Dienstag23. Dezember 2025

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Alain spannt den BogenKonzertwoche in der Philharmonie: Die hohe Kunst der Phrasierung

Alain spannt den Bogen / Konzertwoche in der Philharmonie: Die hohe Kunst der Phrasierung
Ging als Dirigent in der Philharmonie auf: Tugan Sokhiev Foto: Sébastien Grébille

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Wenn sich die Blechbläser der Wiener und Berliner Philharmoniker zusammentun und unter der Leitung von Tugan Sokhiev musizieren, dann erlebt man erlesensten Wohlklang. Schönste Klangkultur bewies auch das Royal Stockholm Philharmonic Orchestra unter seinem überragenden Chefdirigenten Ryan Bancroft.

Vor dem Hauptgang mit Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung in der Bearbeitung von Elgar Howarth gab es Dimitri Schostakowitschs „Ouverture festive“, Auszüge aus Prokofjews „Romeo und Julia“ sowie die Ouvertüre zu „Fürst Igor“ von Alexander Borodin. Das Publikum erlebte einen musikalischen Hochgenuss, denn wann hört man schon ein Bläserensemble von solch edlem Klang?

Musikalische Vorspeise

Ideal der Einstieg mit der schmissigen „Ouverture festive“ von Schostakowitsch, die das Potenzial des Ensembles The Philharmonic Brass dann auch sofort unterstrich. Dass diese Musiker aber durchaus auch anders können, nämlich wunderbar feinfühlig phrasieren, dialogisieren und eine unwahrscheinliche Palette an Farben parat haben, das zeigten sie in den folgenden Auszügen aus Prokofjews „Romeo und Julia“ sowie einer subtil ausgewogenen Fürst-Igor-Ouvertüre von Borodin.

The Philharmonic Brass beim Konzert
The Philharmonic Brass beim Konzert Foto: Sébastien Grébille

Große Interpretationskunst dann mit Modest Mussorgskis ewigem Renner, „Bilder einer Ausstellung“, bei der die technisch überragenden Musiker mit einer ebenso kunstvollen wie dynamischen und spannenden Interpretation zu glänzen wussten. Tugan Sokhiev sah man die Freude an, mit diesem besonderen Ensemble musizieren zu können. Und wenn Dirigent und Musiker sich verstehen und auf einer Wellenlänge kommunizieren, dann kommt meistens ein überragendes Resultat zustande, wie eben an diesem Abend. Und nach diesem Kraftakt dann noch die Ouvertüre von Verdis „Forza del destino“ zu spielen, das verlangt einfach nur Hochachtung.

Ryan Bancroft und Stockholm begeistern mit Tschaikowskis Fünfter

Überragend muss man auch die Darbietung der 5. Symphonie von Peter Tschaikowski bezeichnen, die drei Tage später mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra unter Ryan Bancroft stattfand. Die erste Hälfte mit „Liguria“ der schwedischen Komponistin Andrea Tarrodi (Jahrgang 1981) und den „Kindertotenliedern“ von Gustav Mahler fiel dagegen etwas lau aus. „Liguria“, ein Werk bzw. eine moderne Tondichtung aus dem Jahr 2012, konnte wenig begeistern, obwohl die Musik recht tonal gehalten war. Es gab wirklich tolle Momente, aber größtenteils besitzt das Werk an sich nicht genug Charakter und Persönlichkeit, um sich wirklich durchzusetzen. Sicher, es ist ein dankbares Werk für ein Orchester, aber der spärliche und schnell endende Applaus des Publikums zeigte, dass die Musik auf nur wenig Interesse gestoßen ist.

Generell tolle Sängerin, in der Philharmonie teilweise schwach: Nina Stemme
Generell tolle Sängerin, in der Philharmonie teilweise schwach: Nina Stemme Foto: Eric Engel

Nina Stemme ist eine großartige Sängerin. Ich habe sie vergangenes Jahr noch als Elektra gehört, und das war ein Erlebnis. Mit den „Kindertotenliedern“ tat sich Stemme aber etwas schwer. Die schwedische Sopranistin besitzt zwar genug Tiefe und auch ihre Interpretation war durchwegs überzeugend, aber man hat den Eindruck, als musste sich die vorsichtig intonierende Sängerin permanent sehr zurücknehmen, um ihre große Stimme zu kontrollieren. Tatsächlich besitzt die Stimme nicht mehr diese fließende Schönheit, die man beim Liedgesang einfach braucht. Zudem störte ein unschönes Tremolo, etwas, was man oft bei hochdramatischen Sopranistinnen findet, wenn sie in ein gewisses Alter kommen. Bancroft und das Stockholm Philharmonic Orchestra begleiteten dagegen sehr fein und versuchten, die Solistin so gut wie möglich zu tragen.

Ryan Bancroft als feinfühliger Dirigent
Ryan Bancroft als feinfühliger Dirigent Foto: Eric Engel

Nach dieser sehr dezenten Begleitung durfte das Orchester dann nach der Pause zeigen, was es klanglich kann. Ryan Bancroft ist ein sehr einfühlsamer und motivierter Dirigent, der es selbst bei einem Tournee-Schlachtross wie der Fünften von Tschaikowski immer wieder schafft, das Orchester auf Hochtouren zu bringen und dabei trotzdem die gängigen Tschaikowski-Klischees zu vermeiden. Mit feinsten Tempomodifikationen, einem rhetorisch fantastischen Spiel und einem sehr schlanken Klang wurde dieses Werk regelrecht entschlackt, sodass das Publikum unendlich viele kammermusikalische Elemente und dialogfreudige Instrumentengruppen hören konnte. Die Holzbläser spielten wunderbar warm, das Blech klang einheitlich und rückte sich nie in den Vordergrund. Die Streicher besaß einen sehr klaren, hellen, ja etwas kühlen Klang, der der Musik unheimlich guttat.

Zusammen fügten sich diese doch für Tschaikowski besonderen Charakteristika zu einem angenehmen und immer ansprechenden Klangbild und somit zu einer in allen Punkten erstklassigen Interpretation, die sowohl das Können des Dirigenten als auch die hohe Spielkultur und vor allem die atemberaubende Phrasierungskunst des Stockholmer Orchesters unter Beweis stellten. Für mich persönlich eine der besten Aufführungen dieses Werkes, die ich je gehört habe. Und ich habe viele gehört … Als Zugabe für den begeisterten Applaus, den man sich nach der ersten Hälfte nicht erwartet hätte, gaben die Musiker den virtuosen letzten Satz aus der 3. Suite von Tschaikowski zum Besten.