Montag10. November 2025

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DeutschlandDer Mann auf dem Drahtseil: Was treibt SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil an?

Deutschland / Der Mann auf dem Drahtseil: Was treibt SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil an?
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil (r.) wollte auf Augenhöhe mit CDU-Chef Friedrich Merz verhandeln und ließ sich daher zum Fraktionsvorsitzenden wählen Foto: Ralf Hirschberger/AFP

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Lars Klingbeil, der SPD-Fraktions- und Parteichef, steht bei den Koalitionsverhandlungen gerade sehr im Fokus. Schmiedet er eine Regierung mit der Union, was macht er dann? Geht er ins Kabinett, oder bleibt er in Partei- und Fraktionsämtern? Und was treibt ihn eigentlich an? Eine Spurensuche.

TV-Studio von „Markus Lanz“ in Hamburg, im Wahlkampf: Lars Klingbeil erhebt sich aus dem Sessel und schüttelt den Kopf. Er ärgert sich über sich selbst. Dabei liefen die 75 Minuten Talkshow vergleichsweise glatt über die Bühne. Politiker, die zu Lanz in die Sendung gehen, wissen, dass das im Zweifel keine angenehme Gesprächsrunde für sie sein wird.

Klingbeil scheut dieses „Grillen“ nicht, er ist oft in Sendungen zu Gast. Im Gegensatz etwa zu Verteidigungsminister und Dann-doch-nicht-Kanzlerkandidat Boris Pistorius, den man dort fast nie sieht. Und um den es viel geht an diesem Abend. Der Wahlkämpfer Klingbeil erklärt mehrfach, dass Kanzler Olaf Scholz der richtige SPD-Kanzlerkandidat sei. Ob er das selbst wirklich glaubt, lockt auch Lanz nicht aus ihm raus. Doch mit einer Zahl zu den deutschen Hilfen an die Ukraine führt ihn der Moderator dann doch irgendwie aufs Glatteis, es ist ein wenig schwammig, ob diese Gelder schon geflossen, oder nur zugesagt sind – so genau kann auch Klingbeil das nicht sagen. Das nervt ihn.

Diese Anekdote sagt eine Menge aus über den 47 Jahre alten SPD-Partei- und Fraktionschef. Er ist selbst sein strengster Kritiker, ehrgeizig, ungeduldig mit sich selbst, manchmal auch mit anderen. Nun könnte er, wenn alles glatt läuft, Vizekanzler des Landes werden. Und vielleicht auch der nächste Kanzlerkandidat der SPD. Oder aber – auch das ist noch möglich – ziemlich spektakulär scheitern.

Klingbeil, der Soldatensohn aus dem niedersächsischen Munster, hat alles auf eine Karte gesetzt. Und damit viele dann doch überrascht. Denn das Image, das ihm manchmal wie ein Fluch anhaftet, war lange das des netten Jungen von nebenan. Bodenständig, freundlich im Umgang, locker in der Ansprache. Er mag Musik, verehrt den FC Bayern München, treibt Kraftsport und hütet sein Privatleben sorgfältig. Die Geburt seines Sohnes im vergangenen Sommer wollte er lange nicht veröffentlicht sehen.

In seinem Wahlkreis in Niedersachsen sei er nicht nur daheim, sondern blühe regelrecht auf, sagen Menschen, die ihn häufig begleiten. Er hat den Wahlkreis Rotenburg I – Heidekreis klar gewonnen, obwohl dort traditionell die CDU stark ist. Sein Erststimmen-Ergebnis war das beste eines SPD-Abgeordneten bundesweit.

Rückschläge und Erfolge

Es lief eine Zeit lang auch alles ziemlich glatt im Willy-Brandt-Haus, Klingbeil und Co-Chefin Saskia Esken führten die Partei geräuschlos. Klingbeil kümmerte sich viel um die außen- und sicherheitspolitische Verankerung der SPD, leitete die kritische Haltung zu Russland ein. Mitunter ziemlich fassungslos sah er von außen dabei zu, wie die Ampel-Regierung immer stärker ins Trudeln geriet. Lösen konnte er die oft persönlichen Konflikte rund um Kanzler Scholz, etwa mit FDP-Chef Christian Lindner, nicht – gelernt hat er aber viel dabei. Vor allem, wie man es nicht macht.

Das Jahr 2024 brachte dann auch für ihn erste Rückschläge. Ein desaströses Europawahlergebnis, ein Generalsekretär Kevin Kühnert, der aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat, eine Kanzlerkandidatenkür, die Klingbeil und die restliche SPD-Spitze vergeigte. Ein Wahlkampf, den seine Partei immer mit dem Rücken zur Wand führte und am Ende das schlechteste SPD-Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik.

Klingbeil macht Politik mit Leidenschaft. Er wollte nicht, dass es schon vorbei ist und nutzte am Wahlabend das Vakuum aus. Er sicherte sich den Zugriff auf den Fraktionsvorsitz, wurde gewählt. Ihm war klar, dass die Union auf die SPD für eine Koalition setzen würde und es einen Verhandler bräuchte, der mit Friedrich Merz auf Augenhöhe verhandeln muss. Diese Macht hat er nun.

In der Union hat man den Schritt mit Respekt begleitet, in der SPD verstummte das anfängliche Murren darüber, weil Klingbeil dann viel rausgeholt hat in den bisherigen Verhandlungen. Das Infrastrukturpaket, ein Herzensanliegen der SPD, zahlt auf sein Konto ein. Seine erste Personalentscheidung, die Kür der jungen SPD-Bundestagsvizepräsidentin Josephine Ortleb, kam gut an.

Minister oder weiterhin Fraktionschef?

Klingbeil weiß, dass er nun weiter liefern muss. Er will alles richtig machen in den Koalitionsverhandlungen, wiederholt daher in der Öffentlichkeit derzeit vor allem viele Floskeln. Nur niemandem in dieser kritischen Phase eine Angriffsfläche bieten. Gelingt ihm ein guter Vertrag, bleibt die Frage, was er danach macht. Klingbeil wägt sehr genau ab. Für den Eintritt ins Kabinett, etwa die Übernahme des Finanzministeriums, spricht, dass er bei allen Themen mitsprechen könnte, ein Vetorecht in der Regierung hätte, Vizekanzler werden könnte. Und mit Blick auf 2029 und eine mögliche Kanzlerkandidatur Regierungserfahrung sammeln würde.

Hingegen ist ein Wechsel in die Regierung verbunden mit dem Abschied vom gerade erst übernommenen Fraktionsvorsitz, den er in den kommenden Jahren gut für eine Profilierung der SPD jenseits der Koalition nutzen könnte. Und für Klingbeil könnte ein Wechsel ins Kabinett als Parteichef kommunikativ schwierig werden, weil die politische Zukunft seiner Co-Chefin Esken noch ungelöst ist.

Andererseits: Politik gestalten an einer der wichtigsten Stellen im Land – darauf hat der Niedersachse seit Jahren hingearbeitet. Eine Trennung von Parteivorsitz und Vizekanzleramt ist der SPD bislang auch nicht gut bekommen. Er will mehr und möchte beweisen, dass er es kann. Die Voraussetzungen bringt er mit.