magnan. Dieses Kulturzentrum in Nizza ist im Laufe der Jahre zu einem wichtigen Ort für Maggie Vandenabeele geworden: Hier werden soziokulturelle Aktivitäten in den Bereichen Kunst, Kultur, Sport, Bildung und Soziales angeboten. Der Espace Magnan hat sich zum Ziel gesetzt, allen Menschen Zugang zu Bildung und Kultur zu verschaffen, persönliche Entwicklung, Entfaltung und Autonomie zu fördern und jeden Einzelnen dazu zu bewegen, sich als aktiver und verantwortungsvoller Bürger in einer solidarischen Gemeinschaft zu engagieren. Maggie Vandenabeele arbeitete zeitweilig als Gesangs- und Schauspielcoach im Espace Magnan, Salle de la Rampe Rouge.
Bis heute ist Maggie Vandenabeele musikalisch tätig. Sie spielt Klavierimprovisationen als Solistin und im Duo mit Christophe Antipas, dem Schlagzeuger der Gruppe Facette. Das Duo tritt regelmäßig bei Musiknachmittagen im Château de la Tour des Baumettes auf. Maggie Vandenabeele hat sich ihr Leben lang für Spiritualität interessiert und an zahlreichen Workshops zur Selbstfindung teilgenommen. Sie hatte nie das Bedürfnis nach materiellem Besitz. Sie zog es vor, frei zu leben, ihren Interessen zu folgen und ihre Ausdrucksformen immer wieder neu zu bestimmen.

Der vorliegende Beitrag wurde auf Grundlage der Recherchen von Cristina Sobral, Anne Schiltz und Danielle Roster geschrieben.
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